Vergewaltigung: Churer Richter jetzt doch verurteilt

Das Urteil war mit Spannung erwartet worden, heute morgen wurde es publiziert: Ein ehemaliger Churer Verwaltungsrichter wird der Vergewaltigung seiner damals 24-jährigen Praktikantin, der mehrfachen sexuellen Belästigung sowie der mehrfachen Drohung schuldig gesprochen. 

Das Regionalgericht Plessur verhängt eine Freiheitsstrafe von 23 Monaten und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 90 Franken, beides bedingt ausgesprochen, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Eine Busse von 2300 Franken muss der Verurteilte in jedem Fall bezahlen. 

Den Aussagen der Klägerin wird nun also doch Glauben geschenkt. Im Prozess selber hatte das noch anders gewirkt: Den zahlreichen Medienberichten vom Prozess in der vergangenen Woche ist zu entnehmen, dass das Opfer wiederholt suggestiv zum Tatbestand befragt wurde. Einer der Richter bemerkte gegenüber der Frau zudem, dass sie «nicht unkräftig» gebaut sei. Wenn sie die Beine zusammenpresse, dürfte es aufgrund seiner eigenen Erfahrung schwierig sein, in sie einzudringen, so der Richter allen Ernstes. 

Die Frage des Richters impliziert, dass die Klägerin für die Verhinderung einer Vergewaltigung selbst verantwortlich sei – eine klassische Täter-Opfer-Umkehrung und sekundäre Viktimisierung durch das Gericht: Ein mutmassliches Opfer von sexueller Gewalt wird mit einer unsachlichen und unsensiblen Erfragung des Sachverhalts konfrontiert. Noch irritierender ist der Vorwurf, sich nicht zur Wehr gesetzt zu haben – sich während der Gewalttat also falsch verhalten zu haben.

Das hatte auch die Churer Öffentlichkeit empört. Am vergangenen Freitag versammelten sich vor dem Grossratsgebäude über 200 Menschen, um sich mit den Opfern von sexualisierter Gewalt zu solidarisieren. Die Reden des feministischen Kollektivs Graubünden waren geprägt von Fassungslosigkeit gegenüber der Bündner Justiz. Auf Schildern der Demonstrierenden waren Sätze wie «Tolerieren wir nicht» oder «Dieses Gericht schmeckt uns nicht» zu lesen. 

Der energische Protest hängt auch mit der Vorgeschichte des Falls zusammen. Schon 2022 hatte dieser Aufmerksamkeit erregt, weil eine Bündner Staatsanwältin mit der Sache betraut worden war. Es sei unüblich, innerkantonal gegen andere Behörden zu ermitteln, da die Möglichkeit der Befangenheit bestehe, hatte Rechtsprofessorin Monika Simmler damals gegenüber der Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR) gesagt.

Der Fall blieb trotzdem im Kanton – und der Umgang mit dem beschuldigten Richter auffällig milde. Nach Einreichung der Strafanzeige wurde keine Untersuchungshaft angeordnet, wie es bei schweren Sexualdelikten sonst üblich ist. Und die Gerichtskommission des Grossen Rats verzichtete darauf, den Richter zu suspendieren. Erst ein Jahr nach Einreichung der Strafanzeige trat dieser selbst zurück.

Der Churer Prozess ist noch nach altem Sexualstrafrecht geführt worden. Gemäss diesem liegt nur dann eine Vergewaltigung vor, wenn der Täter Gewalt angewendet oder psychischen Druck ausgeübt hat. Seit dem 1. Juli dieses Jahres gilt nun der Grundsatz «Nein heisst Nein»: Eine Vergewaltigung liegt aus juristischer Sicht also bereits dann vor, wenn die Täterschaft den kommunizierten Willen der betroffenen Person missachtet. Fragen danach, ob sich ein Opfer genug gewehrt habe, waren aber auch schon nach altem Sexualstrafrecht nicht legitim – irgendwann sind sie hoffentlich Geschichte.