Naturfilm: Reden ist eine silberne Raubkatze

Nr. 13 –

Einmal mehr begeben sich zwei Männer im Himalaja auf die Suche nach dem legendären Schneeleoparden. Das ist visuell atemberaubend und intellektuell anregend – letzteres aber eher in der literarischen Umsetzung.

Da ists dann endlich, das mythische Tier: Schneeleopard im tibetischen Hochland. Foto: Vincent Munier

Wahrscheinlich ist es eine Art archaischer Jagdinstinkt, der die grösstenteils männlichen Filmemacher:innen, Fotograf:innen und anderen Trophäensammler:innen dazu bewegt, sich an entlegenen Orten auf die Suche nach Tieren zu machen, die man ausserhalb des Zoos kaum je zu Gesicht bekommt. Was für Schweizer Vertreter dieser Spezies der Luchs, ist für weltgewandte Sinnsuchende der Schneeleopard. Einzig noch im Himalaja heimisch, inspiriert die schon beinahe ausgerottete mythische Grosskatze immer wieder auch Menschen wie den Zen-affinen US-Schriftsteller Peter Matthiessen oder den erfolgreichen Reiseliteraten Sylvain Tesson. Letzterer kokettiert gerne mit seinem Image als Gesellschaftsphobiker und fühlt sich in sibirischer Abgeschiedenheit genauso wohl wie auf den französischen Bestsellerlisten. Sein Motto – immer in Bewegung bleiben, selbst wenn man dabei stunden-, tage-, jahrelang an einem Ort ausharren muss – formuliert er selbst so: «Die Langeweile rennt weniger schnell als ein eiliger Mensch.»

Im Film «La Panthère des neiges» ist Tesson einer der beiden Hauptprotagonisten, und schönere Landschafts- und Tierfotografie wird man dieses Jahr im Kino kaum zu sehen bekommen. Die Bilder, die der noch mehr gesellschaftsabgewandte Naturfotograf Vincent Munier und seine Partnerin Marie Amiguet vom tibetischen Hochland und der dortigen Fauna einfangen, sind atemberaubend – ohne je kitschig zu sein. Der Soundtrack von Warren Ellis tut sein Übriges, dem Ganzen einen sakralen Anstrich zu verleihen, der sich mitunter mit Muniers Verhältnis zur Natur deckt, das Tesson als «beinahe religiös» beschreibt.

In Lauerstellung

Peter Matthiessen, der 1973 in Nepal den Schneeleoparden gesucht und nicht gefunden hatte, deutete seine Enttäuschung damals noch Zen-konform in eine glückliche Fügung um. Eine solche Einstellung liegt Tesson und Munier fern: Das Tier soll vor die Augen beziehungsweise vor die Kamera und von da auf die Leinwand gebracht werden. Tagelang liegen die beiden also bei minus 20 Grad auf der Lauer, wo sie Wolfsattacken auf Tibetgazellen und unbekümmerte Wildesel zu bestaunen bekommen, den Leoparden selbst aber vorerst nicht. Dabei ist Munier überzeugt davon, umgekehrt schon längst unter dessen Beobachtung zu stehen. Er zeigt Tesson die anlässlich einer früheren Suche entstandene Fotografie eines Falken, der auf einem mit Flechten überzogenen Felsen sitzt. Den Schneeleoparden, der hinter dem Felsen versteckt seinen Blick genau auf ihn gerichtet hatte, entdeckte Munier erst Monate später beim Entwickeln der Aufnahmen.

Die Natur, die auf ihren Betrachter zurückschaut: Munier und Tesson nehmen diese Idee zum Anlass für lange Diskussionen über das Verhältnis des Menschen zu seinem Lebensraum. Diese sind zwar keinesfalls oberflächlich, doch weil sie notgedrungen fragmentiert bleiben, tun sie dem Film nicht immer gut. Hätten Munier und Amiguet alleine auf ihre Bilder und auf die Musik von Warren Ellis vertraut – der Film wäre kein bisschen uninteressanter gewesen. Ähnliches gilt für den Beitrag von Warren Ellis’ Bandkollegen Nick Cave, der kaum mehr beizutragen weiss als Strophen wie «We are not alone / Good news for my heart». Manchmal wäre es besser, einfach zu schweigen.

Für Tessons eigenen literarischen Bericht, der ihn in Frankreich zum «meistgelesenen frankophonen Autor 2019» gemacht hatte, gilt das nicht. Weder handelt es sich beim Film aber um eine Adaption des Buchs, das vor einem Jahr unter dem Titel «Der Schneeleopard» auf Deutsch erschienen ist, noch verdoppelt Tesson darin die Eindrücke des Films mit anderen Mitteln. Film und Bericht ergänzen sich vielmehr auf eine Weise, die Aufschlüsse darüber gibt, wie unterschiedlich filmische und literarische Realitätswiedergabe funktionieren. Prägnant sind insbesondere Tessons Charakterisierungen von Munier, der die Natur als eigentliche Künstlerin betrachte und einem Zugang zur Wirklichkeit, der diese «in mathematische Gleichungen giesst», nur wenig abgewinnen könne: «Poesie? Fehlanzeige. Ein Zugewinn an Erkenntnis? Nicht unbedingt.»

Karg und menschenfeindlich

Man sollte jedoch Sätzen wie «Tiere, Pflanzen, Einzeller und Neocortex sind Fraktale desselben Gedichts» etwas abgewinnen können, um sich von Tessons Bericht wie wahrscheinlich auch vom Film nicht augenrollend abzuwenden. Anbiederung oder gar Pädagogik im Stil von David Attenborough oder wie im vergleichbaren «Lynx» des Schweizer Regisseurs und Fotografen Laurent Geslin sind Tesson, Munier oder Amiguet jedenfalls fremd. Stattdessen zeigt dieser Film zwei Männer, wie sie auf etwas warten, von dem sie zu wissen glauben, was sie sich davon erhoffen. Und wir warten mit ihnen in dieser Landschaft, so karg und menschenfeindlich, dass man sie nur als erhaben bezeichnen kann, mit Bewohner:innen, die an menschlicher Gemeinschaft vollkommen uninteressiert sind. Selbst der Schneeleopard taucht am Ende wohl vor allem deshalb auf, damit sich Tesson und Munier samt ihrer Introspektion rasch wieder aus seinem Reich verabschieden mögen.

Der Film «La Panthère des neiges» läuft jetzt im Kino, Sylvain Tessons Buch «Der Schneeleopard» ist bei Rowohlt erschienen. Der Film «Lynx» läuft weiterhin im Kino.

La Panthère des neiges. Vincent Munier und Marie Amiguet. Frankreich 2021

Lynx. Regie: Laurent Geslin. Schweiz 2021