Unis sind zum Streiten da
Sollen sie doch Kreditpunkte sammeln und Multiple-Choice-Prüfungen bestehen. Dann liegt hin und wieder vielleicht sogar noch ein informelles Bier mit der lässigen Fachschaft drin. Hauptsache, aus den Student:innen werden irgendwann mal noch verantwortungsbewusste Arbeitskräfte. Der Umbau der Universitäten zu pseudo-unpolitischen Ausbildungsstätten dauert jetzt schon seit Jahren an, und die Kritik daran wird immer leiser.
Derzeit artikulieren Studierende aber mal wieder einen Gegenentwurf: Inspiriert von Protesten in den USA, halten Aktivist:innen an der Universität Lausanne (Unil) seit Donnerstag das Gebäude Géopolis besetzt. Zu Beginn war es noch eine kleine Gruppe von rund hundert Personen, die sich an der Aktion beteiligten. Mittlerweile sind es über tausend, darunter auch Vertreter:innen des Mittelbaus und Professor:innen. Sie fordern von der Universitätsleitung, dass sie sich politisch für einen Waffenstillstand einsetzt und öffentlich gegen die Ermordung von Akademiker:innen und Studierenden in Gaza ausspricht; dass sie sämtliche Zusammenarbeiten mit israelischen Institutionen aussetzt – und dass sie palästinensische Student:innen unterstützt und willkommen heisst, «so wie sie das auch mit ukrainischen Studierenden» getan habe, wie die Besetzer:innen auf Instagram schreiben.
Die Universitätsleitung hatte sich zunächst noch kooperativ gezeigt und unter anderem darüber informiert, dass Forscher:innen der Unil in sechs Projekte mit Bezug zu Israel involviert seien. Gemäss der französischen Ausgabe von «Watson» sollen diese Projekte jetzt überprüft werden.
Weiter reichte die Gesprächsbereitschaft des Rektorats nicht. Politisch wolle man sich nicht äussern, aber natürlich befürworte man die Einhaltung des Völkerrechts, teilte es mit. Zu einer Aussprache, wie sie die Besetzer:innen gefordert hatten, erschienen die Verantwortlichen am Montagabend nicht. Stattdessen fordern sie dazu auf, die Besetzung aufzugeben. Man müsse die Forschungs- und Lehrtätigkeit im Gebäude wieder aufnehmen können. Es droht die polizeiliche Räumung.
Wer keinen Zugang zu Seminarräumen hat, kann schliesslich auch keine Kreditpunkte sammeln. Man stelle sich das einmal vor: eine politische Auseinandersetzung an einer Universität?
Nun, das schier Undenkbare scheint an den Schweizer Hochschulen gerade erstaunlich möglich. So ist der Protest an der Unil heute Mittag auf den letzten Ort, an dem man ihn erwartet hätte, übergesprungen: Auch an der ETH Zürich haben sich heute Mittag Aktivist:innen zu einer Sitzblockade versammelt. Und rannten damit auf verschlossene Türen zu: Die Hochschule erstattete gemäss Medienberichten sogleich Strafanzeige. Die Polizei hat den Protest bereits am frühen Nachmittag geräumt.
Das utopische Potenzial von Universitätsbesetzungen mag begrenzt sein, und bei weitem nicht alles, was die Student:innen in Lausanne fordern, wirkt restlos durchdacht. Aber dass sie sich nicht als Konsument:innen verstehen, dass sie die Verbrechen, die in Gaza begangen werden, in den Hochschulhallen zum Thema machen und dass sie unter dem Druck, der jetzt auf sie ausgeübt wird, nicht einfach nachgeben – das wären eigentlich gute Voraussetzungen für kontroverse Diskussionen. An einem Ort, wo diese eher hingehören als die Polizei.