Uni-Besetzungen : Israelische Rüstungsfirma finanzierte HSG-Forschung
Schweizer Universitäten unterhalten vielfältige Kooperationen mit israelischen Institutionen. Für Forschende aus dem Gazastreifen, wo sämtliche Hochschulen zerstört sind, engagieren sie sich kaum.
«Hochschulen sind keine politischen Akteure.» Mit diesem Satz reagierte Swissuniversities, der Dachverband der Schweizer Hochschulen, auf die propalästinensischen Unibesetzungen. Als ob die Universitäten losgelöst von bestehenden Herrschafts-, Klassen- und Geschlechterverhältnissen existieren würden. Schlimmer noch: Der Satz spricht den protestierenden Student:innen grundsätzlich die Legitimation ab und illustriert den Unwillen der Rektorate, sich mit den Anliegen ihrer Studierenden auseinanderzusetzen.
Dabei lohnt es sich, jenseits der teilweise zu pauschalen Forderungen der Protestierenden (siehe WOZ Nr. 20/24), aufgeworfenen Fragen nachzugehen. Welche Verbindungen bestehen zwischen Schweizer Universitäten und israelischen Hochschulen? Und gibt es direkte Bezüge zur israelischen Armee oder zu Rüstungsfirmen? Die WOZ hat dazu alle zehn Unis – in Basel, Bern, Fribourg, Genf, Lausanne, Lugano, Luzern, Neuchâtel, St. Gallen und Zürich – sowie die zwei Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Lausanne und Zürich befragt.
Verbindungen zur Rüstungsindustrie
Am auffälligsten: ein Forschungsprojekt der HSG, der Universität St. Gallen, für Elbit Systems, den grössten israelischen Waffenkonzern. Das Projekt kam im Rahmen «eines Beschaffungsprojekts der Schweizer Armee zur Modernisierung der Telekommunikation» zustande und sei im Februar 2023 beendet worden, erklärt die HSG auf Anfrage. Es habe sich «aber nicht um eine Kooperation» gehandelt, sondern um ein «Benchmark-Projekt» im Wert von 25 000 Franken, das am Institute of Technology Management angesiedelt war.
Die Schweizer Rüstungsbeschaffungsbehörde Armasuisse, über die das Projekt lief, schreibt von einem «freiwilligen Auftrag von Elbit Systems ohne direkten Zusammenhang zur Beschaffung». Worum es genau ging, könne Armasuisse «ohne Zustimmung der beiden Geschäftsparteien» nicht sagen.
Dass dieser Auftrag heikel sein könnte, ist offenkundig. Elbit Systems ist nicht nur für die Modernisierung der Schweizer Armeetelekommunikation verantwortlich – ein Beschaffungsprojekt, das bis 2035 knapp 1,7 Milliarden Franken kosten dürfte. Der Konzern soll der Schweiz auch sechs Aufklärungsdrohnen des Typs Hermes 900 liefern, deren Beschaffung sechs Jahre länger als geplant dauert (2026 statt 2020) bei Kosten von knapp 300 Millionen Franken. Es handelt sich dabei um jene Drohnen, die 2014 nachweislich erstmals im Gazakrieg operativ, sprich bewaffnet, zum Einsatz kamen. Laut der BBC setzen die israelischen Streitkräfte auch im aktuellen Krieg auf Elbit-Drohnen.
Ansonsten beteuern alle Schweizer Hochschulen, es bestünden keine Kooperationen oder spezifischen Verbindungen zu den drei grössten israelischen Rüstungskonzernen Elbit Systems, Israel Aerospace Industries und Rafael. Auch Armasuisse, deren Technologiekompetenzzentrum als Brückenbauer zwischen dem Verteidigungsdepartement und den hiesigen Universitäten dient, sagt: «Es besteht weder eine Rüstungskooperation mit Israel noch mit israelischen Unternehmen; derzeit sind auch keine derartigen geplant.» In der Vergangenheit existierten allerdings immer wieder europäische Forschungsprogramme, bei denen sowohl Schweizer Hochschulen als auch israelische Rüstungsfirmen gemeinsam involviert waren. Das zeigte eine entsprechende Auswertung des unabhängigen niederländischen Rechercheportals «Stop Wapenhandel».
Ausserhalb des Rüstungsbereichs ist die Zusammenarbeit intensiver. Fast alle Schweizer Hochschulen pflegen Austauschabkommen für Forschende mit israelischen Universitäten. Institutionelle Abkommen hingegen sind seltener. Ein solches besteht im Bereich der Rechtswissenschaften zwischen der Uni Basel und der Tel Aviv University oder bei den Life Sciences zwischen der Uni Zürich und der Hebrew University of Jerusalem, deren Infrastruktur teilweise im besetzten Ostjerusalem liegt.
Die ETH Zürich wiederum arbeitet in den Bereichen Ingenieurwissenschaften, Chemie und Computerwissenschaften mit dem Weizmann Institute of Science zusammen. Hinzu kommen sehr viele Forschungsprojekte mit israelischer Beteiligung, die über den Schweizerischen Nationalfonds oder über europäische Forschungsprogramme wie «Horizon Europe» finanziert werden.
Server aus den zerstörten Unis retten
An den Unibesetzungen der letzten Wochen forderten die Aktivist:innen ihre Universitäten auch auf, gegen die Zerstörung der Bildungsinfrastruktur und die Tötung von palästinensischen Forschenden im Gazastreifen einzustehen. Einen engen Kontakt zum universitären Betrieb in Gaza hat die Stiftung Swisspeace, ein mit der Universität Basel assoziiertes Forschungsinstitut. Roland Dittli ist dort federführend für die Koordination der Zusammenarbeit mit palästinensischen Hochschulen zuständig, etwa der Islamischen Universität im Gazastreifen, um Lehrveranstaltungen zum Thema «Konfliktlösung und Gewaltprävention» auszubauen.
Dafür arbeitet Swisspeace auch mit Ansprechpersonen an den jeweiligen Universitäten zusammen. «Drei von ihnen arbeiten im Gazastreifen. Eine Person war am 7. Oktober zufällig ausserhalb von Gaza und ist seither nicht mehr zurückgekehrt. Sie lebte bis vor zwei Wochen getrennt von ihrer Familie und drei Kindern», sagt Dittli. Mit ihr stünde Swisspeace in einem regelmässigen Austausch. «Die zweite Person aus dem Koordinationsteam ist in Rafah und muss jetzt wohl bald vor der sich ausweitenden Offensive fliehen. Die dritte Person hingegen können wir seit Wochen nicht mehr erreichen, wir gehen leider davon aus, dass sie bei einem Angriff der israelischen Armee getötet wurde.»
Für Dittli wurde bislang zu wenig diskutiert, was Schweizer Universitäten angesichts der äusserst prekären Lage vor Ort konkret tun könnten. «Alle zwölf Universitäten und technischen Hochschulen im Gazastreifen sind vom Krieg betroffen. Die Zerstörungen durch die israelischen Streitkräfte in zehn dieser Institutionen sind massiv. Aber zum Beispiel sind die Server teilweise noch unversehrt. Doch sie können nicht geborgen werden, weil die Lage zu unsicher ist», sagt Dittli. Auf diesen Servern seien die gesamte Vergangenheit und die Gegenwart der Universitäten gespeichert: Budgets, Adressdatenbanken, Forschungsarbeiten et cetera. «Für die zukünftige Weiterarbeit ist es extrem wichtig, diese Server zu retten», so Dittli.
Was auch helfen würde: Hunderte Student:innen und Dozierende sind aus dem Gazastreifen geflüchtet, nach Ägypten beispielsweise. «Wenn diese Leute so rasch wie möglich ihre universitären Kurse und Karrieren an anderen Institutionen fortführen könnten, wäre das hilfreich und sinnvoll», sagt Dittli und verweist auf das bestehende internationale Netzwerk Scholars at Risk. Über dieses Netzwerk könnten und sollten Schweizer Unis mehr tun.
*Korrigenda vom 23. Mai 2024: In der gedruckten Ausgabe und in der früheren Version dieses Artikels lautete der Titel «HSG forschte für israelische Rüstungsfirma». Ein HSG-Sprecher insistierte daraufhin, die Hochschule habe nicht für Elbit geforscht, sondern der Konzern habe lediglich ein HSG-Forschungsprojekt «kofinanziert». Wir haben daher den Titel und eine ähnliche Formulierung in der Bildlegende angepasst.