Durch den Monat mit Pierre-Yves Walder (Teil 2): Glauben Sie an das Paranormale?

Nr. 28 –

Pierre-Yves Walder freut sich, dass das Publikum beim International Fantastic Film Festival in Neuchâtel (NIFFF) inzwischen diverser ist. Der künstlerische Leiter verrät, dass er manchmal mit den Toten kommuniziert.

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Portraitfoto von ierre-Yves Walder
«Ich mag die Realität schon, ich lebe auch darin»: Pierre-Yves Walder.   

WOZ: Pierre-Yves Walder, das Wort «fantastique» ist mit «fantastisch» zwar nur unzureichend übersetzt, aber dennoch: Glauben Sie an das Fantastische?

Pierre-Yves Walder: Pierre-Yves Walder: Ich glaube, ich habe schon immer ein Stück weit in einer anderen Dimension gelebt – zeitweise zumindest. Ein bisschen lebe ich also in meiner eigenen Welt, meinem eigenen Universum. Sonst ginge es nicht. Also ich mag die Realität schon, ich lebe auch darin. Aber für mich existierte schon immer auch etwas ausserhalb von ihr.

WOZ: Also Ausserirdische, Werwölfe oder der Yeti?

Pierre-Yves Walder: Ich spreche eher von der Fantasie im Sinn von Vorstellungskraft. Die Kraft des menschlichen Geistes – selbst wenn das wie ein Klischee klingt. Darum liebe ich auch die Literatur. Ehe ich aufs Kino gekommen bin, habe ich gelesen, gelesen, gelesen. Weil ich nach etwas von anderswo suchte. Nicht weil es mir hier nicht gefiel, aber weil ich Verbindungen herstellen wollte. Das bedeutet «das Fantastische» für mich. Es ist etwas sehr Wertvolles für mich. Das ist für mich auch das NIFFF.

WOZ: Und das andere? Die Gespenster, das Paranormale?

Pierre-Yves Walder: Mit Menschen, die ich kannte und die gestorben sind, kommuniziere ich manchmal schon. Und ich habe Vorahnungen, Träume … – die WOZ-Leser:innen werden mich für verrückt halten.

WOZ: Na ja, immerhin sind Sie der künstlerische Leiter des NIFFF …

Pierre-Yves Walder: Ich träume sehr viel, und ich erinnere mich oft daran. Manchmal träume ich von Dingen, die dann passieren, ohne mein Einwirken. Und dann gibt es natürlich auch die telepathische Kommunikation …

WOZ: Dazu wird ja sogar an Unis geforscht, auch wenn das kontrovers sein mag. Die Grenze zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen verschiebt sich jedenfalls ständig.

Pierre-Yves Walder: Jedenfalls glaube ich an vieles, wenn auch nicht direkt an fliegende Untertassen.

WOZ: Es ist ja interessant, wie gänzlich unterschiedliche Kulturen an dieselben übersinnlichen Dinge glauben. Handelt es sich da um eine Methode, mit Fragen umzugehen, die sich gesellschaftlich stellen? Eine These, die sich wiederum auf das Genrekino übertragen liesse …

Pierre-Yves Walder: Natürlich, darüber sprachen wir ja schon letzte Woche. Genau deshalb versuche ich, mich dem Fantastischen auch aus ungewohnten Perspektiven zu nähern. Mit den Retrospektiven der vergangenen Jahre etwa, «Scream Queer», «Female Trouble» oder «Eat the Rich».

WOZ: Dieses Jahr heisst es «Take Care»: Genrefilme zum Thema Fürsorge und Pflege.

Pierre-Yves Walder: Ja. So wie im Genrekino immer Fragen der Gemeinschaft abgehandelt werden, findet man hier viele ihrer Ängste und Neurosen: Selbstfürsorge, Gaslighting, Love Bombing …

WOZ: Love Bombing?

Pierre-Yves Walder: Wenn man jemanden mit Liebe dermassen überschüttet, dass er oder sie daran zu ersticken droht. Nicht, dass die ganze Retrospektive davon handeln würde. Aber in vielen der Filme erkennt man sehr gut die Bedeutung des Satzes, der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert.

WOZ: Als ob die Begriffe «sich kümmern» und «Kummer» miteinander verwandt wären …

Pierre-Yves Walder: Wer sich um jemanden kümmert, hat das Gefühl, zu helfen, aber in Wahrheit schadet man auch. Gerade auch auf gesellschaftlicher Ebene: «Pass auf dich auf!» ist oft eine sehr gewaltsame Anordnung. Weil es eben auch Menschen gibt, die sich nicht um sich selbst kümmern können, weil ihnen die finanziellen, zeitlichen oder menschlichen Kapazitäten fehlen. Mich hat interessiert, wie das Genrekino seit hundert Jahren mit solchen sozialen Spannungen und Trends umgeht.

WOZ: Viele beklagen sich, dass sich die Jugend kaum mehr fürs Kino interessiere. Das NIFFF hingegen verzeichnet das jüngste Publikum aller Schweizer Filmfestivals, die sich nicht spezifisch an Kinder oder Jugendliche richten.

Pierre-Yves Walder: Festivals laufen ja generell ganz gut. Es stimmt, dass es beim regulären Kino etwas schwieriger ist. Aber wer glaubt, dass sich junge Menschen nicht mehr für Filme interessieren, sollte besser hinschauen. Die Eintrittszahlen beim NIFFF sind jedes Jahr unglaublich hoch, und das gilt auch für die anspruchsvolleren Filme. Es gibt beim jungen Publikum sowohl die intellektuelle Neugier als auch die Lust auf Kino als gemeinschaftliches Ereignis.

WOZ: Machen Sie auch bei den ganzen Ritualen mit – etwa wenn das NIFFF-Publikum mit der Werbung vor den Filmen interagiert?

Pierre-Yves Walder: Normalerweise verlasse ich den Saal nach der Filmpräsentation wieder. Auch ist Kino für mich ein eher intimes Ereignis. Aber ich finde das alles toll, und ich liebe das Publikum, das auch die Filmteams immer warm empfängt.

WOZ: Teilen Sie den Eindruck, dass dieser Cis-männlich-hetero-Vibe, den das NIFFF vor zehn Jahren noch hatte, schwächer geworden ist?

Pierre-Yves Walder: Viel schwächer sogar! Laut unseren Zahlen ist mittlerweile über die Hälfte des Publikums weiblich. Darauf bin ich auch ein wenig stolz, denn das sind die Klischees, zu deren Zerstörung ich wirklich sehr gerne beitrage.

Das NIFFF, das Pierre-Yves Walder (49) zum vierten Mal leitet, dauert noch bis am Sonntag. Nächste Woche zieht er Bilanz.