Ausstellung: Radikale Leichtigkeit
Im Kunsthaus Zürich zeigt der 86-jährige Aktionskünstler Roman Signer, wie man mit Luft, Feuer und Lust am Risiko eine neue Welt baut. Und er verewigt sich auch in einem bissfesten Stück Appenzeller Käse.

In dieser «Landschaft» wird selbst der Abstellraum zur Bühne: Wer sich an die Stirnseite des Pfister-Saals begibt, wird dort – im sonst geschlossenen Funktionsraum – von einer zehnteiligen Videoarbeit empfangen. Sie ruft zwischen 1975 und 1989 entstandene Aktionen von Roman Signer auf, begleitet von einer Gebärdensprachdolmetscherin, die das Geschehen simultan übersetzt. Ein weisser Tisch, an fünf roten Ballonen befestigt, steigt gen Himmel. Roman Signer schiesst mit einem Gewehr auf die Ballone. Der Tisch kracht herunter. Verständlich ist das nicht unbedingt. Die Sprache der Kunst erschliesst sich – wie die der Gebärde – nicht allen. Und darin liegt das Kathartische an Signer: Wer sich auf seine Werke einlässt, muss auf Erklärung nicht aus sein.
Obskure Flugobjekte über Zürich
Die bislang grösste Einzelausstellung des 86-jährigen Ostschweizer Aktionskünstlers inszeniert seine vergänglichen Arbeiten in Form einer skulpturalen Spurensuche durch fünfzig Werkjahre. Der sonst oft mit Stellwänden verschachtelte Saal im Kunsthaus Zürich mausert sich zum munteren Freiluftparcours. Einige Objekte begegnen einem mehrfach. Etwa das Kajak, das sich mal unter Luftdruck bewegt, an anderer Stelle steil von der Decke hängt und schliesslich zerlegt in sieben Einzelteile zu sehen ist. Ein Audioguide, aufgenommen von Signer selbst, liefert hintergründige Anekdoten.
Genauso gut kann man aber auch der eigenen Fantasie folgen, sich fragen, was hier passiert sein könnte – oder noch geschehen wird. Und spätestens wenn man den obskuren Flugstuhl mit Düsenantrieb aus dem Fenster hinaus über die Dächer Zürichs brausen sieht, ist man zur Komplizin des Künstlers geworden.
Roman Signer fand vergleichsweise spät zur Kunst. Er arbeitete als Hochbauzeichner, als er 1969 die legendäre Ausstellung «Live in Your Head: When Attitudes Become Form» in der Berner Kunsthalle besuchte – ein Augenöffner. Statt Exponate mit musealem Ewigkeitsanspruch balancierten Alltagsobjekte und fragile Konstruktionen aus bescheidenem Material vor Wänden und auf Böden. Bei der eigenen ersten Einzelausstellung war Signer 35, von seiner Kunst leben kann er, seit er 60 ist. Längst steht er bei der renommierten Zürcher Galerie Hauser & Wirth unter Vertrag.
Viel Zündstoff
Einem grösseren Publikum bekannt wurde Roman Signer 1989 mit der Aktion «Zündschnur»: Eine solche drapierte er vom Bahnhof Appenzell der Bahnlinie entlang, zündete sie an – und folgte ihr zu Fuss bis nach St. Gallen, als er aus seinem Heimatkanton dorthin zog. Es war nicht das erste Mal, dass sein Status als Künstler ausdauernd debattiert wurde, insbesondere in seiner Heimat, der Ostschweiz.
Signers Faszination für Zündstoff – oder die Tatsache, dass er in einem alten Kurhaus auch mal Hocker aus den Fenstern katapultierte – gilt manchen bis heute als «Lausbubenhabitus», von einigen nachgeahmt, von anderen mit Unbehagen betrachtet. Andere wiederum fühlten sich verpflichtet, in seinem Werk nach Bedeutung zu suchen – und waren überzeugt, sie in der Provokation gefunden zu haben. Dabei hat Signer dem Kunstbegriff nie eine Absage erteilt. Er hat ihm lediglich eine Alternative angeboten. Eine, die näher am Kindsein ist als am Kunstmarkt. Und er kann auch zart. In einer Aktion liess er einen robotisierten Rasenmäher durch einen Raum schweifen, in dessen Mitte eine kleine Glocke, an einem Faden befestigt, über dem Boden schwebte. Die Performance wirkt wie die Suche zweier Liebender, die sich vermutlich nie finden.
Die Explosion, ein reizvoller Kontrast zum sonst eher zurückhaltenden Künstler, liess sich medial aber besser aufgreifen. Und mit Signers Biografie verbinden: Als Junge hörte er einen US-Bomber über sich donnern; sein Vater, ein Musiker, wirkte im Zweiten Weltkrieg als Fliegerbeobachter; der Grossvater war Feuerwehrkommandant. Durch Letzteren soll es – so wusste etwa die «SonntagsZeitung» 1999 zu berichten – schon in den fünfziger Jahren im Appenzellerland zu «mysteriösen Explosionen» auf Waldlichtungen gekommen sein.
So ein Käse
Bei aller Eigenwilligkeit ergibt sich eine Besonderheit von Signers Arbeiten aber auch daraus, dass sie ihn gar nicht unbedingt brauchen. Als er einmal zu einer Performance eingeladen wurde, bei der er aus Zeitgründen nicht selbst erscheinen konnte, schrieb er dem Museumsdirektor einen handschriftlichen Brief: Er werde eine Anleitung liefern, das Material gleich dazu.
Und was hat es mit der Aktion «Käse mit Biss» auf sich, die parallel zur Ausstellung «Landschaft» läuft? Sie begann ganz im typischen Signer-Ton: Er, der Künstler, biss in ein Stück Käse aus seinem Heimatkanton. Dann wurde daraus Kunst – auch, indem das Vorhersehbare eintraf. Der Abguss von Signers Käse mit Gebissabdruck in glänzendem Messing wird als limitierte Edition von fünfzehn Stück à 10 000 Franken verkauft – erhältlich im Webshop der NZZ.
Zweifelsohne: Auch das ist ein Spiel. Aber eines, das sich von einer anziehenden Dynamik verabschiedet hat. Signers Ironie kippt hier ins Dekorative – und verliert an umstürzlerischer Kraft. Der Käse ist übrigens ausverkauft. Lohnender ist sowieso ein Besuch im Kunsthaus.
Die Ausstellung «Landschaft» ist bis 17. August im Kunsthaus Zürich zu sehen. Es gibt ein reichhaltiges Begleitprogramm: www.kunsthaus.ch.