Medien: Mal wieder Pionierin
Die linke deutsche Tageszeitung «taz» erscheint künftig nur noch samstags mit einer gedruckten Ausgabe.

Ab Montag sind die Auslagen der deutschen Kioske um einen Titel ärmer: Die «taz» erscheint künftig werktags nur noch als E-Paper. Lediglich am Samstag vertreibt der Verlag noch eine gedruckte Ausgabe. Damit verschwinden auch die pointierten und kontroversen Titelseiten, für die das linke Blatt bekannt ist, aus den Läden.
«Die ‹taz› ist jetzt in einer Position der wirtschaftlichen Stärke, sodass wir nun tun können, was wir für unvermeidbar halten», sagt die Chefredaktorin Ulrike Winkelmann auf Anfrage. Die Abozahlen seien insgesamt so gut, dass niemand Angst haben müsse: Der Schritt soll ohne Stellenabbau erfolgen.
Diesen begründet die «taz» mit sinkenden Abozahlen im Print. Momentan bekommen 14 000 Abonnent:innen die «taz» täglich nach Hause geliefert. Insgesamt verkauft sich das Blatt werktags rund 36 000 Mal. Auf dem Höhepunkt während der nuller Jahre lag die Auflage teils bei rund 60 000. Obwohl diese seitdem arg geschrumpft ist, hat die «taz» immer noch eine beachtliche Reichweite: Das Blatt liegt auf Platz sechs der meistgelesenen Zeitungen in Deutschland.
Nettigkeiten statt Krawall
Seit 2018 hat man im Haus darüber diskutiert, den Schwerpunkt ins Digitale zu verlagern. Der Schritt wurde wegen Corona verzögert, aber auch, weil es Zweifel gab, ob die Printleser:innen mitziehen würden. «Unsere Abonnent:innen sind etwas älter und deswegen nicht unbedingt digital affiner geworden. Trotzdem haben wir quasi Jahr für Jahr auf sie eingeredet», sagt Winkelmann. Von den 14 000 Printbezüger:innen haben erst vierzig Prozent eine Zusage für ein Digitalabo gegeben. Für Winkelmann kein Grund zur Unruhe: Täglich würden neue Abobestellungen eingehen.
Früher war es in der «taz»-Redaktion üblich, über die eigene Arbeit heftig zu diskutieren. Intrigen gehörten dazu, es kam zu unfreiwilligen Abgängen. Inzwischen herrscht eine zurückhaltendere Redaktionskultur, die von einigen Mitarbeiter:innen auch als zu zahm oder gar «einlullend» beschrieben wird. «Die ‹taz› wandelte sich, ganz anders als wir uns das gedacht hatten, von einem radikalen Szeneblatt zum Medium des neuen alternativen Bürgertums – ihr Weg ähnelte dem der Grünen», schrieb Gründungsmitglied Michael Sontheimer 2009 im «Spiegel», für den er damals arbeitete. Tatsächlich wurde das Blatt mit dem Erfolg der Grünen angepasster – von Pflastersteinen und besetztem Haus zu E-Bike und Alnatura-Supermarkt.
Das zeigt sich auch in der Berichterstattung. Viele Texte wirken heute fast schon angepasst. Die Zeitung fällt kaum mehr durch investigative Geschichten auf, 2019 immerhin noch mit einer Recherche zum rechtsextremen Netzwerk «Hannibal». Zuletzt herrschte um die Zeitung wieder einmal Aufregung, als die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sie mit dem rechtspopulistischen Onlinemedium «Nius» verglich. Kurz darauf gab der abtretende grüne Vizekanzler Robert Habeck der «taz» ein Abschiedsinterview: Klöckner habe immer nur gespalten, sagte Habeck. «Ob mutwillig oder aus Dämlichkeit, weiss ich nicht.» Seine Sprüche schafften es in die ARD-«Tagesschau».
Gegründet wurde die «taz» 1978 auch als Reaktion auf den Deutschen Herbst. Die Rote-Armee-Fraktion hatte den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführt, die Politik eine Nachrichtensperre verhängt, Linken wurde misstraut. In dieser Atmosphäre wollte sich die «taz» als linke Alternative anbieten. Jahrelang war die finanzielle Krise für das Blatt der Normalzustand. 1992 unternahm die Redaktion einen in der deutschen Medienlandschaft bis dahin einmaligen Schritt: Sie organisierte sich – auch auf Anraten des späteren Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) – als Genossenschaft. Mit Erfolg: Momentan besitzen 25 068 Genoss:innen Anteile. Als erste überregionale Tageszeitung hatte die «taz» 1995 eine eigene Website, bis heute ohne Paywall.
Für die Rente zur «Welt»
«Wer hier arbeitet, muss sich das leisten können», lautet ein gängiger Witz unter den Redaktor:innen. Der Einheitslohn liegt weit unter dem Branchendurchschnitt, das Zeilenhonorar ist bescheiden. Weil man mit Idealen allein die Miete nicht bestreiten kann, wechseln «Tazler:innen» für gewöhnlich irgendwann zur bürgerlichen Konkurrenz wie der «Zeit» oder gar zu Springers «Welt».
Die «taz» sollte «ein Medieninstrument für eine Gegenkultur» sein, so sagte einst Thomas Hartmann, einer der Gründer. Davon ist das Blatt mittlerweile weit entfernt. Doch Nörgelei ist einfach. Wahr ist auch: Die «taz» hat nicht nur überlebt, sondern sich auch in einem immer schwieriger werdenden Markt behauptet. Kein Grossverlag, kein Investor, keine Anzeigenkund:innen, sondern solidarische Leser:innen finanzieren die unabhängige Redaktion.
Auch der Aufwind der AfD und der Niedergang der Grünen spielen hierbei eine Rolle. Als das Land bei den Bundestagswahlen im Februar nach rechts rückte, ergab sich für die «taz» auch eine Chance. «Unser Erfolg in der jüngsten Zeit ist auch auf diese Entwicklung zurückzuführen. Die Leute wollen ein Zeichen setzen, wir werden von mehr Leuten gelesen denn je», sagt Winkelmann. Alles in allem komme das Blatt auf rund 95 000 regelmässige Unterstützer:innen. «Das hat es bisher noch nie gegeben.»
Die Autorin war von 2007 bis 2014 Redaktorin bei der «taz».