Medientagebuch: Schlingern im Dschungel

Nr. 24 –

Ulrike Baureithel über den Zustand der einst alternativen «taz»

«Liebe tazlerInnen, das hätte ich nicht gedacht, dass es so weit kommt, dass Ihr eine AfD-Anzeige abdruckt. Ich bin fassungslos – wo zieht Ihr eine Grenze gegen rechts? Was kommt als Nächstes?» Derlei Abokündigungen flattern der deutschen «tageszeitung» («taz») derzeit täglich ins Haus. Manche machten ihrem Frust öffentlich Luft, wie die zitierte altgediente Berliner Aktivistin auf ihrer Website, die sich empört, dass «ihre Zeitung» eine Wahlwerbung der rechtspopulistischen «Alternative für Deutschland» geschaltet hat. «Wir sind käuflich», gingen die Werbeleute der «taz» daraufhin in die Vorwärtsverteidigung.

Es ist nun wahrlich nicht der erste Shitstorm, dem die «taz» in ihrer bald 35-jährigen Geschichte ausgesetzt ist. Es gab mehrere Streiks der Frauenredaktion wegen sexistischer Inhalte, die Empörung über unsägliche sprachliche Entgleisungen eines Redaktors («gaskammervolle Diskothek») und natürlich immer wieder grundsätzliche Unverträglichkeiten zwischen Redaktion und LeserInnenschaft, vor allem in Fragen um Krieg und Frieden. Wer die Entstehung des einstigen Berliner «Sponti»-Blatts miterlebt hat, konnte sich über nichts wundern, ausser vielleicht über den offenbar unerschöpflichen Kredit, den die «taz» seit Tschernobyl bei den LeserInnen immer noch hat.

Die Sache mit der AfD ist symptomatisch für die Probleme des grössten verlagsunabhängigen, aber nicht mehr wirklich basisdemokratischen deutschen Zeitungsprojekts. Es rumort gewaltig, seitdem klar ist, dass auch Hoffnungsträgerin Ines Pohl als Chefredaktorin nicht das einlöst, was sie bei ihrem Antritt versprochen hat: die Zeitung zurück ins linke Fahrwasser zu lenken und sie gleichzeitig krisenfest zu machen. Der chronische Finanzdruck führte zuvor immer wieder zu unpopulären Massnahmen wie etwa zur Kürzung der Honorare fester MitarbeiterInnen im Ausland.

Anfang dieses Jahrs zog der «taz»-Vorstand die Notbremse und nominierte Pohl mit Redaktor Andreas Rüttenauer zur Doppelchefredaktion. Die von der neuen Spitze als Stellvertreterin favorisierte Onlinechefin Frauke Böger fiel in der RedaktorInnenversammlung allerdings durch. Sie hat das Image einer schwachen Frontfrau, die gerne durch deutsche Talkshows turnt und sich dort mit merkwürdigen Statements als Ordnungspolitikerin gibt.

Das Blatt selbst, gegenwärtig noch mit einer Druckauflage von 64 800 Exemplaren, laviert unterdessen etwas haltlos durch den politischen Dschungel, der keine Wegweiser mehr kennt. Im Fall Ukraine war man bei der rhetorischen Aufrüstung gegen Russland gut dabei und erntete wütende Onlinereaktionen. Im Bundestagswahlkampf 2013 reduzierte man den ehemaligen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler auf seine vietnamesische Herkunft und führte vor, wie tief Journalismus sinken kann. Dazu Kehrtwenden allenthalben: So hat die «taz» die Segnungen der Fortpflanzungsmedizin entdeckt und macht sich zum Anwalt der Organspende, vorausgesetzt, sie wird sauber abgewickelt. Auch langjährige MitarbeiterInnen kehren der Zeitung den Rücken – wie der Autor Raul Zelik, der kürzlich öffentlich bekannt gab, er werde nicht mehr für das Blatt schreiben.

Richtig ist: Es ist schwieriger, täglich mit geringen Mitteln eine linke Zeitung für ein notdürftig zusammengeschweisstes 82-Millionen-Volk zu machen als ein wöchentliches Blatt wie die WOZ in einem vergleichsweise überschaubaren, reichen Land. Richtig ist aber auch: Man muss schon wissen, wohin man will.

Ulrike Baureithel war 1990 Mitbegründerin der Wochenzeitung «Freitag». Die «taz»-Gründung wurde 1977 heftig an ihrem WG-Tisch diskutiert. Sie schreibt seit Jahren für die WOZ.