Auf allen Kanälen: Ein offenes Ende
Die «taz» erscheint bald nur noch am Wochenende auf Papier. Der Schritt zum Digitalen ist mutig, doch es bleiben Fragen.
Die gute Nachricht: Die legendär kreativen Titelseiten sind weiterhin täglich zu bestaunen, auch meinungsstarke Texte und fundierte Recherchen wird es unter der Woche weiterhin geben. Die melancholisch stimmende Nachricht: Bald wird die «taz» werktags nicht mehr am Kiosk oder in der Beiz ausliegen. «Mehr taz, weniger Holz», so kündigten die «Tazler», wie sich die Belegschaft selber nennt, Mitte September auf der Genossenschaftsversammlung ihre «Seitenwende» hin zum Digitalen an. Die letzte gedruckte Werktagsausgabe der linken «tageszeitung» mit Sitz in Berlin erscheint am 17. Oktober 2025.
Danach gibt es die «taz» von Montag bis Freitag nur noch als E-Paper und in einer Onlineversion, die weiterhin gratis zugänglich ist. Bloss die samstägliche «wochentaz» soll noch gedruckt werden. Den Wechsel vollzieht man bewusst erst nach der richtungsweisenden Bundestagswahl im September 2025. Die «taz» macht den harten Schnitt 45 Jahre nach ihrer Gründung und vollzieht damit das, worüber die meisten Verlagshäuser bisher nur diskutieren.
Stabile Nerven
Die Kunst des Überlebens beherrschte die «taz» schon immer. Gründungsmitglied Hans-Christian Ströbele hatte zu Beginn bloss gehofft, das Blatt möge «zwei oder drei» Monate überleben. Über die Jahre waren mehrere Rettungsaktionen nötig. Die Umwandlung in eine Genossenschaft 1991 und sicherlich auch der politisch gemässigtere Kurs führten dazu, dass die «taz» wirtschaftlich stabiler wurde. Zeitweise konnte man täglich über 60 000 Exemplare verkaufen. Publizistisch ist das Blatt aus der deutschen Medienlandschaft kaum mehr wegzudenken; doch inzwischen schrumpft die Auflage wie jene der Konkurrenz. Derzeit verkauft die «taz» werktags noch rund 43 000 Exemplare, davon rund 16 000 per Printabo. Im letzten Jahr verlor sie 2000 Abonnent:innen.
Wer bei der «taz» arbeitet, braucht starke Nerven; die Lust am Streiten – manche nennen es Diskussion – ist schon bei der ersten morgendlichen Redaktionssitzung zu spüren. Die Löhne sind unter dem Branchendurchschnitt, eine kleine Redaktion muss täglich eine Zeitung produzieren. Allerdings verlor die «taz» in den vergangenen Jahren im Allgemeinen an politischer Schärfe. Innerhalb der Redaktion wurde auch mal gefragt, ob man mittlerweile die Printversion von «Spiegel Online» sei.
Vor sechs Jahren kündigte die «taz» erstmals öffentlich an, die werktägliche Printausgabe einstellen zu wollen. Die Coronapandemie, während derer die Zeitungsverkäufe wieder zulegten, liess sie das Vorhaben vertagen. Danach setzte sich der Abwärtstrend fort. Zudem gibt es in Deutschland keine strukturerhaltende Presseförderung, und Druck und Vertrieb werden teurer.
Belegschaft verunsichert
Über die «Seitenwende» wurde die Redaktion bereits vor der Genossenschaftsversammlung informiert. Die Leitung fabrizierte Luftballons mit dem Datum der letzten Ausgabe, was einige Genoss:innen kritisierten: Der Anlass sei kein Grund zu jubeln, sondern als ein kritischer Kulturbruch zu betrachten. Die Chefredaktion hat versprochen, dass es keine Kündigungen geben werde. Doch die Arbeitsabläufe werden sich verändern; viele Fragen sind noch nicht geklärt. Insbesondere die Anzeigenabteilung, der Vertrieb und das Layout müssen umstrukturiert werden. Dass die gedruckte Auflage sinkt, die E-Paper-Leser:innen aber nicht im gleichen Ausmass zunehmen, verunsichert die Belegschaft. Lokalzeitungen wissen, dass die Leser:innen Gedrucktes bevorzugen. Gilt das auch fürs «taz»-Publikum?
Dennoch, so hört man aus der Redaktion, sei die Stimmung positiv. Bei den drei gerade zurückliegenden Wahlen in Ostdeutschland hat sich der Rechtsruck manifestiert – und mit Friedrich Merz als CDU-Kanzlerkandidaten sind die Zeiten wie gemacht für das linke Blatt. «Endlich nicht mehr herumdrucksen», schrieb Redaktor Lukas Wallraff in der «taz». Und seine Kollegin Doris Akrap auf Facebook: «All die Leidenschaft, die Liebe zum Detail, der Witz und die Hitz, mit der wir täglich eine gedruckte taz gemacht haben, erreichte immer weniger Menschen. Das war für Redakteur*innen weitaus frustrierender als die Nachricht, dass wir jetzt endlich switchen werden», so Akrap. «Ob digital besser ist, wissen wir natürlich nicht. Digital ist aber definitiv die Gegenwart und bis auf Weiteres die Zukunft.»
Die Autorin war von 2007 bis 2014 Redaktorin bei der «taz».