Ausstellung: Reenactment mit Problemzonen

Nr. 34 –

Das Kunstmuseum Luzern schafft die imposante Rekonstruktion einer Ausstellung von 1935. Die Reflexion zu Luzern als Hotspot des Kunsthandels während der NS-Diktatur gerät aber zum verharmlosenden Eiertanz.

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Gemälde «La liseuse, mère et enfant» von Fernand Léger
«La liseuse, mère et enfant» von Fernand Léger: Werk in der Luzerner Ausstellung «Kandinsky, Picasso, Miró et al.». © 2025, Prolitteris Zurich

Bereits kurz nach der Eröffnung der Ausstellung prallten zwei unterschiedliche Einschätzungen unsanft aufeinander. In mehreren Medien wurde «Kandinsky, Picasso, Miró et al. zurück in Luzern» mit warmen Worten als Kunstereignis des Sommers und als imposanter Kraftakt gefeiert. Die Schau rekonstruiert eine legendäre Ausstellung von 1935 mit Werken der Moderne. Unter der Federführung der Direktorin Fanni Fetzer hat man es geschafft, knapp die Hälfte der ursprünglich ausgestellten Gemälde und Skulpturen nochmals nach Luzern zu holen – ergänzt durch historische Dokumente und ausgesuchte Ersatzstücke für verschollene, zerstörte, nicht identifizierte oder verfügbare Werke aus der Originalschau; und anstatt nur eine sind neu zwei Künstlerinnen dabei.

An einem Podium der «Schweizerischen Geschichtstage», das am 9. Juli im Kunstmuseum stattfand, kritisierten wiederum zwei renommierte Historiker mit deutlichen Worten die mangelnde Vertiefung in die zeitgeschichtlichen Kontexte (siehe «Historische Schelte», woz.ch/taeglich vom 10. Juli 2025). Bemängelt wurde die oberflächliche Auseinandersetzung mit der Rolle von Luzern als internationalem Umschlagplatz für Kunstwerke während der NS-Zeit.

Hohe Schauwerte, wenig Ertrag

Wer durch die Ausstellung streift, kann diese widerstreitenden Wahrnehmungen nie ganz ausblenden. Ohne Frage: Die Schauwerte sind teils fantastisch und einzigartig. Vor vielen Werken und Gegenüberstellungen steht man staunend, um nicht zu sagen ehrfürchtig. Man kann sich vertiefen und verlieren, gerade auch in weniger bekannten Werken – und man sieht Bekanntes von Wassily Kandinsky und Paul Klee mit neuen Augen. Manches scheint qualitativ etwas abzufallen, die Beiträge des Schweizer Malers Hans Erni etwa, der sich hier als Ko-Kurator kühn in die europäische Kunstavantgarde einreihte.

Durch diese Reaktivierung einer beinahe hundert Jahre alten Ausstellung wird man in eine Zeit zurückkatapultiert, als diese Kunst neu, gewagt, umstritten und oft auch verhasst war. Für Sammler:innen war diese abstrakte, surreale «Zeitkunst» noch kaum von Wert, während viele dieser Werke heute den Status unantastbarer Klassiker haben und bei Auktionen Millionenbeträge erzielen. Dabei war auch die Luzerner Ausstellung, wie damals üblich, eine Verkaufsausstellung, jedoch mit sehr bescheidenen Erträgen. Die einzige Frau in der ursprünglichen Auslese, Sophie Taeuber, die nur aufgenommen wurde, weil ihr Mann Hans Arp damit gedroht hatte, seine Werke sonst wieder abzuziehen, schrieb in einem Brief an ihre Schwester, ein «junger Schweizer» wolle eines ihrer «kleinen Bilder», könne aber nur wenig zahlen.

Dieser Hinweis stammt aus dem informationsreichen Ausstellungskatalog, der als Highlight ein Faksimile des Katalogs von 1935 – gestaltet von der Grafikerikone Jan Tschichold – enthält. Auch zum schillernden Dreiergespann, das die Ausstellung von 1935 auf die Beine gestellt hat, gibt es im Band einiges nachzulesen: der Künstler Erni mit seinem Pariser Netzwerk, der damalige Leiter des Kunstmuseums, Paul Hilber, und der Marxist und Kunsthistoriker Konrad Farner als intellektueller Impulsgeber. Zu ihrem Ausstellungskonzept «These. Antithese. Synthese», das auch zum Titel der Schau wurde, hat der Kunsthistoriker Stanislaus von Moos einen aufschlussreichen Essay beigesteuert.

Doch in der Regel besucht man eine Ausstellung nicht mit einem schweren Katalog in der Hand, sondern wendet sich hilfesuchend an die Wand- oder Saaltexte. «Kandinsky, Picasso, Miró et al.» hat wenige solche Textstützen, und sie bleiben, trotz all der greifbaren wie unsichtbaren historischen und künstlerischen Komplexität, seltsam oberflächlich und vereinfacht. Nur wer «die historischen Zusammenhänge» verstehe, könne die Gegenwart «aktiv mitgestalten», heisst es zwar an einer Stelle. Trotzdem überwiegt der Eindruck, dass man viele der anzitierten politischen Dimensionen lieber nicht allzu tief ausloten wollte; wohl um die Ausstellung, die zweifellos viele Sommertourist:innen anlocken soll, nicht mit historischen Abgründen und Luzerner Schattenseiten zu beschweren.

Sicherheit oder Profit?

Einmal abgesehen von der geballten Wucht der hier nochmals neu vereinten Avantgarde von einst: Reenactments sollen immer auch einen neuen Blick auf die Gegenwart eröffnen. Die Kunst von damals schärfe den Blick aufs Heute, verspricht die Kuratorin in einem Interview. Es wäre aufschlussreich gewesen, mehr zu erfahren. Stattdessen erzählt Fetzer immer wieder die Anekdote zur Initialzündung ihrer Ausstellung. Viele hätten ihr gesagt, eine solche aufwendige Rekonstruktion sei zum Scheitern verurteilt – diese Skepsis habe sie widerlegen wollen; was sie mit fünf Jahren intensiver Teamarbeit und einigen Kosten nun geschafft hat.

Im Bericht der Schweizer «Tagesschau» zu «Kandinsky, Picasso, Miró et al.» fällt der Satz, Kunst, «die in NS-Deutschland als entartet galt», sei damals in der Schweiz «in Sicherheit gebracht» worden, was höchstens eine halbe Wahrheit darstellt: Die Kunst wurde hierzulande nicht nur gerettet, sondern vor allem auch gewinnbringend verkauft. Warum ausgerechnet Luzern zum Hotspot für den Kunsthandel während der NS-Diktatur wurde, erklärt Fetzer in der «Tagesschau» wie auch in ihrem Katalogtext «Warum hier?» so: Luzern liege weit weg von der Grenze, geschützt hinter Bergen, habe eine schöne Landschaft und eine grossartige Hotellerie. Da werden also mit quasi touristischen Argumenten und einem aufgewärmten Réduitmythos – ergänzt durch den Zusatz, die Schweiz habe «Rechtssicherheit und politische Stabilität» garantiert – die vielfältigen Verstrickungen und der Umgang mit Verfolgten banalisiert oder in die Fussnoten verbannt.

Auktion mit «entarteter Kunst»

Eine solche verharmlosende Darstellung erstaunt gerade auch in Anbetracht der in den letzten drei Jahrzehnten geleisteten historischen Forschung, etwa von der Bergier-Kommission, von Hans Stutz oder von Thomas Buomberger in seinem bis heute brisant zu lesenden und online frei zugänglichen Buch «Raubkunst. Kunstraub». Diese Historiker:innen beschreiben, wie Luzern vor allem deshalb zum beliebten Kunstumschlagplatz wurde, weil hier im Windschatten des «Fremdenverkehrs» und der «Neutralität» ideale Bedingungen herrschten, um mit Nazideutschland Geschäfte einzufädeln und mit Sammlungen von verfolgten und enteigneten Jüdinnen und Juden Geld zu machen. In Suiten der «grossartigen Hotellerie» fand ein reger, heimlicher Kunsthandel statt, Provenienzspuren wurden verwischt.

Eine Schlüsselfigur war der Luzerner Kunsthändler Theodor Fischer. Er profitierte direkt und indirekt von der NS-Diktatur und schreckte vor antisemitischen Verleumdungen nicht zurück, diffamierte so auch missliebige Konkurrenz. Berührungsängste mit Raubkunst zeigte er kaum und verkaufte in den 1940er Jahren dreizehn Bilder an das geplante «Führermuseum» in Linz. Auch Waffenfabrikant Emil Bührle, der die Nazis belieferte, war ein guter Kunde Fischers.

Von der Ausstellung im Kunstmuseum 1935 lässt sich ein Bogen spannen zur Auktion, die 1939 von der Galerie Fischer ausgerichtet wurde: Fischer versteigerte Werke aus der Hetzausstellung «Entartete Kunst» von 1937, in der auch Künstler der Luzerner Schau von 1935 geschmäht wurden. Die Gewinne aus dieser Luzerner Auktion von 1939 flossen, direkt oder indirekt, in Hitlers Kriegskassen. Solche historischen Tatsachen hätten eine ebenso deutliche Erörterung verdient wie landschaftliche Argumente.

Für das Kunstmuseum Luzern sind diese Verbindungen auch deshalb von Belang, weil die Bande zur Galerie Fischer eng waren und sind: Im Originalkatalog von 1935 prangt auf der Rückseite des Umschlags ein ganzseitiges Inserat der Galerie Fischer. Als «Freund des Kunstmuseums Luzern» wird im neuen Katalog der Enkel von Theodor Fischer verdankt, der die Galerie in dritter Generation führt und Recherchen in seinem Firmenarchiv für unabhängige Forscher:innen erschwert hat. Immerhin: In einer Fussnote steht auch, dass das «besondere Kapitel» der Rolle des Kunstmuseums Luzern in den dreissiger und vierziger Jahren «seit einigen Jahren» Gegenstand einer Aufarbeitung sei. Gut so. Eine solche Durchleuchtung ist eine ebenso wichtige Investition in die Zukunft wie das stolze Reenactment einer historischen Ausstellung.

«Kandinsky, Picasso, Miró et al. zurück in Luzern» in: Luzern, Kunstmuseum, bis 2. November 2025, www.kunstmuseumluzern.ch.

Der Katalog «these antithese synthese rekonstruiert» ist bei Skira Edition erschienen.