Wirtschaftspolitik: Die Schweiz verheddert sich im System Trump
In der neuen Handelsordnung von Donald Trump regieren Willkür, Günstlingswirtschaft, Absolutismus und Leugnung der Klimakrise. Es wäre fatal, würde sich die Schweiz dem beugen.


Mehr Symbolik geht nicht. Ausgerechnet zum Nationalfeiertag macht der mächtigste Mann der Welt den so erfolgsverwöhnten Schweizer Wirtschaftsführer:innen einen Strich durch die Rechnung. 39 Prozent Zoll wollen die USA ab dem 7. August auf aus der Schweiz importierte Produkte verlangen. Und auch falls nach Redaktionsschluss Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin in Washington noch einen Deal haben aushandeln können, ist klar: Die Schweizer Exportwirtschaft ist in Bedrängnis.
Trump missfällt, so die offizielle Begründung, dass die Schweiz mehr in die USA exportiert, als sie von dort importiert; 38,5 Milliarden Franken beträgt dieses Handelsbilanzdefizit. Ziemlich offensichtlich ist jedoch, dass sich der weltweit fünfthöchste US-Zolltarif (nach Brasilien, Syrien, Laos und Myanmar) vor allem gegen die Schweizer Pharmaindustrie richtet – die paradoxerweise vom Zoll ausgenommen ist, obwohl Pharmaprodukte, also vor allem Medikamente, fast die Hälfte des Schweizer Exports in die USA ausmachen. Auch der deutsche Ökonom und Politologe Christoph Scherrer, der sich seit Jahrzehnten mit der globalen Handelspolitik beschäftigt, ist davon überzeugt: «In den USA sind die hohen Medikamentenpreise ein grosses Ärgernis in der Bevölkerung. Der Populist Donald Trump will zeigen, dass er sie senken kann.» Allerdings wäre es kontraproduktiv, einen hohen Zoll auf Medikamente zu erheben, denn das würde sie nur weiter verteuern. Trump hat deshalb den Pharmakonzernen einen Brief geschrieben und sie aufgefordert, von sich aus die Preise zu senken. Möglicherweise will er auch die Schweizer Politik dazu bewegen, auf Novartis und Roche Druck auszuüben.
Verbände schüren Panik
Seit Trumps Ankündigung werweissen Politikerinnen und Experten in der Schweiz darüber, wie Trump besänftigt werden könnte, damit er seinen «Zollhammer» zurückzieht. Offenbar ist an einer bundesrätlichen Videokonferenz vom Montag erwogen worden, ob die Schweiz noch mehr Rüstungsgüter und auch Flüssiggas aus den USA kaufen solle. Bürgerliche Politiker:innen fordern zudem die Abschaffung der eben erst eingeführten OECD-Mindeststeuer für Grosskonzerne, die Trump ein Dorn im Auge ist.
Gleichzeitig schüren Wirtschaftsverbände Panik und nutzen die Krise, um alte Forderungen aufzuwärmen: Swissmem, der Branchenverband der Techindustrie, fordert etwa ein Einfrieren der Sozialausgaben, den Verzicht auf einen Elternurlaub und keinen weiteren Ausbau der AHV. Zudem soll das Kriegsmaterialgesetz gelockert und die Klimapolitik abgebremst werden. In die gleiche Kerbe schlägt der Schweizerische Gewerbeverband. Der Beamt:innenapparat müsse verkleinert und «dem ausufernden Wachstum des Sozialstaats Einhalt geboten werden».
Die Reaktionen zeigen, dass sich die Schweiz im System Trump zu verheddern droht, einem «System der imperialen Bevorzugung», wie es die liberale Zeitschrift «The Economist» charakterisiert. Wer Trump nachgibt und seine Launen befriedigen will, wird mit immer neuen Forderungen rechnen müssen. Trumps Zollpolitik ist reine Machtpolitik, bei der es ihm darum geht, sich einerseits als Herrscher zu inszenieren, aber andererseits auch spezifische Interessen durchzusetzen, die oft wenig mit volkswirtschaftlichen Erwägungen zu tun haben, sondern vielmehr seinen persönlichen politischen und wirtschaftlichen Interessen und denjenigen seiner Verbündeten dienen. Die Staaten haben im Interesse einzelner US-Konzerne etwa Regeln der Autosicherheitsprüfung zu lockern oder medizinische Standards anzupassen – und immer auch grosse Investitionen in den USA zu versprechen.
Deal auf dem Golfplatz
Ein Blick auf die in den letzten Wochen bekannt gewordenen Zollvereinbarungen sowie auf Trumps einseitige Zolldekrete zeigt die ganze Bandbreite seines Systems: Kanada zum Beispiel, mit dem die USA die engsten Handelsbeziehungen unterhalten, wird seit Trumps Amtsbeginn konsequent abgestraft und gedemütigt. Trump kann das, weil über zwei Drittel der kanadischen Exporte in die USA gehen. Obwohl Kanada zum Beispiel eine Steuer für digitale Dienstleistungen, die besonders US-Technologiekonzerne betroffen hätte, einen Monat zuvor zurückgenommen hatte, verkündete Trump am 31. Juli, dass kanadische Güter ab dem 7. August mit 35 Prozent Zoll belegt würden. Kanadas Premierminister Mike Carney versuchte zuvor, mit Trump zu telefonieren, dieser verweigerte jedoch das Gespräch.
Trump hält den Druck auf Kanada aufrecht und mischt sich in dessen Politik ein. So hat er letzte Woche die Ankündigung der kanadischen Regierung, Palästina als unabhängigen Staat anzuerkennen, mit der Bemerkung kommentiert: «Das wird es für uns schwer machen, ein Handelsabkommen zu schliessen.» Permanent liegt auch die Drohung in der Luft, dass Trump das Freihandelsabkommen USMCA beendet, das derzeit noch einen Grossteil der kanadischen Exporte vor Zöllen schützt.
Mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Trump demgegenüber zwischen zwei Golfpartien in Schottland einen «Deal» erzielt, gemäss dem der neue Zoll für Waren aus der EU 15 Prozent beträgt. Allerdings ist diese Übereinkunft nicht viel mehr als eine Absichtserklärung. «Es ist eine Illusion, zu glauben, dass nun Ruhe herrscht», sagt dazu Christoph Scherrer. Handelsübereinkünfte seien in der Regel Hunderte Seiten lang – doch bisher liegen erst ein- bis zweiseitige Faktenblätter der EU und des Weissen Hauses vor, die sich auch noch widersprechen. So behauptete Trump am Dienstag in einem TV-Interview, bei den 600 Milliarden Dollar, die die EU als Teil des Deals in Aussicht gestellt habe, handle es sich nicht um Investitionen europäischer Unternehmen in den USA, sondern quasi um ein Geschenk, über das er frei verfügen könne. Halte sich die EU nicht daran, werde der Zolltarif auf 35 Prozent steigen. Die EU wird sich also auf immer neue Zusatzforderungen einstellen müssen, etwa auch zugunsten der US-Technologiekonzerne.
Der inszenierte LNG-Boom
Einschneidend ist die Verpflichtung der EU, in den nächsten drei Jahren jeweils für 250 Milliarden Dollar Flüssiggas (LNG) aus den USA zu importieren. Damit befriedigt Trump die fossile Industrie, seine engsten Verbündeten und Geldgeber. Schon heute sind die USA beim LNG-Export Weltmarktführer. Und das soll noch stark ausgebaut werden.
Die US-Energiekonzerne sind daran, mit Hunderten Milliarden Dollar Investitionen ihre Kapazitäten mindestens zu verdreifachen. Derzeit sind acht Flüssiggasterminals im Bau und weitere sieben Projekte in Planung. Für das Klima ist das verheerend. Die Klimabilanz des Energieträgers Flüssiggas aus den USA ist sogar schlechter als diejenige von Kohle, hat Robert Howarth, Professor für Ökologie und Umweltbiologie an der renommierten Cornell University im Bundesstaat New York, vergangenes Jahr in einer Studie berechnet. Im Gegensatz zu konventionellem Erdgas, das primär zu CO₂-Emissionen bei der Verbrennung führt, entstehen beim US-Gas zusätzliche Methanemissionen bei der Gewinnung durch Fracking, und es bedingt einen sehr hohen, mit Emissionen belasteten Energieaufwand bei der Verflüssigung und beim Transport. Howarth warnte denn auch zusammen mit anderen Wissenschaftler:innen an der Klimakonferenz von Bonn im Juni die Staaten davor, auf LNG zu setzen.
Ob die EU in den kommenden Jahren die grossen Mengen an LNG aus den USA braucht, ist völlig unklar. Sie würde sich einseitig von US-Gas abhängig machen und müsste andere Lieferanten fallen lassen. Auch ist offen, ob die EU den privaten Energiefirmen überhaupt vorschreiben kann, nur noch in den USA einzukaufen. Das Wichtigste aber ist: Die EU hat sich verpflichtet, ihren CO₂-Ausstoss schrittweise zu senken. Mit dem Gasimport aus den USA macht sie nun genau das Gegenteil und trägt zur Erweiterung der LNG-Strukturen bei. Der Ökonom Scherrer glaubt denn auch, dass die jetzige Übereinkunft den Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU abbremsen wird.
Dagegenhalten ist besser
Trumps Machtspiel mit den Zöllen richtet sich aber auch gegen innen, wie Scherrer sagt. «Wir sehen in den USA eine neue Form von ‹crony capitalism›», also eine Art «Kumpelkapitalismus». Trump belohnt jene Firmen, die ihm gegenüber Wohlverhalten zeigen. So hat er etwa am 11. April Mobiltelefone, Chips und Computer von den Importzöllen befreit, was dem US-Konzern Apple einen Kurssprung an der Börse bescherte. Zuvor hatte Trump mit Apple-CEO Tim Cook gesprochen und sich danach gebrüstet, dass er ihm geholfen habe. «In Trumps erster Amtszeit gab es immerhin noch einen einigermassen durchschaubaren Prozess», sagt Scherrer. «Jetzt herrscht reine Willkür.» Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg werden die Regeln ad hoc gemacht. Statt eines formellen Prozesses müssten sich Firmen mithilfe von Lobbyist:innen an die Ministerien wenden, doch am Ende entscheide Trump in Eigenregie. Laut einer von Bloomberg zitierten Studie mehrerer US-Wissenschaftler:innen lässt sich nachweisen, dass Trump bei der Gewährung von Ausnahmen mehrheitlich jenen Unternehmen hilft, die zuvor bei den Wahlen republikanische Kandidat:innen unterstützten.
Soll sich die Schweiz also diesem System beugen? Nein. Auch wenn es nun Parmelin und Keller-Sutter gelingt (oder bereits gelungen ist), einen Deal auszuhandeln – der Druck Trumps wird nicht aufhören. Damit wird auch die Unsicherheit für Unternehmen bleiben, was für künftige Investitionen Gift ist. Die Schweiz werde wohl in eine leichte Rezession geraten, falls es bei den 39 Prozent bleibe, mutmasst der «Economist». «Doch die flexible Wirtschaft der Schweiz wird sich anpassen können», schreibt das Wirtschaftsblatt.
Statt vor Donald Trump den Bückling zu machen, sollte die Schweizer Politik den Mann so gut es geht ignorieren und stattdessen an der Stärkung einer gerechten, auf Regeln basierenden und nachhaltigen Weltwirtschaft arbeiten und allfällige Arbeitsplatzverluste so gut wie möglich mit staatlichen Mitteln abfedern.