Von oben herab: Alles Käse
Stefan Gärtner über Frisches und Gereiftes
Es ist, bei meiner Treu, der unbesinnlichste Advent, an den ich mich erinnern kann: Ich muss mir einen Backenzahn ziehen lassen, habe eine heikle geschäftliche Entscheidung zu treffen, die halbe Familie ist krank, und der Tennisarm, den ich mir im Frühsommer beim Heckenschneiden geholt habe, tut auch schon wieder weh. Neulich bin ich an einem Tag in drei (!) Arztpraxen (Kinderärztin, Orthopäde, Augenarzt) gewesen, was mir mein Lebtag noch nicht geglückt war, und meine Agentin fand mein frisches Romanmanuskript so schlecht, dass sie mir sinngemäss schrieb, sie wolle bitte nie mehr von mir hören.
Das Letzte, was ich also gebrauchen kann, ist noch mehr Aufregung, und also kommen mir diese beiden Meldungen sehr gelegen: Erstens sind, dem jüngsten Ranking meiner Lieblingszeitschrift «Bilanz» zufolge, die Reichen in der Schweiz noch reicher geworden, und zweitens finden die World Cheese Awards nächstes Jahr in Bern statt. Also eine Schweizer Käseweltmeisterschaft, wie sie der «Bilanz» doch eigentlich gar nicht zu nehmen ist!
Denn sollen Reiche nicht automatisch reicher werden, muss man sie entweder in die Spielbank oder vor ein Revolutionstribunal zwingen, und da beides mit dem freiheitlichen Rechtsstaat nicht zu machen ist, kann die «Bilanz» freudestrahlend Bilanz ziehen: «Rekorde im Reich der Milliarden», womit nicht China gemeint ist, obwohl es da längst sehr viel Rekordvermögen gibt. Wo Geld ist, kommt Geld hin, so einfach ist das, und uns gnadenlos geldskeptischen Weltverbesserern bleibt nur übrig, unter Zuhilfenahme der unbezahlbaren, edel benamsten Website kaesewelten.info zu überlegen, welche Käsesorten (in alphabetischer Reihenfolge!) die Superreichen und Leistungsbereiten der Schweiz und die Schönen und Wichtigen weltweit bevorzugen. Und wer immer dachte, im Leben schon genug schlechte Wortspiele gehört zu haben, kann sich raclettewarm anziehen und dabei gleich die persönliche Expertise testen. Denn man muss schon wissen, dass es einen Käse namens «Aarewasser» gibt, um zu lachen über «Aareschampus», nicht zu schweigen von Butlerkäse; Berner Nobelkäse; Chaumes-Wein; Chévrotary; Dernier Brie; Forzamorano; Züriseeländer; Gier ist Gailtaler Almkäse; Gorgonzola dolce vita; Halloumilliarde; Mehrdammer; Le Pilota (Privatjet); Plaisir au Champagne; Le Porsche Cabriol; Portemonnaiedamer; Richcotta; Scamorra; Schlierbacher Schlosskäse; Sprinz; Raffelost; Tele-imma-mea; Unsichtbare Handkäse; Urnäscher Edelholzfasskäse; Walliser Vontobelkäse; Villendachsteiner oder Zuger!
Reife Sache – und die Lohnabhängigen, Armen und Abgehängten? Was spachteln die? Im Zweifel Berg- und Taleggio; Blasscarpone; Deppenkäse; Friede-den-Hüttenkäse; Ganztiefländer; Gewerkschaftsbündner Bergkäse; Livarot; Memmentaler; Milbenkäse; Motzerella; Pocorino; Pommes mit Majorero; Poorly; Rappenzeller; Rock fort; Slimburger; Tête de Monnaie und La vache qui ne rit pas …
Dass ich bald zum Zahnarzt muss, geschieht mir da wohl recht, aber immer noch besser, als wenn die Kinder Hand-Mund-Käsefuss hätten, Cathare oder sonst irgendein Ouda, der Grosse kann eine ganz schöne Mimolette sein – sind zwar keine Babybels mehr, aber die Mamirolle ist dann, zu trösten, während wir Feta irgendwann für Romadour sorgen. Mein Gottéron, schliesslich brauche ich meine Ruhe, muss den Raclettebegriff der Kritischen Theorie studieren oder wenigstens die jüngste EU-Verordnung (Brusselse Kaas)! Doch bloss keine Panir, wie lang wirds dauern, und die Kleinen sind Nieheimer, und ich Innviertler Abgereifter kann einen grossen Batzos Musik hören. Mein Favorel: «Another Brick in the Wall». Dann der Gattin noch ein paar Fleurs du Maquis gekauft, und zum Feierabend einen Pitchou kühles Jarlsberg, schliesslich ist die Kollumer fertig. Ziemlich Stinking Bishop diesmal, aber was soll ich sagen: Morbier vos salutat!
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.