Banken-PUK: Nie wieder Notrecht

Nr. 23 –

Die Parlamentarische Untersuchungskommission muss nichts weniger als die demokratische Kontrolle über den Finanzplatz wiederherstellen. Dafür braucht sie Unabhängigkeit, Neugier und Mut. Und Friedrich Dürrenmatt.

Symbolbild: 2 Personen öffnen Bankschliessfächer
Die Schweiz – eine Bank: Alle sind Bankangestellte und Ban­ken­retter:in­nen zugleich – damit niemandem auffällt, wie abhängig die Politik vom Finanzplatz ist. Foto: Martin Rütschi, Keystone

Im labyrinthischen Werk von Friedrich Dürrenmatt sind es nur einige Seiten, doch seine Rede auf Václav Havel ist ein Schlüssel zum Verständnis der jüngeren Schweizer Geschichte. Gerade auch, wenn National- und Ständerat im Verlauf dieser Woche beschliessen, eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zur Aufklärung der CS-Rettung einzusetzen.

«Die Schweiz – ein Gefängnis»: So lautete der programmatische Titel der Ansprache, die der Schriftsteller im November 1990 auf den früheren Dissidenten und damals amtierenden Präsidenten der Tschechoslowakei hielt. Die Schweizer:innen hätten sich, so Dürrenmatt, aus Angst vor dem Weltenlauf und zum Schutz des Profits ins Gefängnis ihrer Neutralität geflüchtet. Damit aber nicht der Verdacht aufkomme, dass sie gefangen seien und nicht frei, hätten sie die allgemeine Militär-, genauer: eine Wärterpflicht eingeführt. «Jeder Gefangene beweist, indem er sein eigener Wärter ist, seine Freiheit.»

Die Schweiz – eine Bank: Diese Interpretation drängt sich über drei Jahrzehnte und zwei Grossbankenrettungen später auf. Ein Land als Bank, in der alle Bankangestellte und Bankenretter:innen zugleich sind. Damit bloss niemandem auffällt, in welcher Abhängigkeit vom Finanzplatz sich die Politik befindet.

Freisinnige Selbstherrlichkeit

Anders jedenfalls ist der denkwürdige Sonntagabend vom 19. März nicht zu erklären, an dem die Finanzministerin der freisinnigen Partei gemeinsam mit den Bankenchefs die Rettung der CS verkündete, per Notrecht und mit 259 Milliarden Franken von Bund und Nationalbank. Wobei Karin Keller-Sutter, einst mit dem Slogan «Privat vor Staat» in den Bundesrat gewählt, allen Ernstes behauptete, es handle sich keinesfalls um eine Staatsrettung. Sie schloss mit den Worten: «Wir sind der UBS dankbar, wir sind aber auch der Credit Suisse dankbar.»

Spricht so eine Politikerin? So spricht eine Komplizin, die mit ihrer Partei in den letzten Jahren jede griffige Regulierung der Grossbanken bekämpft hat. Gleichzeitig benutzen die Freisinnigen den Staat stets zur Absicherung ihrer eigenen Geschäfte, von der Gründung der Escher-Bank 1856 bis heute. Wie ungebrochen die Selbstherrlichkeit ist, demonstrierte diese Woche der einstige CS-Verwaltungsratspräsident Walter Kielholz, ebenfalls FDP. Nur drei Monate nachdem die Steuerzahler:innen Milliarden für die Rettung der Credit Suisse aufgebracht hatten, forderte er im «Tages-Anzeiger», dass Nationalbank und Bund bei Krisen auch die künftige UBS stützen müssten: die Schweiz – eine Bank.

Kurz bevor Friedrich Dürrenmatt 1990 seine berühmte Rede hielt, war der Fichenskandal aufgeflogen. Eine PUK hatte einen gigantischen Überwachungsapparat freigelegt, der Hunderttausende bespitzelte. Eine zweite PUK hatte zudem die Geheimarmee P-26 ans Tageslicht befördert. Die Geschichte dieser Untersuchungen wird gerne als Krimi erzählt, doch ihre Leistung liegt in einem Demokratisierungsschub: Dank der Aufklärung ist dem Parlament heute die Kontrolle über die geheimen Bereiche des Staates überhaupt möglich.

Um einen solchen Demokratisierungsschub geht es auch jetzt bei der PUK zur Credit Suisse wieder. Ihr Anspruch muss darin liegen, dem Parlament die Kontrolle über die Grossbanken zurückzugeben. Oder um es auf eine einfache Formel zu bringen: Nie mehr Notrecht zur Rettung einer Bank.

Die CS beginnt im Kopf

Die PUKs zu Fichen und Geheimarmisten bewirkten nicht nur eine politische, sondern auch eine mentale Veränderung: Sie beförderten das Ende der Schweiz als militärisch geordnete Gesellschaft mit, die in einem strammen Antikommunismus verhaftet war. Im besten Fall gelingt es nun, sich aus der Abhängigkeit der Banken zu befreien. Die Wollmützen des Credit-Suisse-Vorläufers SKA, die in den siebziger Jahren nach dem Chiasso-Steuerbetrugsskandal an Schulkinder verteilt wurden, stehen als kuschliges Sinnbild dieser Vereinnahmung: Heute durchdringt die CS längst nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft (Finanzierung von Professuren), den Sport (Sponsoring der Fussballnati) und die Kultur (Bührle-Skandalbau).

Dass sich die Demokratie tatsächlich zurückmelden könnte, zeigte sich ein erstes Mal, als das Parlament Keller-Sutter die Bestätigung der Milliardengarantie zur CS-Rettung verweigerte. Allerdings brauchte es dafür auch nur Gratismut. Dass nun eine PUK eingesetzt wird, ist schon bemerkenswerter. Nach der Rettung der UBS 2008 konnte eine solche von den Bürgerlichen noch knapp verhindert werden (natürlich durch eine FDPlerin: Erika Forster). Offenkundig will nun im Wahljahr niemand auf der falschen Seite stehen.

Der Auftrag der PUK, wie er diese Woche in den Räten diskutiert wird, ist schwammig formuliert. Gerade das macht seine Stärke aus: Im weitesten Sinn soll «die Geschäftsführung der letzten Jahre» der Behörden im Zusammenhang mit dem CS-Ruin untersucht werden. Dazu sind fast alle Fragen möglich – und damit beginnt nun einmal jede spannende Untersuchung.

Gewiss möchte die Öffentlichkeit wissen, was die beteiligten Institutionen und Firmen in den letzten Tagen vor der CS-Rettung taten: Welche Lösungen wurden diskutiert? Wer setzte dabei wen unter Druck? Aber auch die letzten Monate und Jahre sind interessant: Wer reagierte auf die Skandalserie bei der Credit Suisse und wer nicht? Wer hatte überhaupt die Mittel dazu? Dabei stellen sich auch strukturelle Fragen zur Verfilzung der bürgerlichen Politiker:innen mit der Grossbank: Was wusste etwa FDP-Ständerat Ruedi Noser über die Greensill-Geschäfte, die er als Verwaltungsrat einer Tochterfirma der Credit Suisse verantwortete und die zum Vertrauensverlust der Bank beitrugen (siehe WOZ Nr. 16/23)? Und warum bloss behauptete SVP-Finanzminister Ueli Maurer kurz vor seinem Rücktritt, man solle die CS ein, zwei Jahre in Ruhe lassen?

Die PUK kann Zeug:innen vorladen. Sie hat ein Budget von fünf Millionen Franken. Sie kann Personal beschäftigten und Berichte bei Ökonominnen oder Historikern in Auftrag geben. Denn ist das Ende der Credit Suisse tatsächlich zu verstehen, wenn man nicht die ganze Geschichte der Finanzialisierung der Wirtschaft seit der Auflösung des Bretton-Woods-Abkommens von 1973 in den Blick nimmt? Also die Durchsetzung der Maxime des Shareholder-Value, wie sie in der Schweiz von SVP-Milliardär Christoph Blocher und seinem Börsenkumpan Martin Ebner vorangetrieben wurde? Die Abkopplung von Finanzprodukten von realen Gegenwerten, die sich im Greensill-Skandal um nicht existente Lieferkettenverbriefungen exemplarisch in Luft auflösten? Und welchen Schaden hatte schliesslich der Globale Süden bei all den CS-Geschäften, etwa in der Moçambiqueaffäre, die den afrikanischen Staat in tiefste Armut stürzte?

Bloss nicht langweilen

Selbstverständlich warnt die NZZ bereits, eine PUK dürfe nicht zum Vorwand dienen, den Finanzplatz Schweiz zu schwächen. Als ob nicht kürzlich eine Grossbank die Demokratie geschwächt hätte. Gewiss werden bürgerliche Lobbyist:innen auf Teufel komm raus versuchen, dass nur das Handeln der staatlichen Institutionen untersucht wird, nicht aber die ruinöse Geschäftstätigkeit der Grossbank. Als ob Markt und Staat ein dichotomischer Gegensatz wären und sich das eine ohne das andere verstehen liesse. Zugegeben, hat die Untersuchung durch das Parlament bereits in der Anlage einen Schwachpunkt: Es wird für das Parlament kompliziert, das eigene Fehlverhalten zu untersuchen.

Doch eine Geschichte, um nochmals Dürrenmatt zu zitieren, ist dann zu Ende gedacht, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Diese Wendung, da ist Kielholz durchaus recht zu geben, wäre erreicht, wenn eine Rettung der UBS notwendig würde: Sie könnte die ganze Volkswirtschaft in den Abgrund reissen. Das muss das Parlament verhindern – mit der Untersuchung der PUK, aber auch mit einer Redimensionierung des Finanzplatzes.

So gesehen ist den Mitgliedern und dem Präsidium der Untersuchungskommission, wer auch immer sie sein werden, nur viel Glück zu wünschen: Sie müssen möglichst unabhängig, neugierig und mutig sein. Und den alten journalistischen Grundsatz beherzigen: Bloss keine Recherche, die einen selbst langweilt. Das Publikum will etwas erfahren. Der Einsatz von 259 Milliarden Franken ist schliesslich hoch genug.