Supreme Court: Ein Gericht, vor dem man die Bevölkerung schützen muss
Universitäten dürfen die Chancengleichheit nicht mehr fördern: Das oberste Gericht der USA demonstriert einmal mehr seine Macht. Werden die Demokrat:innen nun endlich für eine Reform des Gerichts kämpfen?
Wenn es um das Erbe Donald Trumps geht, wird gerne das Bild der «verbrannten Erde» bemüht. Man stellt sich ein politisches Feld vor, auf dem nichts mehr wächst ausser vielleicht giftiges Kraut zwischen den Trümmern. Das stimmt zwar, irgendwie. Mit etwas Abstand zu seiner Präsidentschaft zeigt sich jedoch immer deutlicher, dass Trump wesentlich mehr als nur verbrannte Erde hinterlassen hat: ein ausserordentlich effektives rechtskonservatives Justizsystem nämlich.
Insgesamt 234 Bundesrichterinnen und -richter bestimmte der 45. Präsident der USA in seinen vier Regierungsjahren, allesamt auf Lebenszeit. Drei davon, Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett, gehören als Mitglieder des neunköpfigen Supreme Court zu den mächtigsten Menschen des Landes. Sie gestalten die Politik aktiv mit, sehr wahrscheinlich für Jahrzehnte. Und diese Politik, das haben mehrere Urteile in der vergangenen Woche nochmals unterstrichen, ist eine, die Sozialreformen blockiert, Minderheiten diskriminiert und Bürger:innenrechte einschränkt.
Ein Signal gegen Minderheiten
Für das grösste Aufsehen sorgte der Supreme Court jetzt mit seiner Entscheidung, dass Universitäten bei der Auswahl der Student:innen nichtweisse Bewerber:innen nicht mehr bevorzugen dürfen. Die als Affirmative Action bekannte Praxis war seit den 1960er Jahren zum Einsatz gekommen, um die Chancengleichheit insbesondere für Schwarze zu verbessern. Ein bescheidener Ansatz der Korrektur also nach Jahrhunderten der Ausbeutung und Unterdrückung. Zusätzlich skandalös macht dieses Urteil, dass Unis in anderen Belangen immer noch begünstigen dürfen. Bewerber:innen, deren Eltern oder Grosseltern bereits die entsprechende Uni besucht haben, sowie Kinder grosszügiger Spender:innen bleiben im Vorteil.
Ein deutliches Signal gegen Minderheiten sandte der Supreme Court auch mit einem anderen Beschluss: Privatunternehmen ist es demnach erlaubt, ihre Dienstleistungen gleichgeschlechtlichen Paaren zu verwehren. Geklagt hatte eine christliche Grafikdesignerin aus Colorado, die keine Hochzeitswebsites für Homosexuelle erstellen will. Das Gericht gab ihr mit Bezug auf die Meinungsfreiheit recht. Wie mehrere Medien inzwischen berichtet haben, gab es den im Prozess zitierten Auftrag eines schwulen Paares an die Grafikdesignerin jedoch nie. Das ganze Urteil beruht also auf gefälschten Dokumenten.
Enorme materielle Konsequenzen hat eine weitere Entscheidung des Supreme Court. Es kassierte den von Präsident Joe Biden geplanten Teilerlass von Studienkrediten. Bis zu 43 Millionen Menschen hätten von diesem Gesetz profitiert: ein kleiner Lichtblick angesichts der gewaltigen Schuldenlast, die viele Haushalte in den USA plagt. Das Gericht entschied jedoch, dass die Regierung mit dem Urteil ihre Kompetenzen überschritten habe. Immerhin kündigte Präsident Joe Biden direkt nach dem Urteil an, die Schuldentilgung nun über den sogenannten «Higher Education Act» erreichen zu wollen – ein 1965 erlassenes Gesetz, das es dem Bildungsministerium erlaubt, Schulden einzutreiben und zu erlassen. Von linken Aktivist:innen hört man schon länger, dass dieser Weg vielversprechender wäre.
Hoffnung auf «Ungehorsam»
Was bleibt nach dieser Woche? Erstens die Bestätigung, dass das Oberste Gericht wie keine zweite Institution in den USA sozialem Fortschritt im Weg steht und immer wieder entgegen der Mehrheitsmeinung im Land agiert. Infolgedessen – und auch, weil mehrere Richter der Korruption und sexuellen Belästigung beschuldigt sind – ist es kaum überraschend, dass aktuell nur noch vierzig Prozent der Bevölkerung die Arbeit des Supreme Court gutheissen – ein historisches Tief. Zweitens bleibt die Erkenntnis, dass dem progressiven Lager schnell etwas einfallen muss, wenn sich das gegenwärtige Dilemma nicht fortsetzen soll. Linke Bewegungen machen häufig jahrelang Druck, damit Reformen umgesetzt werden. Und wenn die Regierung irgendwann tatsächlich reagiert, kommt meist der Supreme Court um die Ecke und macht die Teilerfolge mit einem Schlag zunichte.
«Theoretisch bin ich dafür, dieses Gericht komplett abzuschaffen», sagt die Autorin und Aktivistin Astra Taylor, die seit Occupy Wall Street im Jahr 2011 zu den tonangebenden linken Intellektuellen der USA zählt und sich mit der Organisation «Debt Collective» für die Streichung von Schulden aus Studienkrediten einsetzt. Realistischstes Reformziel sei laut Taylor momentan jedoch eine Erweiterung des Supreme Court mit liberalen Richter:innen. «Pack the Court» heisst der dazugehörige Slogan. Anders als eine Amtszeitbegrenzung für die einzelnen Richter:innen, die auch immer mal wieder gefordert wird, wäre eine Vergrösserung des Gremiums ohne Verfassungsänderung möglich. Eine Mehrheit in den Parlamenten würde genügen. Biden jedoch hat sich mehrfach gegen eine solche Reform ausgesprochen. «Die Demokrat:innen binden sich oft selbst die Hände», sagt Taylor. «Sie nutzen längst nicht all ihre Möglichkeiten.» Um der Skrupellosigkeit der Rechten etwas entgegenzusetzen, müsse die Demokratische Partei endlich «ungehorsam» werden.