Bührle-Affäre: «Die Leute wollen das Schöne und das Unschöne sehen»
Direktorin Ann Demeester verteidigt die Vereinbarung, die das Kunsthaus Zürich mit der Stiftung Bührle getroffen hat. Sie zeigt sich aber offen für eine Diskussion über eine unabhängige Erforschung der Sammlung.

Die Zürcher Kunstgesellschaft hat sich mit der Bührle-Stiftung verständigt, dass die Herkunft der Bilder der umstrittenen Sammlung umfassend untersucht werden soll. Das Kunsthaus, das von der Kunstgesellschaft betrieben wird, soll diese Erforschung alleine durchführen, bezahlen soll sie die Stadt Zürich. Der Auftrag wie auch die Finanzierung durch die Allgemeinheit werden kritisiert.
Die WOZ hätte gerne mit Philipp Hildebrand, dem Präsidenten der Kunstgesellschaft, über die Vereinbarung gesprochen, die er von Amtes wegen zu verantworten hat. Doch Hildebrand steht für Interviews nicht zur Verfügung. Auskunft gibt stattdessen Kunsthaus-Direktorin Ann Demeester.
WOZ: Ann Demeester, die Kunstgesellschaft beantragt bei der Stadt Zürich drei Millionen Franken, um die Herkunft der Bilder in der Sammlung Bührle besser zu erforschen und neue Ausstellungen zu gestalten. Warum kann die Kunstgesellschaft das nicht selbst finanzieren?
Ann Demeester: Wie bekannt ist, schreibt die Zürcher Kunstgesellschaft derzeit ein Defizit. Wir geben uns sehr viel Mühe, den normalen Aufwand für Ausstellungen und das Personal wieder ins Lot zu bringen. Wir haben das Fundraising verstärkt und auch einen Antrag auf Erhöhung der Subventionen gestellt. Die Aufarbeitung der Erforschung der Bührle-Sammlung kommt nun dazu. Sie hat eine hohe gesellschaftliche Dringlichkeit, und wir wollen die Sammlung auch nicht zeigen, ohne sie vertieft zu erforschen. Mit den eigenen Mitteln können wir das aber nicht leisten.
WOZ: Warum trägt die Bührle-Stiftung finanziell nichts zur Aufarbeitung bei?
Ann Demeester: Die Stiftung hat sich bereit erklärt, bei substanziierten Hinweisen auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug von Kunstwerken nach fairen und gerechten Lösungen zu suchen und die finanziellen Konsequenzen zu tragen.
WOZ: Gut, das muss sie gemäss internationalen Vereinbarungen sowieso. Während der Verhandlungen war eine finanzielle Beteiligung der Stiftung doch sicher ein Thema.
Ann Demeester: Ich war an den Verhandlungen beteiligt, aber ich kann natürlich nicht im Detail daraus berichten. Wir haben extrem viele Themen besprochen, und ich will grundsätzlich nicht verneinen, dass die Finanzen ein Thema waren.
WOZ: Dem Vernehmen nach hat es Druck gegeben. Die Bührle-Stiftung habe die Sammlung zurückziehen wollen, die sich als Dauerleihgabe im Kunsthaus befindet. Haben die Vertreter:innen der Stiftung mit dem Rückzug gedroht?
Ann Demeester: Das wurde buchstäblich so nicht gesagt. Wir hatten sehr intensive, sehr komplexe Diskussionen, aber es wurden keine Drohungen ausgesprochen, von keiner Seite.
WOZ: Das Kunsthaus hat angekündigt, die Provenienzen selbst zu erforschen. Warum?
Ann Demeester: Wir möchten dies aus drei Gründen selbst machen: Erstens wollen wir alle Werke, die in unserem Haus gezeigt werden, gleich behandeln. Dafür haben wir eine Strategie, ein Prüfschema und Kriterien. Es wäre komisch, unterschiedliche Standards auf die einzelnen Bilder anzuwenden.
WOZ: Wobei es kaum eine Sammlung gibt wie die von Bührle, die nur wegen der NS-Verbrechen überhaupt entstehen konnte.
Ann Demeester: Auf die Sammlung als Ganze gehen wir in der Begleitausstellung ein. Die Provenienzforschung ist aber objektorientiert, funktioniert Fall für Fall. Deshalb eben der Grundsatz: ein Museum, eine Strategie.
Ann Demeester: Zweitens haben wir uns für eine eigene Aufarbeitung entschieden, weil es schlicht nicht üblich ist, dass Museen ihre Provenienzforschung auslagern. Es ist wichtig, das erworbene Wissen und die Forschungsergebnisse im Museum zu zentralisieren und zu bewahren und die unterschiedlichen Erkenntnisse zu den Gemälden und Werken aus der eigenen Sammlung und aus Dauerleihgaben miteinander in Verbindung zu bringen. Das können die Provenienzexpert:innen des Museums. Drittens wollen wir Expertise von aussen beiziehen: Zu jedem aufgearbeiteten Fall soll es eine externe Überprüfung der Resultate geben.
WOZ: Es gibt starke Kritik daran, dass die Forschung nicht von unabhängiger Seite erfolgen soll. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) etwa fordert, dass der Historiker Raphael Gross seine Arbeit fortsetzen soll, der bereits eine unabhängige Vorprüfung vorgenommen hat. Können Sie diese Forderung nachvollziehen?
Ann Demeester: Sie haben meine Argumente gehört. Wir sehen eine externe Aufarbeitung nicht als Notwendigkeit – aber wir stellen uns auf jeden Fall dem Gespräch und möchten gerne hören, warum diese wichtig sein soll.
WOZ: Die Argumente sind bekannt: Weil das Kunsthaus und die Bührle-Stiftung sehr eng verflochten sind, in der Geschichte wie in der Gegenwart. Die gegenseitige Abhängigkeit ist hoch. Sie haben für die Sammlung einen teuren Neubau erstellt, die Stiftung muss gemäss ihrem Zweck die Sammlung wiederum in Zürich zeigen können. Wie soll da eine unbefangene Forschung möglich sein?
Ann Demeester: Auch wir werden uns an die wissenschaftlichen Prinzipien halten, Forschung muss immer objektiv sein. Und wir werden die Resultate berücksichtigen, auch wenn sie unangenehm für uns oder auch für die Stiftung sind. Wenn man will, dass die Aufarbeitung ausgelagert wird, dann sind wir wie gesagt offen für Argumente und Lösungen. Wir nehmen den SIG sehr ernst und sind auch mit ihm im Austausch.
WOZ: Der Grüne Markus Knauss hat bereits einen Vorstoss im Stadtparlament angekündigt: Die Untersuchung müsse unabhängig erfolgen, wenn die öffentliche Hand sie schon bezahlen soll. Werden Sie dem nachkommen, falls es einen solchen Beschluss gibt?
Ann Demeester: Das ist eine Entscheidung des Vorstands. Wir müssen zuerst einmal in den Austausch gehen, warum es ein unabhängiges Mandat zur Forschung brauchen soll, was die Kosten wären und welche Konsequenzen das für das Kunsthaus als Ganzes hätte.
WOZ: Kommen wir zu den drei Ausstellungen, die Sie neu planen. Was wird da zu sehen sein?
Ann Demeester: Die Ausstellungen werden zeitgleich stattfinden. Die erste ist den jüdischen Sammler:innen gewidmet, die wichtige Pionier:innen in der Prämoderne waren, darauf hat auch Raphael Gross in seinem Bericht aufmerksam gemacht. Die zweite fokussiert auf die Kunstwerke und die Künstler:innen und die dritte auf die Geschichte der Bührle-Sammlung in Verbindung mit dem Kunsthaus und der Geschichte der Schweiz. Man wird sich alle Ausstellungen ansehen können – oder auch nur eine.
WOZ: Wer will, kann der Geschichte also auch wieder aus dem Weg gehen. So wie bei der früheren Präsentation, als sie in einem Dokumentationsraum entsorgt worden war.
Ann Demeester: Ja, das kann man, aber ich denke, das will fast niemand. Wir haben eine Umfrage unter den Besucher:innen gemacht, und mehr als achtzig Prozent der Befragten wollen die Sammlung im historischen Kontext anschauen. Die meisten wollen also beides sehen, das Schöne und das Unschöne.
WOZ: Raphael Gross hatte in seinem Bericht auch empfohlen, es brauche eine Diskussion über den Namen der Sammlung. Darauf geht Ihre Abmachung mit den Bührles nicht ein.
Ann Demeester: Wenn man sich der Geschichte stellen will, dann muss man sie auch benennen können. Wenn wir auf den Namen Bührle verzichten, dann droht doch viel eher die Gefahr, dass die Geschichte unter den Tisch fällt.
WOZ: Hätten Sie gedacht, dass Sie als Direktorin des Kunsthauses mitten in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung landen? Durch das Kunsthaus ziehen sich ja viele Machtlinien, das rot-grün regierte Zürich trifft hier auf das alte und das neue Geld.
Ann Demeester: Das ist eine gute Frage. Ich sehe das Spannungsfeld, aber es scheint mir auch sehr typisch zu sein für die Auseinandersetzungen in allen europäischen Gesellschaften. Auch in den Niederlanden, wo ich herkomme, gibt es eine starke Polarisierung zwischen kapitalkritischen und neoliberalen Positionen. Als Museum sind wir dem Humanismus verpflichtet. Ich sage nicht, dass wir Versöhnung und Harmonie predigen wollen – aber dass wir einen Austausch ermöglichen können. Maria Balshaw, die Direktorin der britischen Tate, hat Museen als «Versammlungsort für Fremde» bezeichnet.
WOZ: Und, treffen sich Fremde im Kunsthaus?
Ann Demeester: Ich bin eine zwanghafte Optimistin. Ich glaube, dass aus der Spannung ein Austausch werden kann. Er wird nie reibungslos sein. Aber wenn wir als Gesellschaft weiterkommen wollen, dann müssen wir ihn suchen.
Ann Demeester, geboren 1975 im belgischen Brügge, ist seit Oktober 2022 Direktorin des Kunsthauses Zürich. Zuvor leitete die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin das Frans-Hals-Museum im niederländischen Haarlem.