Kommentar zur Bührle-Stiftung: Vertrag gut, alles gut?

Nr. 9 –

Der neue Leihvertrag zwischen Stiftung Bührle und Kunsthaus ist zu begrüssen. Doch erledigt sind die Probleme damit noch lange nicht.

Die Wahrnehmung der Bührle-Sammlung hat sich dank hartnäckigem öffentlichem Druck stark verändert: Fassade des Kunsthaus-Erweiterungsbaus. Foto: Florian Bachmann

«Die Verschwörungstheorien sind widerlegt», verkündete die NZZ gleich auf der Titelseite – und doppelte in ihrer Sonntagsausgabe nach: «Die Aufregung legt sich endlich». Auslöser dieser Erleichterung war die schon lange angekündigte und noch viel länger geforderte Offenlegung des Leihvertrags zwischen der Stiftung Bührle und der Zürcher Kunstgesellschaft, dem Trägerverein des Kunsthauses Zürich.

Veröffentlicht wurde nicht nur der neue, ab sofort gültige Vertrag, sondern – im Korrekturmodus – auch das ursprüngliche Abkommen, das noch 2012 von allen Beteiligten gutgeheissen worden war: von der Bührle-Familie, vertreten durch die direkten Nachkomm:innen des Waffenfabrikanten, und vom damaligen Kunstgesellschaftspräsidenten Walter Kielholz als den beiden Hauptvertragspartnern. Abgenickt hatten die Vereinbarung aber auch Kunsthausdirektor Christoph Becker, der als Vorstandsmitglied von Bührle-Stiftung und Kunstgesellschaft bizarrerweise auf beiden Seiten der Vertragsparteien involviert war – und die Stadtpräsidentin Corine Mauch, die als Vertreterin des Stadtrats im Vorstand der Kunstgesellschaft sass – und sitzt.

Absurde alte Forderungen

An den Unterschieden zwischen den beiden Verträgen kann man ablesen, wie massiv sich die Wahrnehmung der Sammlung in den letzten Jahren dank hartnäckigem öffentlichem Druck verändert hat. Der alte Vertrag von 2012 war in weiten Teilen ein Kniefall vor Familie und Stiftung Bührle. Dies zeigt plakativ die – nie realisierte – vertragliche Forderung, der Schriftzug «Sammlung Bührle» müsse an der Aussenfassade des Neubaus in der gleichen Buchstabengrösse angebracht werden wie die Anschrift «Kunsthaus Zürich»; obwohl dieser Neubau ja überwiegend mit öffentlichem Geld finanziert worden ist.

Letztlich relevanter war, dass die Provenienzforschung mit keinem Wort erwähnt wurde. Diese liess man so implizit in der alleinigen Obhut von Lukas Gloor, dem Direktor der Bührle-Stiftung. Gloor zeichnet Handänderungen zwar detailliert nach, benennt aber Krieg und Verfolgung als Verkaufsgründe nicht. Eine ungeheure Auslassung, wenn man bedenkt, dass es die Sammlung Bührle ohne den Zweiten Weltkrieg und die nationalsozialistische Judenverfolgung so nie gegeben hätte.

Der neue Vertrag ist von manch altem Ballast befreit. Die Kunstgesellschaft darf nun eigene Provenienzforschungen anstellen, für mögliche Restitutionsforderungen bleibt die Stiftung zuständig. Ausserdem verpflichtet man sich auf die «Richtlinien der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten konfisziert wurden». Und man verspricht, sich neu auch am Konzept «NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter» zu orientieren. Die Sammlung Bührle muss in Zukunft nicht mehr als Museum im Museum gezeigt werden, also als geschlossenes, zusammenhängendes Konvolut, sondern sie kann unter gewissen Bedingungen auch neu kombiniert werden. Das letzte Wort behält die Stiftung.

Verhaltene Hoffnung

Neben der NZZ gab sich auch das Kunsthaus in seinem Schreiben zur Veröffentlichung des neuen Vertrags erleichtert, warb mit Schlagworten wie «pragmatisch», «flexibel», «dynamisch». Rundum Grund zur Freude also? Bedingt. Der neue Vertrag wirkt auch deshalb souverän, weil der alte so haarsträubend war. Vieles im neuen Vertrag ist heute selbstverständlicher Standard, etwa die Verpflichtung auf die Washingtoner Richtlinien. Diverse Probleme der Sammlung bleiben bestehen.

Nach Jahrzehnten enger Kohabitation mit der Familie Bührle müssen Kunstgesellschaft und Kunsthaus erst noch beweisen, dass sie nun proaktiv und (selbst-)kritisch informieren und unabhängig forschen werden; und dass man gegebenenfalls bereit ist, Konsequenzen aus diesen Forschungen zu ziehen. Der Dokumentationsraum muss erweitert werden, was der neue Vertrag nun ermöglicht. Viel Hoffnung ruht auf der neuen Kunsthausdirektorin Ann Demeester. Warum nicht auf eine Schenkung der Sammlung an die Öffentlichkeit pochen?

Hoffnung verspricht auch eine Motion von SP-Nationalrat Jon Pult. Er regt die Gründung einer unabhängigen Kommission an, die bei «NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern» Empfehlungen abgeben würde. Auch koloniale Kontexte sollen berücksichtigt werden. Der Bundesrat unterstützt die Motion im Grundsatz.

Zugleich ist zu wünschen, dass die Debatte nun nicht wieder in altes Fahrwasser gerät. Stadtpräsidentin Mauch gab im Interview mit Radio SRF zwar zu, dass die öffentliche Debatte «wichtig» und der alte Vertrag «aus heutiger Sicht» ein Fehler gewesen sei. Später betonte sie im «Tages-Anzeiger», sie habe «die Heftigkeit der Debatte» unterschätzt – als ob es hier primär nur um eine Debatte ginge und nicht vielmehr um ein heftiges, von der Stadt mitverantwortetes, kunstpolitisches Debakel, inklusive noch nicht absehbaren Reputationsschadens.

Die «NZZ am Sonntag» wiederum will, dass nun «endlich» Ruhe einkehre – dabei ist die Diskussion ja erst seit einem halben Jahr überhaupt richtig im Gang. Wer den alten Vertrag liest, erkennt mit aller Deutlichkeit, gegen welche Zugeständnisse, gegen welch reaktionäres Gefüge angekämpft werden musste, wie bitter notwendig diese Debatte also war. Man sollte sich davor hüten, den «medialen Druck» nun als letztlich lästige Unruhestiftung abzufertigen, die bald wieder verschwinden solle.