Literatur: Befruchtet mit Spucke und Blut

Nr. 51 –

Buchcover von «Jagannath»
Karin Tidbeck: «Jagannath». Erzählungen. Aus dem Englischen von Hannes Riffel. Carcosa im Memoranda Verlag. Berlin 2024. 220 Seiten.

Karin Tidbeck war fünfzehn, als sie binnen zweier Wochen alles von H. P. Lovecraft verschlang, was sie in schwedischer Übersetzung finden konnte – worauf sie eine «beinahe psychotische Offenbarung hatte, das alles sei wahr». Davon habe sie sich zwar erholt, schreibt die Autorin im Nachwort zu ihrem Erzählband «Jagannath», «aber die Realität ist immer noch Schwankungen unterworfen».

Diese Schwankungen wirken nach in Tidbecks Geschichten, die oft in instabilen Welten angesiedelt sind. Wie in «Amatka», ihrem phänomenalen ersten Roman, der in unwirtlicher Gegend vom Beschwörungszauber der Sprache handelt: Da muss jedes Ding stets ordentlich als solches angeschrieben sein, weil es sonst buchstäblich aus dem Leim geht. Eine deutsche Ausgabe von «Amatka» lässt noch auf sich warten, aber mit den Erzählungen in «Jagannath» ist die 47-Jährige, die in ihrer Muttersprache wie auch auf Englisch schreibt, jetzt erstmals auf Deutsch zu entdecken – dank Carcosa, dem jungen Verlag für Fantastik, wo sich Tidbeck neben Werkausgaben von Ursula K. Le Guin oder Joanna Russ in allerbester Gesellschaft befindet.

Nicht immer nimmt das Abseitige dabei so viel Raum ein wie gleich am Anfang, wo sich ein Arzt in ein Luftschiff verliebt – und dann seinen Liebeshangar wegen einer Doppelbuchung mit einer anderen Fetischistin teilen muss. Da gibts auch den rundlichen Herrn Cederberg, der sich das Getuschel über seine Gestalt zu Herzen nimmt. Und in mancher Geschichte ist fast ein ganzer Roman aufgehoben: etwa in den Briefen jener Frau, die sich an ihre Kindheit in einer Hippiekommune erinnert, samt mysteriösem Verschwinden ihrer Mutter.

Eine andere Mutter zeugt ihr Kind eigenhändig in einer Konservendose, befruchtet mit Spucke und etwas Menstruationsblut. Tidbecks Erzählungen bleiben durchlässig für Halbwesen der nordischen Folklore, und manchmal hält die Autorin auch einfach die Zeit an – wie im barbarischen Paradiesgarten gegen Ende, wo sich eine Welt im Geist von Lewis Carroll erbarmungslos im Kreis dreht.