Attentat in Washington: Eingeholt vom «War on Terror»

Nr. 49 –

Der Mann, der letzte Woche in den USA mutmasslich auf Soldat:innen der Nationalgarde geschossen hat, ist einst von der CIA ausgebildet worden – für eine brutale Miliz in Afghanistan.

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Abzug aus Kabul im August 2021: Zivilisten besteigen ein US-Militärflugzeug
Abzug aus Kabul im August 2021: Auch rund 7000 Milizionäre im Sold der US-Armee und der CIA wurden in die Vereinigten Staaten evakuiert. Foto: Imago

Der Angriff, den mutmasslich Rahmanullah Lakanwal vergangene Woche unweit des Weissen Hauses verübte, erinnert an den afghanischen Kriegsalltag: Aus einem Hinterhalt eröffnete er das Feuer auf zwei Soldat:innen der US-Nationalgarde. Eine 20-Jährige erlag ihren Verletzungen, ihr 24-jähriger Kamerad schwebt in Lebensgefahr. US-Präsident Donald Trump sprach von einem «Akt des Terrors» und machte seinen Vorgänger Joe Biden mitverantwortlich. Zugleich kündigte er eine härtere Migrationspolitik an. Weil Lakanwal Afghane ist, wurden laufende Asylverfahren von Afghan:innen umgehend eingestellt, die Einreise von Landsleuten sistiert.

Lakanwal lebt seit vier Jahren in den USA. Zuvor hatte er in Afghanistan für die US-Regierung gearbeitet. Aus diesem Grund wurde er während des Abzugs der Nato-Truppen und der Rückkehr der Taliban im Jahr 2021 vom US-Militär evakuiert. Der 29-jährige Afghane, ein fünffacher Familienvater, war jedoch kein gewöhnlicher lokaler Mitarbeiter, sondern über ein Jahrzehnt für die CIA tätig. Mehrere Gesprächspartner berichten der WOZ, Lakanwal sei bereits als Minderjähriger für den Geheimdienst rekrutiert worden. Er gehörte einer jener Milizen an, die im Zuge des «War on Terror» von der US-Regierung geschaffen wurden: die sogenannten Zero Units, die in mehreren Regionen Afghanistans aktiv waren. Weitere Milizen wie die Khost Protection Force (KPF) existierten auch in Lakanwals Heimatprovinz Chost im Südosten des Landes an der Grenze zu Pakistan.

Keinerlei juristische Kontrollen

Um die Taliban effektiv zu bekämpfen, errichtete die CIA in Afghanistan ein System von Loyalisten, die teils mit vergleichbarer Brutalität vorgingen wie die Fundamentalisten und damit neue Feindseligkeit schürten. Wegen ihrer willkürlichen Ausübung von Gewalt trieben sie viele Zivilist:innen ausgerechnet in die Arme der Taliban. In zahlreichen Berichten von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch wird das Vorgehen der Zero Units und der KPF detailliert geschildert. Dabei geht es um nächtliche Razzien, die teils gemeinsam mit US-Truppen durchgeführt wurden, um Folter und Hinrichtungen von Terrorverdächtigen und Zivilist:innen – in der Regel ohne rechtsstaatliche Verfahren. Journalistinnen und Menschenrechtsbeobachter wurden eingeschüchtert; die Reise in viele betroffene Regionen wurde ihnen verweigert.

Die Milizionäre standen ausschliesslich unter US-Kontrolle. Die ohnehin fragile Rechtsstaatlichkeit der inzwischen untergegangenen afghanischen Republik konnte ihnen nichts anhaben, selbst dann nicht, wenn Kriegsverbrechen von Menschenrechtler:innen dokumentiert wurden. «Es gab Operationen, die unschuldige Menschen das Leben kosteten. Doch die afghanische Regierung konnte dagegen nichts tun, auch Beschwerden der betroffenen Familien führten zu nichts», sagt ein Mann, der aus demselben Distrikt wie Lakanwal stammt.

Nach der Rückkehr der Taliban 2021 wurden die CIA-Milizen aufgelöst. In den USA galten ihre Angehörigen als Verbündete, die man über Jahre ausgebildet, finanziert und mit hohen Gehältern bis in den vierstelligen Dollarbereich entlohnt hatte. Es galt, sie ohne Wenn und Aber herauszuholen. «Die Amerikaner bestanden darauf, weil sie wussten, wie treu ihnen diese Männer waren. Die Menschenrechtsverletzungen interessierten niemanden», erinnert sich Noor ul-Hadi aus der im Osten gelegenen Provinz Nangarhar, wo die Zero Units einst präsent waren. Im Jahr 2012 stürmten US-amerikanische und afghanische Milizen das Haus seines Vaters und töteten diesen. Der Ermordete hatte für die lokale Regierung gearbeitet.

Angst vor der Abschiebung

Während des Nato-Abzugs aus Afghanistan spielten Lakanwal und seine Kameraden nochmals eine bedeutende Rolle – zumindest aus US-amerikanischer Sicht. Sie sicherten den Kabuler Flughafen und gingen gewaltsam gegen die panischen Menschen vor, die sich dort drängten in der Hoffnung, das Land verlassen zu können. Augenzeug:innen berichteten, dass während der Evakuierung Mitglieder der Milizen als Schleuser agierten und Afghan:innen, die verzweifelt auf eine Möglichkeit zur Ausreise warteten, für mehrere Tausend US-Dollar pro Person einen Platz in einem Flugzeug sicherten.

Anschliessend wurden rund 7000 Kämpfer vom US-Militär und der CIA in die Vereinigten Staaten evakuiert. In den USA angekommen, führten die früheren Milizionäre ein neues Leben, das mit ihrem Alltag im Krieg nichts gemein hatte. Medienberichten zufolge arbeitete Lakanwal zuletzt als Lieferant für Amazon in Washington. Er soll bereits in Afghanistan traumatisiert gewesen sein von den Einsätzen, die er im Auftrag der US-Regierung durchgeführt hatte. Das bestätigen auch mehrere Afghan:innen, die Lakanwal und dessen Familie kennen, gegenüber der WOZ. Zuletzt fürchteten viele Ortskräfte wie Lakanwal wegen Trumps repressiver Migrationspolitik eine Abschiebung ins Taliban-Emirat, das sie jahrelang bekämpft hatten. Diese droht nun mehr denn je.