Krieg gegen die Ukraine: Schöne neue Weltordnung
Historische Zeiten sind auch Zeiten geschichtsträchtiger Analogien. Dieser Tage etwa war viel von einem «neuen München» die Rede – in Anlehnung an das Abkommen, mit dem europäische Staaten einst Hitler auf Kosten der Tschechoslowakei zu beschwichtigen versuchten. Andere erinnerten an den Molotow-Ribbentrop-Pakt, als Nazideutschland und die Sowjetunion die Aufteilung Polens beschlossen und dadurch Hitlers Angriff auf das Land den Weg ebneten. Bei aller Unschärfe solcher Vergleiche lässt sich zweifelsfrei sagen, dass die zurückliegende Woche in die Geschichtsbücher eingehen wird: als jene, in der die Ukraine einem monströsen Verrat zum Opfer fiel.
Begonnen haben die Tage der Entscheidung am 12. Februar mit einem Telefonat, in dem Donald Trump und Wladimir Putin – der eine ein skrupelloser Dealmaker, der andere ein berechnender Mafiapate – über den Kopf der Ukrainer:innen hinweg deren Zukunft besiegelten. Die Haltung der USA skizzierte derweil Trumps Verteidigungsminister: Kein Nato-Beitritt für die Ukraine, keine Rückkehr zu den (völkerrechtlich verbrieften) Grenzen vor 2014. Und um Europas Sicherheit müssten sich die Europäer:innen selbst kümmern.
Weiter ging es bei der Münchner Sicherheitskonferenz, wo US-Vizepräsident J. D. Vance mit einer Rede über Meinungsfreiheit nach seiner Façon Verwirrung stiftete. Während die US-Delegation am Rand des Treffens Wolodimir Selenski offenbar zu erpressen versuchte: Überlasse er nicht rund die Hälfte der ukrainischen Bodenschätze US-Investoren – nicht im Tausch für Sicherheitsgarantien oder Militärunterstützung, sondern als «Rückzahlung» bisheriger Hilfen –, dürfe er die US-Delegation nicht treffen. So offen wurde die Kolonisierung eines Landes lange nicht mehr vorangetrieben.
Am Montag scharte der französische Präsident Vertreter:innen einiger EU-Staaten um sich, um Tatkraft zu simulieren. Viel mehr als eine gemeinsame Fotosession wurde daraus nicht. Zu heikel die Frage nach europäischen Soldaten auf ukrainischem Boden, zu divergierend die Interessen. Am Dienstag sprachen dann im saudi-arabischen Riad die Vertreter Russlands und der USA fast fünf Stunden lang miteinander – ohne konkretes Ergebnis zwar, dafür in bester Laune. Die Ukraine und Europas Regierungen wurden zu Zuschauern degradiert. Man habe «sich gegenseitig zugehört und einander verstanden», sagte der russische Aussenminister im Anschluss. Schöne neue Weltordnung.
Während Trump schon vor den eigentlichen Verhandlungen jedes Pfand aus der Hand gab, dürften in Moskau die Sektkorken knallen. Eben noch in den Augen westlicher Staaten ein Paria, fand sich der Kremlherrscher plötzlich dort wieder, wo er seit seinem Grossangriff auf die Ukraine hinwollte: auf Augenhöhe mit dem US-Hegemon. Dass Trump ihn für seine Aggression gegen das Nachbarland auch noch belohnt, indem er es ihm zum Frass vorwirft, hätte sich Putin kaum träumen lassen.
Expert:innen bezweifeln, dass Trump und Putin bald einen Deal vorweisen können. Von «grundsätzlicher Uneinigkeit» spricht etwa die exilierte russische Politologin Tatjana Stanowaja. Putin werde nicht nur die Präsenz ausländischer Truppen in der Ukraine ablehnen, sondern auch keinen von Selenski unterzeichneten Rohstoffvertrag akzeptieren. «Ein Waffenstillstand könnte eine taktische Option sein, aber nur, um Selenski letztlich von der Macht zu entfernen.» Dazu passt, dass Trump – im Einklang mit der russischen Propaganda – unverhohlen Neuwahlen in der Ukraine fordert. Nicht nur spricht er Selenski damit die demokratische Legitimität ab, er wirft ihm zudem gar vor, den Krieg begonnen zu haben. Das Opfer als Täter: verkehrte neue Weltordnung.
Klar ist: Putin hält weiter an seinem Maximalziel fest, und das ist die Vernichtung einer souveränen Ukraine. Bleibt das Land ohne wirksamen Schutz, wird jeder Waffenstillstand dem Aggressor die Möglichkeit zu neuer Aufrüstung bieten. Was für eine gefährliche neue Weltordnung.