Trumps Ukrainegipfel: Unwägbarkeiten und Widersprüche
Die europäische Delegation demonstriert nach dem Treffen in Washington Optimismus, obwohl viele Fragen offenbleiben.

Zuversicht allenthalben nach dem Ukrainegipfel im Weissen Haus: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wähnt die Beteiligten auf dem gemeinsamen Weg zu «einem dauerhaften Frieden». Der deutsche Kanzler Friedrich Merz sieht «seine Erwartungen übertroffen». Premier Keir Starmer, unter dessen Regierung sich Grossbritannien in diesem Jahr wieder der EU angenähert hat, spricht von einem «deutlichen Fortschritt» und Wolodimir Selenski von den «bisher besten Gesprächen» mit Donald Trump.
Vermutlich kommt just der Superlativ des ukrainischen Präsidenten der Wahrheit am nächsten. Selenskis Standards bemessen sich an seinem letzten Besuch im Weissen Haus vor einem halben Jahr, als US-Präsident Trump und dessen Vize J. D. Vance ihn öffentlich demütigten, um ihn zu einem Friedensschluss zu russischen Konditionen zu drängen. Auch der europäischen «Koalition der Willigen» ist dies nachhaltig in Erinnerung. Nach dem ergebnislosen Treffen Trumps mit Wladimir Putin in Alaska kurz zuvor befürchtete sie wohl, der neuerliche Gipfel könnte ähnlich verlaufen.
Insofern hatte die Washingtonreise der europäischen Delegation, der neben von der Leyen und Merz auch Emmanuel Macron, Giorgia Meloni, der finnische Präsident Alexander Stubb und Nato-Generalsekretär Mark Rutte angehörten, durchaus den Charakter eines Interventionsversuchs auf höchster Ebene. Es galt, Selenski bei seiner heiklen Mission zu unterstützen, zugleich aber auch die Einigkeit Europas zu demonstrieren und bei den Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine eine aktive Rolle einzufordern.
Kommt Putin nach Genf?
Die positive Stimmung unter den Teilnehmer:innen rührt daher, dass es in zwei Punkten offensichtlich Bewegung gibt, wobei bis Redaktionsschluss auch vieles noch vage blieb. Erstens: Es könnte zu einem Treffen Selenskis mit Putin zum Zweck direkter Verhandlungen kommen. Mit dabei sein soll als Vermittler dann auch Trump, der sich als «deal maker» in seinem Element sieht. Nach Angaben von Friedrich Merz ist das Gespräch zwischen Selenski und Putin in den kommenden zwei Wochen zu erwarten.
Am Tag nach dem Gipfel wurde bereits offen über Genf als Austragungsort gesprochen. Bundesrat Ignazio Cassis sagte gegenüber SRF, es sei absolut möglich, den russischen Präsidenten Putin, gegen den seit 2023 ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt, in der Schweiz zu empfangen, ohne ihn verhaften zu müssen. Allerdings gibt es aus dem Kreml keinerlei positives Signal in diese Richtung. Aussenminister Sergei Lawrow fordert eine «sorgfältige Vorbereitung» eines Treffens auf Präsidentenebene. Aus Perspektive der EU-Staaten wiederum ist es essenziell, dass die Friedensverhandlungen nicht nur von Trump begleitet werden, sondern in einem Vier-Parteien-Format stattfinden. Macron begründete die Einbeziehung Europas damit, dass es um die Sicherheitsgarantien des gesamten Kontinents gehe.
Diese Sicherheitsgarantien sind der zweite strittige Punkt, in dem sich die Verhandlungsparteien am Gipfel anscheinend nähergekommen sind. Bereits nach dem Treffen Trumps mit Putin in Anchorage berichtete der US-Sondergesandte Steve Witkoff, für Russland sei ein ukrainischer Nato-Beitritt zwar nach wie vor nicht verhandelbar, einer Sicherheitsgarantie seitens der USA und europäischer Staaten für die Ukraine, die dem Nato-Bündnisfall ähnlich wäre, stimme der Kreml hingegen zu. Trump bekräftigte dies später gegenüber der europäischen Delegation.
Nebulös bleibt bislang, wie sich dies in der Praxis gestalten könnte. Laut dem US-Präsidenten müssen «die verschiedenen europäischen Länder eine grosse Last tragen, in Abstimmung mit den USA». Europa befinde sich in der ersten Verteidigungslinie, «aber wir werden ihnen helfen, wir werden beteiligt sein». Am Dienstag erwähnte Trump gegenüber «Fox News» die Möglichkeit, dass die USA aus der Luft eine europäische Friedenstruppe auf dem Boden absichern. An einer Bodentruppe selbst beteiligen würden die USA sich aber nicht, wie Trump beim Gipfel deutlich machte.
Diese Konstellation nimmt Europa zum einen in die Verantwortung. Zum anderen bietet sie, zumindest in Abstimmung mit den USA, eine Option, die starke geopolitische Rolle, die die EU anstrebt, tatsächlich zu übernehmen. Starmer und Macron ziehen den Einsatz von Bodentruppen schon länger in Betracht. Auch Merz deutete nach dem Gipfel ein eventuelles Ende der diesbezüglichen Zurückhaltung Deutschlands an. Er sprach von der Möglichkeit «mandatspflichtiger Beschlüsse», sprich der Entsendung deutscher Soldaten.
Allerdings liess das russische Aussenministerium am Dienstag verlauten, dass Bodentruppen aus Nato-Staaten in der Ukraine nicht akzeptiert würden, und warnte vor einer «unkontrollierbaren Eskalation des Konflikts». Die Frage nach möglichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine und ihrer möglichen Ausgestaltung ist beispielhaft: Selbst bei jenen Themen, die auf europäischer Seite Anlass zu Optimismus geben, überwiegen Unwägbarkeiten und Widersprüche. Konkrete Perspektiven gibt es kaum.
Trump bei Laune halten
In zwei weiteren Verhandlungspunkten gibt es überhaupt keine Bewegung: einerseits bei der Frage, ob die Ukraine im Gegenzug für einen dauerhaften Frieden Territorium an Russland abtreten muss, wie es der Kreml fordert, andererseits betreffend die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand als Bedingung für Verhandlungen.
In beiden Punkten stehen die europäischen Vertreter:innen der ukrainischen Seite deutlich näher als die USA. Während Trump Selenski vor Beginn des offiziellen Treffens nahelegte, die Hoffnung auf eine Rückgabe der Krim aufzugeben, unterstrich Merz am Dienstag, der Ukraine dürften keine Abtretungen ihres Staatsgebiets aufgezwungen werden. Zudem forderten zuletzt sowohl Macron als auch Merz, die Waffen sollten ruhen, bevor konkrete Friedensgespräche begännen. Trump hatte dieses Ziel nach seiner Unterredung mit Putin aufgegeben. Merz brachte es im Weissen Haus erneut auf den Tisch.
All diese Differenzen werfen die Frage nach dem Zustand des transatlantischen Verhältnisses auf – ein halbes Jahr nachdem dieses durch den Amtsantritt Trumps, die besagte Demütigung Selenskis im Weissen Haus und den Auftritt von J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz tief erschüttert worden ist. Seither gilt es für Europa, den unberechenbaren Egomanen Trump bei Laune zu halten und zugleich selbst Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen.
Die hektischen Tage rund um den Doppelgipfel von Anchorage und Washington waren für dieses Vorgehen ein überaus herausfordernder Praxistest – und aller Wahrscheinlichkeit nach war es nicht der letzte. Das Gedränge in den Startblöcken zu Friedensverhandlungen deutet indes an, dass derzeit – wenn auch notgedrungen und begrenzt – durchaus die Möglichkeit einer Emanzipation besteht.
Von einer eigenen Strategie für ein mögliches Kriegsende in der Ukraine zu sprechen, wäre übertrieben. Momentan kämpfen die Europäer:innen gegen den Bedeutungsverlust und darum, bei den Verhandlungen überhaupt am Tisch zu sitzen. Daran haben auch der Nato-Gipfel in Den Haag im Juni und die transatlantische Wiederannäherung inklusive anbiedernder «Daddy»-Diplomatie von Generalsekretär Mark Rutte nichts geändert. Dass Europa innerhalb dieser Konstellation eigene inhaltliche Akzente setzen will, ist aber nicht zu übersehen.