Der geopolitische Bruch: Es gibt kein «neutral»
Da sassen sie vor dem Cheminée im Weissen Haus und gebärdeten sich wie Mafiapaten, erniedrigten ihren Gast wegen angeblicher Respektlosigkeit, Undankbarkeit und den falschen Kleidern. Live zur besten Sendezeit stellten der mächtigste Präsident der Welt und sein Vize einem der widerständigsten offenkundig eine Falle, zwecks Verkehrung der Wahrheit in die Lüge: Ein Diktator sei Wolodimir Selenski, hatte Donald Trump kürzlich schon behauptet. Den Dritten Weltkrieg führe dieser herbei, drehte Trump nun Täter und Opfer um – und überhaupt halte Selenski die Karten nicht selbst in der Hand.
Worauf der ukrainische Präsident die Antwort gab, in der sich der Widerstandsgeist der ukrainischen Gesellschaft zeigt: «Ich spiele nicht Karten. Ich meine das sehr ernst.»
Sehr ernst ist die Lage in der Tat: Weil Trump zwar demokratisch gewählt ist, aber die USA im Rekordtempo zur Autokratie umbauen lässt – zur Jagd auf illegalisierte Migrant:innen kam diese Woche die Hatz gegen protestierende Student:innen. Weil Trump in der Aussen- und Handelspolitik nur die Gewalt des Stärkeren kennt – den verharmlosenden Begriff vom «Deal» sollte man nicht übernehmen. Weil Trump nicht länger die Ukraine unterstützen will, sondern den Pakt mit Russland sucht – und damit ganz Europa gefährdet.
Auf die Herabwürdigung folgte das Ultimatum. Die USA setzen die Waffenhilfe an die Ukraine aus, bis sich Selenski für Friedensverhandlungen bereit zeige. Um auch diese Lüge in die Wirklichkeit zurückzudrehen: Es waren ja gerade die USA, die sich mit Russland, aber nicht mit der Ukraine zu Gesprächen in Saudi-Arabien trafen. Und es gibt bis zum heutigen Tag keine einzige Zusage von Russland, dem Kriegsverursacher, dass es einen Waffenstillstand will, Friedenstruppen in der Ukraine toleriert oder Sicherheitsgarantien für das Land billigt. Wladimir Putin möchte weiterhin die gesamte Ukraine erobern, und ein entscheidender Schritt auf dem Weg dorthin bleibt der Sturz der unabhängigen Regierung, die Trump nun vor der Weltöffentlichkeit vorgeführt hat.
Die Szene vor dem Cheminée im Weissen Haus, in dem kein Feuer loderte, sie steht für das Ende der internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die vielgerühmte «transatlantische Partnerschaft» diente den reichen Staaten stets auch zur Durchsetzung ihrer Interessen im Globalen Süden. Und doch bleibt es der universelle Fixpunkt der Ordnung seit 1945, dass der Schwächere vor dem Stärkeren und der Einzelne vor der Allmacht des Staates geschützt werden soll – mit internationalen Organisationen wie der Uno oder mit der Herausbildung des Völkerstrafrechts zur Ahndung von Kriegsverbrechen.
All diese Errungenschaften stehen jetzt zur Disposition. Umso entschiedener müssen sie gestärkt werden. Den europäischen Staaten stellt sich die Herausforderung, wie sie die Ukraine nach dem Verrat der USA besser unterstützen und sich selbst verteidigen können. Der «ReArm Europe»-Plan von EU-Kommissarin Ursula von der Leyen geht schon einmal in die falsche Richtung. Statt blindwütiger Subventionierung der Rüstungsindustrie, die in den einzelnen Staaten auf Kosten von Klimaschutz, Armutsbekämpfung und Bildung gehen dürfte, braucht es eine Koordination für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa und darüber hinaus.
Dabei kann es auch für die Schweiz kein «neutral» geben. Nicht die putinfreundliche Neutralitätsinitiative der SVP führt in die Zukunft, sondern die Zusammenarbeit mit demokratischen Staaten. Als Rohstoff- und Finanzdrehscheibe, als Steuerparadies für Milliardär:innen und Oligarchen wird sich das Land solidarischer zeigen müssen, wenn eine neue Sicherheitsordnung entstehen soll, die sich nicht nur auf militärische Aspekte beschränkt.
Mehr Sicherheit schafft beispielsweise auch die gute Vorbereitung der Aufnahme von Flüchtenden: Sollte Putin weitere Gebiete in der Ukraine erobern, werden sich noch einmal Millionen von Asylsuchenden auf den Weg machen. Europa würde sich dann einmal mehr über den Umgang mit Geflüchteten neu erfinden müssen – ganz anders, als es sich die Abschottungsparteien gedacht haben.