Bankenregulierung: Nach Schweizer Art

Nr. 22 –

Nächstens kommt die «Too big to fail»-Vorlage ins Parlament. Sie ist die Antwort auf die UBS-Rettung in der Finanzkrise. Wie die Bankenregulierung funktioniert, was PolitikerInnen davon halten und wie die Grossbanken Druck machen.

Im Oktober 2008 drohte der UBS die Pleite. Bund und Nationalbank sicherten ein Rettungspaket in der Höhe von maximal 68 Milliarden Franken zu, weil sie befürchteten, eine Insolvenz der Grossbank würde die gesamte Schweizer Volkswirtschaft in den Abgrund reissen.

In der laufenden Sommersession, zweieinhalb Jahre nach dem Beinahekollaps der grössten Schweizer Bank, berät das Parlament über neue Regeln, die eine derartige Jahrhundertrettung in Zukunft verhindern sollen. Einzelne ParlamentarierInnen sprechen vom «wichtigsten Geschäft der Legislaturperiode». Entsprechend gross ist der Druck auf die Politik. Wer hat die Bankenregulierung gestaltet? Wer hat sie beeinflusst? Was bietet sie für Chancen? Wo liegen ihre Schwächen? Aber auch: Welche Fragen klärt sie nicht?

Die Credit Suisse zündete ihre Rakete Mitte Mai: Die Grossbank hatte sich bisher immer klar für die neue Bankenregulierung ausgesprochen. Aber dann, in der ersten Sitzung der vorberatenden Wirtschaftskommission, wollte die Credit Suisse plötzlich einen Widerspruch zwischen Expertenbericht und Gesetzesvorlage ausgemacht haben: Der Expertenbericht, der dem neuen Bankengesetz zugrunde liegt, verlange nur für den Gesamtkonzern verschärfte Eigenkapitalvorschriften. In der Gesetzesvorlage, die in der laufenden Sommersession im Parlament beraten wird, gälten diese Regeln jedoch für jede einzelne juristische Einheit der Bank. Der Unterschied, mahnte die Credit Suisse, mache einen zweistelligen Milliardenbetrag aus. Sollte das Parlament dies so beschliessen, wäre das «jenseits von Gut und Böse».

Schon im März hatte die Wirtschaftslobby Economiesuisse die ParlamentarierInnen zu einem grossen Meeting mit den sogenannten Topshots aus Banken und übriger Wirtschaft eingeladen. «Gewöhnlich gehe ich nicht an solche Veranstaltungen», erzählt SP-Ständerätin Anita Fetz. «Aber beim Thema Bankenregulierung dachte ich, dass es sich lohnen könnte.» Am Treffen teilte Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer persönlich mit: Hinter dem Expertenbericht stehen wir unisono!

«Da habe ich gewusst», sagt Fetz und lacht, «der Unterschied zwischen dem Expertenbericht und der Gesetzesvorlage, das wird das argumentative Einfallstor für jene, die die Vorlage abschwächen wollen.»

Als der Bund am 16. Oktober 2008 die UBS rettete, gewährte er der Bank eine Anleihe von sechs Milliarden Franken. Im Sommer 2009 konnte er diese Anleihe mit einem Gewinn von 1,2 Milliarden verkaufen. Die Nationalbank gründete zudem einen Stabilisierungsfonds, der Ramschpapiere aus dem US-Hypothekengeschäft der UBS in der Höhe von 38,7 Milliarden Dollar übernahm. Dieses faktische Darlehen konnte bis zum Ende des ersten Quartals 2011 auf 9,9 Milliarden reduziert werden.

«Auch wenn die Rettung glimpflich ausgehen sollte: Im Bundeshaus herrschte Einigkeit, dass eine solche Aktion nicht wieder vorkommen darf», erinnert sich Philipp Stähelin, der als CVP-Ständerat in der Wirtschaftskommission sitzt.

Bereits am 3. Oktober 2008 – also nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers, aber noch vor der UBS-Rettung – reichte Nationalrat Hans Kaufmann für die SVP-Fraktion einen Vorstoss ein. Der Bankenexperte, der früher bei der US-Investmentbank Goldman Sachs arbeitete, sagt: «Es war klar, dass uns eine grosse Sache bevorstand.» Demnach sollte eine «hochkarätige» Expertenkommission die Folgen des Konkurses eines «Schweizer Grossunternehmens» für die «Schweizer Volkswirtschaft» aufzeigen.

Der politische Druck blieb hoch: SP-Präsident Christian Levrat, SVP-Milliardär Christoph Blocher und der Industrielle Nicolas Hayek traten ein Jahr später als drei Musketiere vor die Presse und forderten eine Redimensionierung der Grossbanken. Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand betonte öffentlich, dass es «kollektiver Verantwortungslosigkeit» entsprechen würde, keine schärferen Regeln einzuführen.

Ziel Einstimmigkeit

Im November 2009 schliesslich ernannte der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz eine Expertenkommission: Geleitet wurde sie von Peter Siegenthaler, Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Die Gruppe setzte sich aus sechs weiteren Vertretern der Behörden, etwa von Nationalbank und Finanzmarktaufsicht Finma, und der Wissenschaft zusammen. Dazu kamen sechs Personen aus der Privatwirtschaft, von Grossbanken, Versicherungen, Chemie. Auch Economiesuisse mit Gerold Bührer zählte dazu.

Ist es nicht demokratisch fragwürdig, dass Konzerne und Lobby mit ihren Kontrolleuren an einem Tisch sitzen – und gemeinsam die Regeln aushandeln? «Die Politik war auf die Fachleute angewiesen, weil niemand über ihr Know-how verfügt», sagt Philipp Stähelin.

Offensichtlich ist: Bei der Zusammensetzung der Expertengruppe folgte Merz seiner Doktrin, wonach Linke, abgesehen vom SP-Chefbeamten Siegenthaler, keine Experten sind. Bekannt ist auch: Wirtschaftsprofessor Hans Caspar von der Crone wurde als Vertreter der Wissenschaft angeführt, wirkte aber auch im Verwaltungsrat der Bank Vontobel. Die Konzerne sassen demnach nicht nur mit am Tisch, sie besassen die Mehrheit in der Gruppe. Das Ziel lautete von Beginn weg Einstimmigkeit. Es ging nicht um die Suche nach der besten Lösung, sondern nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner: Was wären die Banken gerade noch bereit zu schlucken?

Der Auftrag des Bundesrates an die Kommission lautete, Lösungen zur Milderung der «Too big to fail»-Problematik zu liefern. «Too big to fail», zu gross, um zu scheitern: Der Ausdruck stammt aus der postkeynesianischen Wirtschaftstheorie. Er besagt, dass Unternehmen oder auch Staaten allein aufgrund ihrer Grösse faktisch vor der Zahlungsunfähigkeit geschützt würden. Wegen der systemischen Folgen einer Insolvenz müssten sie vom Staat oder internationalen Organisationen zwingend gerettet werden.

«Too Big» – das gilt für die Schweizer Grossbanken im Besonderen: Als die UBS im Herbst 2008 gerettet werden musste, betrug die Bilanzsumme der beiden Grossbanken mit rund 3500 Milliarden Franken mehr als das Sechsfache des Schweizer Bruttoinlandprodukts BIP. Heute sind die Banken zwar etwas geschrumpft, trotzdem sind sie noch immer viermal grösser als die Wertschöpfung der gesamten Volkswirtschaft. Zum Vergleich: Die Bilanzsumme aller US-amerikanischen Banken zusammen ist etwa gleich gross wie das BIP der Vereinigten Staaten.

Gemäss Finanzdepartement kostet die faktische Staatsgarantie die Schweizer Volkswirtschaft zwischen drei und acht Milliarden Franken pro Grossbank und Jahr. Ohne diese Garantie würden UBS und CS von den Ratingagenturen deutlich schlechter eingestuft.

Die Stärkung des Eigenkapitals wurde in der Finanzkrise international zur vordringlichsten Massnahme, um die Stabilität der Banken zu sichern. Weshalb, zeigt gerade das Beispiel UBS: Beim Ausbruch der Krise war ihre gesamte Bilanzsumme mit gerade einmal 1,8 Prozent Eigenmittel gedeckt.

Im September 2010 verabschiedete der Ausschuss der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) unter dem Namen «Basel III» strengere Eigenmittelvorschriften: Demnach müssen die Banken 10,5 Prozent Eigenkapital auf die sogenannten «risikogewichteten Aktiven» halten. Kurz darauf präsentierte die Expertenkommission ihren Vorschlag für die Schweizer Grossbanken: Wegen ihrer erhöhten Bedeutung für die Volkswirtschaft müssen diese eine Eigenmittelquote von neunzehn Prozent auf die risikogewichteten Aktiven erfüllen.

Fast die Hälfte, neun Prozent, sollen die Grossbanken in sogenannten Cocos halten: Unter Cocos (Contingent Convertibles) versteht man Wandelanleihen, die in Aktien gewandelt werden, wenn die Bank eine bestimmte Eigenmittelquote unterschreitet. Damit steht ihr in der Krise fehlendes Eigenkapital zur Verfügung, die Bank muss nicht vom Staat gestützt werden (siehe unten: «Mit Cocos würde die Swissair heute noch fliegen»).

Um den Aufbau eines Schweizer Marktes für die Ausgabe von Cocos zu fördern, geht mit der «Too big to fail»-Vorlage eine Steuersenkung einher: Die Emissionsabgabe auf alle Obligationen und Geldmarktpapiere soll abgeschafft werden, was für den Staat Mindereinnahmen von 220 Millionen Franken bedeutet.

«Fast nicht geglaubt»

Neben der Stärkung der Eigenmittel schlug die Expertenkommission in ihrem Schlussbericht weitere Massnahmen vor: zu den Liquiditätsanforderungen einer Grossbank sowie zur Risikoverteilung innerhalb des Bankensektors. Ausserdem müssen die Grossbanken einen Notfallplan besitzen, der die Weiterführung systemrelevanter Funktionen wie etwa den Zahlungsverkehr und das Einlagen- und Kreditgeschäft gewährleistet. Den Plan zu erarbeiten, überlässt die Finma den Banken.

Auf Bestimmungen zur Zerschlagung der Grossbanken oder eine explizite Beschränkung ihrer Grösse wurde verzichtet. Diese wurden als «unverhältnismässig» und «nicht zielgerichtet» abgetan.

In der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft», die vom Staatssekretariat für Wirtschaft und dem Volkswirtschaftsdepartement herausgegeben wird, kamen die beteiligten Experten im letzten Dezember ausführlich zu Wort. Kommissionspräsident Siegenthaler betonte, dass die verschiedenen Massnahmen erst im Zusammenspiel ihre Wirkung entfalten. Urs Rohner, der Vertreter der Credit Suisse, sprach von einer «schmerzhaften, wenn auch für die Zukunft unserer Volkswirtschaft wichtigen Konsenslösung». Ulrich Körner von der UBS meinte, «die endgültigen Entscheide liegen beim Schweizer Parlament».

Der Hauptunterschied zwischen dem Expertenbericht und dem schliesslich vom Bundesrat verabschiedeten Gesetzesentwurf liegt darin, dass in Letzterem die Boni-Politik einer Bank bei einer allfälligen staatlichen Unterstützung eingeschränkt wird. Die Wirtschaftskommission des Ständerates stimmte dem Vorschlag nach zweitägiger Beratung zu.

SP-Ständerätin Anita Fetz sagt, um den Kompromiss hätten die Experten lange gerungen. Dass die Vorlage auch ohne grosse Änderungen durch die Wirtschaftskommission ging, «habe ich fast nicht geglaubt. Chapeau, dass sich die Bürgerlichen nicht weichklopfen liessen!» Der Unterschied zwischen Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und ihrem Vorgänger Hans-Rudolf Merz in der Haltung sei fundamental. Ganz zufrieden ist sie mit dem Resultat aber noch nicht. Im Parlament will sie Anträge für strengere Auflagen stellen.

«Neunzehn Prozent Eigenmittel sind zu verkraften», sagt auch SVP-Nationalrat Hans Kaufmann. Er unterstütze die Vorlage. «Was mich allerdings ärgert: In den Kommissionen wurde uns x-fach versichert, dass die USA und Britannien nachziehen. Ich nenne das den Winkelried-Effekt: Alle Länder preschten vor und kündigten Regulierungen an, aber jetzt sind alle wieder einen Schritt zurückgestanden. Nur die Schweiz ist vorne stehen geblieben.»

CS gegen UBS

Wie reagieren die Grossbanken auf die geplanten Änderungen? Die Credit Suisse verkaufte am 14. Februar Cocos im Wert von rund sechs Milliarden Franken an saudische und katarische Investoren. «Die Transaktion ist ein weiteres Bekenntnis zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell im neuen Umfeld.» Mit diesen Worten liess sich CS-Chef Brady Dougan zitieren. Drei Tage später platzierte die CS eine weitere Tranche Cocos im Wert von zwei Milliarden Franken auf dem Markt. Die Nachfrage nach dem neuen Finanzinstrument war so gross, dass die Bank zehnmal mehr hätte verkaufen können. Bei der Ausgabe arbeitete die Credit Suisse eng mit der Nationalbank und der Finma zusammen. Die CS als vorbildlich nachhaltige Bank?

Weil die Gesetzesänderungen noch nicht in Kraft sind, wurden die Cocos für acht Milliarden Franken im Februar unter ausländischem Recht ausgegeben. Damit, erklärte die Credit Cuisse, halte sie bereits einen beträchtlichen Teil ihres vorgesehenen Wandlungskapitals. Allerdings verlangen sowohl die Expertenkommission als auch der Bundesrat, dass die Cocos unter Schweizer Recht verkauft werden sollen. Sei dies nicht der Fall, heisst es in der Botschaft, «können (Rechts-)Unsicherheiten entstehen, welche die Wirksamkeit des Cocos-Konzepts im Ernstfall infrage stellen». Ausländische Gläubiger würden die Gültigkeit der Wandlung infrage stellen und «möglicherweise erfolgreich Verfahren anstrengen». Statt die Bank mit frischem Kapital zu versorgen, hätten die Cocos einen gegenteiligen Effekt: Sie würden Geld und Zeit rauben – was eine Bank in einer Notsituation nicht hat.

Will die CS vor der Parlamentsdebatte Fakten schaffen?

Die Emission der Cocos, die Diskussion in der Wirtschaftskommission um die Eigenkapitalquote – auf alle Fälle scheint die Credit Suisse bei der Bankenregulierung eine offensive Strategie gewählt zu haben, die sich an ein inländisches Publikum richtet.

Just in der Woche, bevor das Geschäft in der Wirtschaftskommission des Ständerates behandelt wurde, erschien im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» ein ausführliches Interview mit CS-Chef Brady Dougan: «Wir sind immer davon ausgegangen, dass die Bankenregulierung in allen Ländern verschärft wird. Deshalb haben wir uns auch für eine striktere Regulierung in der Schweiz ausgesprochen. (...) Der jetzige Gesetzesentwurf nimmt das meiste von der Expertenkommission auf, hat aber da und dort auch einschneidende Abweichungen. Auf diese Abweichungen muss man noch deutlicher hinweisen (...) Die Schweiz bleibt für uns ein sehr wichtiger Markt. Solange das neue Bankengesetz mit der Expertenkommission konform bleibt, ist die Debatte über einen Wegzug völlig überflüssig.»

CS-intern wird das Interview als «Manifest» bezeichnet.

Genau umgekehrt verhält sich die UBS: Sie orientiert sich an ihrem ausländischen Aktionariat. Vergessen die Jahrhundertrettung, die kriminellen Geschäftspraktiken in den USA, der Staatsvertrag. An der Jahrespressekonferenz drohte UBS-Boss Oswald Grübel, wegen der Regulierung das Investmentbanking ins Ausland zu verlagern. UBS-Verwaltungsratspräsident Kaspar Villiger sagte in einem Interview mit der «Handelszeitung»: «Ich bin nicht als Brückenbauer gewählt worden. (...) Alles, was ich zum Thema Regulierung sagte, tue ich aus einem Grund: Damit die Schweiz bei der Regulierung keine Fehler macht (...) Dass wir mehr Kapital halten, perfekter dastehen müssen als die Konkurrenz – okay, akzeptiert. Es geht nur um die Höhe dieses Zuschlages. Die sollte man nicht festlegen, bevor klar ist, was die wichtigsten Konkurrenzfinanzplätze tun.»

Letzte Woche vermeldete das «Wall Street Journal», dass die UBS ihr Investmentbanking tatsächlich abspalten wolle. Grübel wies das Gerücht zurück.

Die PolitikerInnen loben die Vorlage. Die Grossbanken akzeptieren sie murrend. Was sagen die Experten dazu? Zumindest jene, die nicht in der Expertenkommission sassen?

Der Bankenkritiker und ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm sagt: «Es ist gut, dass die Banken mehr Eigenmittel haben müssen. Aber das Problem ist, dass die Eigenmittel noch immer auf der Risikogewichtung basieren.» Die neunzehn Prozent Eigenkapital der Banken beziehen sich nicht auf die gesamte Bilanzsumme, sondern lediglich auf die risikogewichteten Aktiven einer Bank. Die Bilanzsumme der UBS beträgt rund 1500 Milliarden Franken. Als risikogewichtet gelten jedoch nur rund 400 Milliarden.

Geringere Anforderungen

Die Anforderungen an die Banken sind weit geringer, als es auf den ersten Blick scheint. Das bestätigte Mitte Mai auch Thomas Jordan, Vizepräsident der Nationalbank, als er in einem Referat in Genf sagte, die vorgeschlagenen Massnahmen seien keinesfalls übertrieben: «Im Gegenteil; die Erhöhung der Eigenmittel würde die bislang rund 98-prozentige Fremdfinanzierung der Grossbanken nur um drei Prozentpunkte reduzieren. Rund 95 Prozent der Bilanzsumme können nach wie vor mit Fremdkapital finanziert werden.» Oder umgekehrt formuliert: Konnten die Grossbanken in der Krise bei zwei Franken Eigenkapital 98 Franken ausleihen, benötigen sie neu gerade mal fünf Franken Eigenkapital.

Deshalb bräuchte es laut Strahm eine gesetzlich festgelegte Leverage Ratio, also eine Eigenmittelquote, die sich auf die gesamte Bilanzsumme bezieht – risikounabhängig. In der «Too big to fail»-Vorlage ist zwar eine Leverage Ratio vorgesehen – ihre Höhe allerdings ist offen.

Der renommierte deutsche Ökonom Martin Hellwig hatte im März in der WOZ gesagt: «Die Risikogewichtung halte ich für unseriös und höchst manipulationsanfällig. Die Banken berechnen die Risiken in ihren Modellen selber. Die Qualitätskontrolle der Modelle ist mangelhaft. Dabei muss klar sein, dass viele Risiken gar nicht messbar sind. Bei der UBS hatten viele der Papiere, die die Bank in den Abgrund rissen, ein Risikogewicht von null.» (Siehe WOZ Nr. 12/11.) Er forderte eine Leverage Ratio von dreissig Prozent.

Grundsätzlich ist die Kritik, die Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart an der Vorlage äussert: Ziel sei es, die Gefahr für das «Schweizerische Finanzsystem» zu mildern. «Die nationale Sicht ist irreführend. Das relevante Finanzsystem ist international.» Dass wankende Banken im Krisenfall kontrolliert in Teile zerlegt werden könnten, sei eine Illusion. Für eine Krise im Finanzsystem reiche bereits die Befürchtung, eine relevante Bank könnte insolvent werden. Diese Banken müssten deshalb insgesamt sicherer gemacht werden – Lampart fordert eine Leverage Ratio von zehn Prozent.

Anita Fetz wird im Parlament zwei Anträge für eine fixe Leverage Ratio stellen: Ein erster für fünf Prozent Eigenkapital auf die gesamte Bilanzsumme soll zeigen, wer überhaupt für eine Festlegung ist. Und ein zweiter für zehn Prozent soll klarmachen, wer für strenge Regeln eintritt.

Auch der Finanzplatzhistoriker Peter Hablützel unterstützt eine feste Leverage Ratio. Ihn stören die Steuererleichterungen, die mit der Regulierung einhergehen: «Das ist eine finanzielle Unterstützung des Finanzplatzes.» Damit würden die Fremdmittel gegenüber den Eigenmitteln noch attraktiver.

Und was macht eigentlich Christoph Blocher? Er lehnt die zusätzlichen Massnahmen für die Schweizer Grossbanken ab und fordert stattdessen die Aufteilung in eine Holding. Ausländische Tochtergesellschaften könnten so separat in Konkurs gehen, behauptet er entgegen der juristischen Sachlage: In einer Holdingstruktur haftet die Muttergesellschaft auch für die Tochter. Die Bankenpolitik des Milliardärs scheint widersprüchlich, in einem ist sie konsequent: Immer dann, wenn Lösungen in Griffnähe rücken, sei es bei der Abzocker-Initiative oder jetzt bei der «Too big to fail»-Frage, mischt sich der abgewählte Politiker mit anderen Vorschlägen in die Diskussion ein. Beschlossen wird so: nichts.

Die Wetten laufen

Ein Trennbankensystem, also die tatsächliche Aufteilung von Vermögensverwaltung und Investmentbanking, die von Linken unterstützt wird, war nicht Teil dieser Diskussion – ebenso wenig ein Verbot des Eigenhandels, eine Beschränkung der Löhne oder eine Besteuerung der Finanztransaktionen. Kaum jemand traute sich zu sagen, dass die UBS doch bitte gehen soll, wenn sie gehen möchte. Als ersten Schritt zum Rückbau dieses risikobehafteten Finanzplatzes.

Swiss Finish – so werden die zusätzlichen Massnahmen der Schweiz zur Lösung des «Too big to fail»-Problems bezeichnet. Man könnte auch sagen: Kapitalismus, Swiss finished. Behörden und Banken handeln miteinander Regeln aus, die wie gewohnt mit einer Millionen-Steuererleichterung für das Kapital verbunden sind.

Umgekehrt drängen die Grossbanken mit ihren Druckversuchen und Vorwegnahmen auf Pragmatismus: «Wenn man etwas durchbringen will», sagt Philipp Stähelin, der im Herbst als Ständerat zurücktritt, «darf man das Fuder nicht überladen.» Historiker Hablützel mahnt: «Etwas Besseres kommt nicht.»

Der Einwand der Credit Suisse betreffend Eigenkapitalquote wurde in der Wirtschaftskommission unter dem Präsidium von Dick Marty (FDP) als Verzögerungstaktik zurückgewiesen. Schon im Expertenbericht heisst es dazu: «Banken haben die Eigenmittelvorschriften nicht nur auf Stufe Einzelinstitut zu erfüllen. Vielmehr haben Finanzgruppen und Finanzkonglomerate die Eigenmittelvorschriften auch auf Gruppen- bzw. Konglomeratsstufe zu erfüllen.» Die Credit Suisse wiederum weist den Vorwurf der Verzögerung zurück: Sie ist zuversichtlich, dass sich doch noch eine Klärung in ihrem Sinn ergibt.

Hans Kaufmann versteht die Eile nicht: «Umgesetzt wird das Gesetz erst bis 2019. Die Zeit ist also kein Problem. Wir müssen doch jetzt über die Details der Vorlage streiten.» Anita Fetz sagt: «Bis zur Parlamentsdebatte wird einzelnen Bürgerlichen sicher noch der Kopf gewaschen. Ich habe deshalb schon Wetten am Laufen.»


Wandelanleihen : «Mit Cocos würde die Swissair heute noch fliegen»

Cocos (Contingent Convertibles) sind Wandelanleihen, die beim Eintreffen eines bestimmten Ereignisses (Trigger) in Aktienkapital umgewandelt werden. Die neue Bankenregulierung sieht ein zweistufiges Modell vor: Sinkt die Eigenkapitalquote unter 7 Prozent (hoher Trigger), wird eine erste Tranche Cocos gewandelt. Sollte das Eigenkapital gar unter 5 Prozent sinken (tiefer Trigger), würde eine zweite Tranche Cocos in Eigenkapital gewandelt.

Einer der Ersten, der in der Schweiz von Cocos sprach, ist der ehemalige Nationalbankdirektor und heutige Wirtschaftsprofessor Urs Birchler. Vor einem Jahr hielt er an der Universität Zürich seine Antrittsvorlesung. Das Thema: «Too big to fail». Der Kernpunkt: Cocos.

Kurz darauf wurde er von der SP für ein unabhängiges Gutachten zur faktischen Staatsgarantie der Grossbanken angefragt, das als Alternative zum Expertenbericht im Sommer 2010 erschien. Darin propagierte Birchler die Cocos ebenfalls: Sie seien ein geeignetes Instrument für die Reprivatisierung der Risiken. Dass sie nun auch im offiziellen Bericht zur Anwendung empfohlen werden, freut ihn: «An der jetzigen Lösung gefällt mir, dass im Krisenfall Schulden in Eigenmittel gewandelt werden.» Die Wandlung von Cocos versorge die Bank mit frischem Kapital zu einem Zeitpunkt, an dem es überall an Kapital fehle. «Hätte die Swissair bei ihrem Grounding 2001 bereits Cocos gehabt», sagt Birchler, «dann würde sie heute noch fliegen.»

Aber natürlich seien Cocos Finanzderivate, sagt Birchler: «Und die können immer auch falsch designt werden.»

Der Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart allerdings hält wenig von den Cocos: «Die Wandlung von Cocos ist selbst ein Krisenereignis und dürfte nicht folgenlos bleiben: Ein Abzug etwa von Kundengeldern könnte die Krise verstärken.»