Spanischer Bürgerkrieg: So mordete der sowjetische Geheimdienst in Barcelona

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Neue Forschungen bringen Licht in Stalins Verbrechen während des Spanischen Bürgerkriegs. Sein Geheimdienst NKWD jagte Oppositionelle, Alexander Orlow leitete die tödlichen Operationen. Auch SchweizerInnen waren betroffen.

Barcelona, Mai 1937. Mitten im Spanischen Bürgerkrieg kam es in der katalanischen Hauptstadt zu heftigen Auseinandersetzungen. Ausgerechnet jene, die die spanische Republik gegen die Putschisten um General Francisco Franco verteidigten, lieferten sich plötzlich Strassenschlachten und Schusswechsel. Linke kämpften gegen Linke.

Wieso kam es zu diesem innerrepublikanischen Konflikt in einem Krieg, der sich zu einem internationalen Machtkampf auswuchs, weil Benito Mussolini und Adolf Hitler Franco unterstützten? Anfangs hatten die miserabel ausgestatteten spanischen Arbeitermilizen den Staatsstreich noch abwehren können. Ohne Waffen aber gab es keine Chance. Diese lieferte – als einziges Land – die Sowjetunion, gegen gute Bezahlung. Mit dem dringend benötigten Kriegsgerät, das die «demokratischen Staaten» der verzweifelt um ihre Existenz kämpfenden Republik verweigerten, wuchs freilich auch Stalins Einfluss auf die spanische Politik.

Und so entwickelte sich auf antifranquistischer Seite der Gegensatz zwischen zwei Lagern: auf der einen Seite die grosse anarchistische Gewerkschaft CNT und die linkssozialistische POUM, die die soziale Revolution vorantreiben und den libertären Kommunismus verwirklichen wollten; auf der anderen moderate Linke, bürgerliche RepublikanerInnen und russlandtreue KommunistInnen, die radikale Veränderungen ablehnten – zuerst müsse Franco besiegt werden, argumentierten sie.

Es war ein Machtkampf um die politische Hegemonie, der im Mai 1937 auf Barcelonas Strassen ausgetragen wurde. In seinem Halbschatten fand der sowjetische Geheimdienst NKWD ein ideales Operationsfeld. Stalin hatte schon früh Agenten nach Spanien geschleust, deren Ziel nicht etwa die Putschisten um Franco waren – sondern vermeintliche Trotzkisten und damit alle Linken, die sich Stalins Kurs widersetzten. Sie sollten eliminiert werden. Der Mann, den Stalin für diese Aufgabe ausersehen hatte, war 42 Jahre alt, hatte einen dunklen Schnauz, eine Boxernase und nannte sich Alexander M. Orlow. In Wirklichkeit hiess er Leo Nikolsky und stammte aus Weissrussland.

Der Fall Orlow

Inzwischen ist bekannt, dass eine ganze Reihe von linken Oppositionellen auf der Todesliste dieses Geheimdienstprofis stand. War Orlow also Stalins Terminator in Spanien? Nein, sagt der russische Historiker Boris Volodarsky, er sei bloss ein durchschnittlicher Agent gewesen. Aber er war der Kopf des NKWD in Spanien. Volodarsky hat vor kurzem das bisher umfassendste Buch über Stalins geheime Operationen im spanischen Untergrund publiziert. Es heisst «El caso Orlov» (Der Fall Orlow) und dürfte bald zu einem Referenzwerk avancieren – weil es eines der dunkelsten und umstrittensten Kapitel des 20. Jahrhunderts erhellt.

Welche Macht hatte der sowjetische Geheimdienst in Spanien? Hat er Hunderte von Linken auf dem Gewissen? Lenkte er gar heimlich die Politik der spanischen Republik? Solche Fragen treiben HistorikerInnen seit Jahrzehnten um. Die Antworten waren und sind schwierig, weil viele Akten – insbesondere in Moskau – immer noch unter Verschluss sind. Dank Volodarsky weiss man heute mehr.

Der Autor, der früher selber im militärischen Nachrichtendienst arbeitete, zählt Fakten auf und rückt Spekulationen zurecht. Entgegen überzogenen Annahmen zählte der NKWD in Spanien lediglich zehn Offiziere, die getarnt als diplomatische Mitarbeiter agierten. Orlow und seine Leute konnten sich aber auf viele ZuträgerInnen stützen, vor allem aus der spanischen KP. Morde nach Plan waren nur dank dieses Netzes möglich. Manche von Orlows Vertrauensleuten sassen im republikanischen Sicherheitsapparat und operierten frei von staatlicher Kontrolle.

Rund zwanzig Personen wurden laut Volodarsky direkt Opfer der NKWD-Machenschaften. Wobei sich durchaus auch andere republikanische Dienste an der Jagd auf vermeintliche TrotzkistInnen beteiligten und mutmassliche Gegner beseitigten. Volodarsky relativiert die Vorgänge in Spanien durch einen Vergleich mit NKWD-Operationen in anderen Ländern: In Polen, Finnland oder Ungarn habe es ungleich mehr Opfer gegeben. «Massenoperationen wie in der Sowjetunion zur Zeit des Grossen Terrors gab es in Spanien nicht», schreibt er. Aber genaue Zahlen kann auch er nicht nennen.

Der Mord an Andreu Nin

Der bekannteste Mord des NKWD in Spanien ist der am Führer der POUM, Andreu Nin. Dieser übte harsche Kritik an den Moskauer Schauprozessen im Sommer 1936. Seine scharfen Attacken machte ihn aus stalinistischer Sicht zum Dissidenten Nummer eins in Spanien. Als Nin im Frühjahr 1937 auch noch dem verfolgten Leo Trotzki das Exil in Katalonien anbot, war sein Schicksal besiegelt. Er stand nun zuoberst auf der Todesliste des NKWD. Er war ein «liternik», ein zu Liquidierender.

Orlow entwarf den Plan für Nins Beseitigung. Die ganze POUM – in deren Reihen auch George Orwell kämpfte – sollte mithilfe gefälschter Dokumente als Handlangerin von Franco diskreditiert werden. Nin wurde im Juni 1937 in Barcelona verhaftet und in die Nähe von Madrid verschleppt. In nächtlichen Verhören – Orlow war anwesend – sollte er ein Geständnis ablegen. Als er das nicht tat, wurde er umgebracht. Die Sache sei nach der «Methode A» erledigt worden, hiess es anschliessend in einem Rapport nach Moskau. Im NKWD-Jargon steht «A» für «aktivka», ein Codewort für Mord.

Als die Akte Orlow 1992 in Moskau einsehbar wurde, konnte seine Beteiligung an der Tat schlüssig nachgewiesen werden. Volodarsky enthüllt nun die Mittäter: die drei Agenten Josef Grigulewitsch, Erich Tacke und Viktor Neschinsky. Der aus Litauen stammende Grigulewitsch, so Volodarsky, hat Nin erschossen. Der spätere Diplomat war ein Killer, den Stalin 1940 mit dem Plan zur Ermordung Trotzkis nach Mexiko schickte.

Geheimgefängnis mit Krematorium

Weitere rätselhafte Morde, bei denen Oppositionelle spurlos verschwanden, wurden seit je dem NKWD zugeschrieben. Nach Volodarskys Darstellung darf die Täterschaft des sowjetischen Geheimdiensts nunmehr als gesichert gelten. Der österreichische Marxist Kurt Landau wurde beseitigt, weil er ein POUM-Mitarbeiter war. Landau besorgte die Medienarbeit für die Partei und gilt als Verfasser von revolutionären Flugblättern. Landau verschwand im September 1937 in Barcelona nach einer Verhaftung durch angebliche Polizisten. Später publizierte Landaus Gattin Katia unter dem Titel «Stalinism in Spain» einen Bericht, in dem die Foltermethoden in stalinistischen Geheimgefängnissen beschrieben werden.

Laut Volodarsky ebenfalls ein «liternik» war der junge Marc Rein. Rein kam im März 1937 nach Barcelona und verkehrte dort in Stalin-kritischen Kreisen. Er war mit dem späteren deutschen Bundeskanzler Willy Brandt befreundet, der damals als politischer Beobachter in Katalonien weilte. Der 28-Jährige verschwand im April 1937 beim Verlassen des Hotels Continental so spurlos wie Landau. Kurze Zeit darauf tauchte eine handschriftliche Karte auf, in der er von einer kurzfristigen Reise nach Madrid spricht. War er also noch am Leben? Nein, sagt Volodarsky. Die Karte sei vorfabriziert worden – eine typische Finte aus Orlows Täuschungsarsenal.

Doch wie war es möglich, dass Menschen einfach verschwinden konnten? Es ist bekannt, dass es in Barcelona mehrere irreguläre Geheimgefängnisse gab. Dort wurden Verdächtige festgehalten und gefoltert. Volodarsky nennt Hinweise auf ein spezielles NKWD-nahes Gefängnis, das mit einem Krematorium ausgestattet gewesen sein soll. Der verantwortliche Agent soll Stanislaw Vaupschasow gewesen sein, ein russischer Spezialist für Subversion und Terror, der später in der Sowjetunion auf einer Briefmarke geehrt wurde.

Auch SchweizerInnen machten Bekanntschaft mit den Machenschaften des NKWD. Paul und Clara Thalmann aus Basel waren an den Maiereignissen in Barcelona dabei, auf der revolutionären Seite. Paul Thalmann hatte für den POUM-Sender deutsche Beiträge verfasst und ausserdem unter dem Pseudonym Franz Heller eine revolutionäre Broschüre verfasst. Im Juli 1937 führten Stalins Agenten die Thalmanns ab.

In einem Geheimgefängnis an der Puerta del Angel in der Altstadt von Barcelona wurde Thalmann verhört, mit einiger Sicherheit von Orlow persönlich. Jedenfalls erinnerte er sich später an einen Funktionär mit «eingequetschter Boxernase». Dank einer Kampagne an die Adresse des spanischen Innenministers kamen die Thalmanns im September 1937 wieder frei. Sie verliessen Spanien sofort und gingen nach Paris ins Exil.

«Wo ist Moulin?» Diese Frage hatte Thalmann im Verhör oft zu hören bekommen. Moulin war der Spitzname des jungen deutschen Trotzkisten Hans David Freund. Er hatte in Genf Soziologie studiert und dann zur POUM gefunden. Auch er verschwand im August 1937 spurlos. Sein Schicksal ist ungewiss. In den NKWD-Akten taucht sein Name nicht auf. Volodarsky nimmt aber an, dass er von anderen Stalinisten, beispielsweise von deutschen, getötet wurde. Auf Trotzkistenjagd ging auch der Auslandsdienst der kommunistisch-katalanischen Partei PSUC. Weiter trieben kommunistische Infiltreure im spanischen Geheimdienst ihr Unwesen. Es scheint klar, dass auch Erwin Wolf, ein ehemaliger Sekretär von Trotzki, ihr Opfer wurde. Wolf war als Journalist nach Spanien gekommen und verschwand im Juli 1937. Volodarsky vermutet, dass seine Leiche «im Krematorium von Vaupschasow» landete.

«Alles Fiktion»

Eine abschliessende Bilanz über Stalins Verbrechen im republikanischen Spanien ist noch nicht möglich. Das wird erst nach der Deklassifizierung sämtlicher Akten in Moskau der Fall sein. Bekannt ist aber, was mit Orlow geschah. Im Juli 1938 berief ihn Stalin nach Amsterdam ab, wo er sich auf einem sowjetischen Frachter einfinden sollte. Doch Orlow war klug genug, um zu ahnen, was ihn erwartete: Rückführung nach Moskau, Anklage wegen Spionage und Erschiessung. Das war das Schicksal vieler Funktionäre, die zu viel wussten. Orlow setzte sich via Kanada in die USA ab. Dort lebte er zunächst viele Jahre unerkannt, bis er sich als ehemaliger NKWD-Spion zu erkennen gab und auch Bücher publizierte. Mit diesen Veröffentlichungen geht Volodarsky jedoch hart ins Gericht: «Alles Fiktion.»

Orlows Lebensversicherung war ein Brief, den er bei seiner Desertion an NKWD-Chef Nikolai Jeschow adressiert hatte. Darin drohte er mit der Publikation von kompromittierendem Material, falls ihm oder seiner Familie etwas zustossen sollte. Stalin musste die Enttarnung seines gesamten Spionagenetzes befürchten. Diese Drohung hielt ihn in Schach. Andere Deserteure ereilte dagegen der Tod, zum Beispiel Ignaz Reiss, einen illegalen NKWD-Mann in Paris. Er flüchtete 1937 in die Schweiz und wurde bei Lausanne von Kugeln durchsiebt im Strassengraben aufgefunden. Und Walter Kriwitzki, ein in den Niederlanden stationierter NKWD-Funktionär, der den Schmuggel sowjetischer Waffen nach Spanien mitorganisiert hatte, beging 1941 in einem Hotel in Washington unter mysteriösen Umständen Selbstmord.

Orlow selber starb 1973 in Cleveland im Alter von 78 Jahren. Und zwar – anders als seine Opfer, für die er eine Verantwortung stets bestritten hat – eines natürlichen Todes.

Boris Volodarsky: «El caso Orlov». 
Editorial Crítica. Barcelona 2013. Eine Ausgabe 
in englischer Sprache ist bei Oxford University 
Press in Vorbereitung.