Immer und ewig: Ein Bergsturz vor 300 Jahren

Nr. 25 –

Wenn man von Sion aus eine der unwegsamsten Postautostrecken befährt, kann man seit den fünfziger Jahren bequem nach Derborence gelangen. Vorher waren da nur Bergwege, die zu einem Meer aus Steinen führten: Felsblöcke, so weit das Auge reicht. Vor 300 Jahren, am 
23. September 1714, erklärten die Diablerets den dort oben ihre Tiere weidenden Walliser Hirten den Krieg. Der Felssturz begrub 
15 Menschen, 40 Chalets und 180 Kühe unter sich. 35 Jahre später griff der Berg erneut an. Seinen «teuflischen» Namen – Diablerets heisst übersetzt «Teufelshörner» – bekam er erst dann. Auch der See, der sich damals bildete, galt lange Zeit als verflucht, was die heutigen AusflüglerInnen jedoch nicht abzuschrecken scheint.

Der Bergsturz fand Eingang in den «Dictionnaire géographique»: «Ein Hirte, verschwunden und totgeglaubt, war mehrere Monate bei lebendigem Leib in einem Chalet begraben und ernährte sich von Brot und Käseresten.» Aber erst Charles-Ferdinand Ramuz verstand es, etwa mit seinen Romanen «La Grande Peur dans la montagne» (1926) und «Derborence» (1934), das Tragische der Bergwelt auch den städtischen TouristInnen spürbar zu machen. Der abgemagerte, käsebleiche Hirte Antoine kommt als «Gespenst» ins Dorf zurück. Seine Frau Thérèse macht sich mit ihm zusammen ein letztes Mal auf, zurück in die Gerölllawine, auf die Suche nach ihrem Onkel, der doch noch leben muss, irgendwo da oben …

Auf der letzten Seite heisst es: «Lieblich klingt der Name Derborence; sanft und traurig singt einem das Wort durch den Kopf.»

Charles-Ferdinand Ramuz: «Derborence». 
Aus dem Französischen von Hanno Helbling. Limmat Verlag. Zürich 2003. 159 Seiten. Fr. 29.90.