Die Wurzeln von Swissleaks: Als das Bankgeheimnis wasserdicht war

Nr. 8 –

Zahlreiche KontoinhaberInnen der Bank HSBC Schweiz waren in kriminelle Aktivitäten verwickelt. Woher stammen diese KundInnen? Antworten liefert die Geschichte des Bankers Edmond Safra.

Vor sechzehn Jahren, im Mai 1999, hatte die britische HSBC angekündigt, sie werde Edmond Safras Bankenimperium kaufen. Heute dürfte der britische Finanzgigant den damals als Geniestreich gelobten Kauf bereuen. Sie hätten den Grossteil der von Swissleaks (vgl. «Swissleaks» im Anschluss an diesen Text) ans Licht gebrachten dubiosen KundInnen von ihrer Vorgängerin Safra Republic Corporation übernommen, sagt die Schweizer Filiale der britischen Skandalbank HSBC. Wer war die Safra Republic, und warum hatte sie so viele dubiose KundInnen? 

Zum übernommenen Bankenimperium gehörten die in Genf ansässige Safra Republic Corporation sowie der US-amerikanische Safra-Ableger Republic New York Corporation. Ende 2012 musste bereits die HSBC USA (vormals Republic New York) dem US-Finanzministerium 1,92 Milliarden US-Dollar Busse bezahlen, weil die Bank für mexikanische Drogenkartelle über sieben Milliarden Dollar Cash aus Mexiko in die USA geschafft hatte. Und nun steht die HSBC Schweiz (vormals Safra Republic) wegen Beihilfe zu Geldwäscherei und Steuerhinterziehung am Pranger.

Mit acht Jahren täglich im Kontor

Seine Banken hat Edmond Safra 1999 nicht ganz freiwillig verkauft. Das enorme Russlandgeschäft der Republic New York war in der Russlandkrise 1998 dramatisch abgestürzt, was auch seine Schweizer Bank tangierte. Er stand mit dem Rücken zur Wand. Zur allgemeinen Überraschung reagierte Safra blitzschnell und verkaufte für 10,3 Milliarden Dollar an die HSBC. Ein Jahr zuvor hatte Safra Republic mit der Ausgabe der ersten Frankenanleihe mit tausendjähriger Laufzeit noch ewiges Leben suggeriert.

Am 3. Dezember 1999, kurz nach dem Verkauf seines Imperiums, erstickte Safra in Monaco bei einem Wohnungsbrand in seinem Penthouse am giftigen Rauch. Drei Tage später gestand sein US-amerikanischer Krankenpfleger die Brandstiftung. Er gab an, das Feuer entfacht zu haben, um seinen Chef dann zu retten und eine fette Belohnung zu kassieren. Manche glauben allerdings, hinter dem Brand stehe die russische Mafia. Republic New York genoss Anfang der neunziger Jahre das Vertrauen der Privatisierungsprofiteure und hatte etwa zehn Milliarden Dollar Cash, meistens frisch ab Druckerpresse der US-Notenbank, nach Russland geflogen. Diese Geldtransporte waren völlig legal und dienten der Dollarisierung der russischen Wirtschaft, hatten jedoch Republic New York in engen Kontakt mit unzähligen mafiaverdächtigen russischen Banken und Finanzgesellschaften gebracht.

Als der Rabbi der Genfer Hekhal-Haness-Synagoge den Verstorbenen nach sephardischem Ritus zur ewigen Ruhe bettete, erwiesen diesem über tausend Menschen die letzte Ehre. Bei seiner Ankunft in der Rhonestadt ein halbes Jahrhundert zuvor hatte noch niemand auf ihn gewartet. Dazwischen schrieb Edmond Safra Bankengeschichte.

Erstmals kam der 1932 in Beirut geborene Edmond Safra als Sechzehnjähriger 1948 oder 1949 nach Genf. Geschickt von seinem Vater Jacob, der in Beirut das Haus Jacob E. Safra, Maison de Banque, betrieb. Jacob Safra war kurz vor dem Ersten Weltkrieg für die Familienfirma Safra Frères von Aleppo nach Beirut gezogen. Nach dem Untergang des Osmanischen Reichs hatte die Gold- und Geldhandelsfirma ihre Standorte in Aleppo, Istanbul und Alexandria schliessen müssen. In Beirut betrieb die Bank von Jacob Safra weiterhin Handelsfinanzierung und handelte selber mit Gold, Geld und Diamanten. Von Edmond wird berichtet, er sei schon als Achtjähriger jeden Tag im Kontor seines Vaters anzutreffen gewesen. Eine höhere Schule hat er nie besucht.

Nach dem Krieg schickte Jacob Safra seinen Sohn Edmond nach Mailand. Er sollte die geschäftlichen Perspektiven im kriegszerstörten Zentraleuropa prüfen. Ebenso wie andere sephardische jüdische Familien aus dem Nahen Osten zog es die Safras damals nicht ins eben gegründete Israel, sondern nach Europa. Andere prominente sephardische Migranten jener Zeit, mit denen Edmond Safra später zusammenarbeitete, sind Edgar de Picciotto, Nessim Gaon, Maurizio Dweck oder Gilbert de Botton.

In der Folge pendelte Edmond Safra als Vertreter der Safra-Bank zwischen Beirut, Italien und der Schweiz. 1952 inspizierte Edmond eine Zellulosefabrik in Brasilien, wo es ihm gefallen haben muss. Er blieb in Rio, später in São Paulo, und begann, Portugiesisch zu lernen. 1953 folgten Vater, Mutter und Geschwister nach. 1954 gründete er mit dem Vater den Banco Safra, heute unter seinem Bruder Joseph eine der grössten Banken Brasiliens. Die brasilianische Safra Group übernahm 2012 für eine Milliarde Franken die Aktienmehrheit der Basler Privatbank Sarasin. Mittlerweile hat Safra das gesamte Kapital übernommen, die Aktie von der Börse dekotiert und Sarasin mit der Bank J. Safra Schweiz zur Safra Sarasin verschmolzen.

1955 verlegte Edmond seine Aktionsbasis wieder nach Genf, wo er mit 100 000 Franken die Finanzgesellschaft Sudafin gründete. Vier Jahre später bekam die Sudafin unter dem Namen Trade Development Bank (TDB) eine Bankenlizenz. In den sechziger Jahren expandierte die TDB rasch und eröffnete zahlreiche Filialen, so in Zürich, Chiasso, London und auf den Bahamas. 1966 gründete Safra einen Ableger in den USA, die Republic National Bank of New York. Das Kerngeschäft der Safra-Banken blieben die Handelsfinanzierung und der Gold- und Banknotenhandel im Dreieck Europa–Südamerika–USA, zunehmend ergänzt von der Vermögensverwaltung, jedoch ohne nennenswerte Vergabe von Krediten.

Bis 1973 avancierte die operativ von einem Zirkel von Safra-Vertrauensleuten geführte TDB zur grössten Auslandsbank der Schweiz. Im Verwaltungsrat sass die Crème de la Crème der Genfer Wirtschaftsanwälte. In der Schweizer Öffentlichkeit war Edmond Safra in den Siebzigern praktisch unbekannt. 1983 – wohl nicht zufällig auf dem Höhepunkt der damaligen Lateinamerika-Schuldenkrise – verkaufte Safra die TDB für 550 Millionen US-Dollar an American Express, blieb jedoch Präsident der neuen Amexco-TDB-Bank. Auch sein enger Mitarbeiter Giacomo Dweck sass weiterhin im Verwaltungsrat. Ende 1984 verliessen die beiden die Amexco-TDB, und ab 1985 folgten ihnen etwa hundert der wichtigsten Kaderleute nach.

Erfolgreiche Schweizer Tochter 

American Express engagierte daraufhin Privatdetektive, die kompromittierendes Material gegen Safra suchen sollten, und reichte bei der Eidgenössischen Bankenkommission Klage gegen ihn ein. Gefunden hat man nichts, die Klage wurde abgewiesen. Nach Ablauf der Konkurrenzverbotsfrist gründete Safra 1988 mit zahlreichen bei Amexco-TDB abgesprungenen Kaderleuten eine Schweizer Tochter der Republic National Bank of New York, die RNB Suisse, die in wenigen Jahren zur grössten Auslandbank der Schweiz avancierte. Die Mutterbank war unterdessen grösste Regionalbank im Raum New York, grösste US-Goldhändlerin für Münzen und Barren, figurierte im Banknotenhandel und in der Handelsfinanzierung unter den Grössten und betrieb auch eine eigene Flugzeugflotte.

Gleichzeitig serbelte die Amexco-TDB vor sich hin. Die Amexco-Bosse beschlossen, sie zu verkaufen. Safra bot eine Milliarde Dollar, bekam den Zuschlag jedoch nicht. 1990 ging das Institut schliesslich an die zehnmal kleinere Bank von Edgar de Picciotto. Es gab Gerüchte, Safra habe de Picciotto beim Kauf mit Krediten unter die Arme gegriffen. Sicher ist, dass die Geschäftsführung und einige Topjobs der neu unter Union Bancaire Privée (UBP) firmierenden Bank de Picciottos mit Spitzenkadern der alten TDB Edmond Safras besetzt wurden.

Mit der von der Amexco-Safra übernommenen Kundenbasis bekam die UBP ähnliche Probleme wie heute die HSBC. Als in den Medien diverse dubiose UBP-Geschichten zirkulierten, war Edgar de Picciotto 1995 gezwungen, in einer bis dahin beispiellosen Art jede Verbindung seiner Bank zu «dunklen Finanzgeschäften» zu dementieren. An einer Pressekonferenz listete er fünf der in den Medien zirkulierenden Fälle auf, in denen die UBP mit blütenreiner Weste dastehe. 

Persilschein von der Genfer Justiz

Auch Safra bekam in jenen Jahren erstmals gröbere Probleme mit der Schweizer Presse. 1991 klagte er gegen Chefredaktor Jacques Pilet und Redaktor Jean-Claude Buffle vom Westschweizer Nachrichtenmagazin «L’Hebdo», die ihn in einer grossen Recherche in den Dunstkreis der Geldwäscherei gestellt hatten. Unter Verdacht geriet dabei der mit Safra bekannte Albert Shammah, der in Genf kurzzeitig verhaftet worden war.

Allerdings basierte die Story der beiden «L’Hebdo»-Journalisten auf gefälschten Dokumenten von jenen Privatdetektiven, die American Express auf Safra angesetzt hatte. Ein weiterer Teil der Geschichte war ein Bericht des U. S. Bureau of Narcotics aus dem Jahr 1957, nach dem Safra in den Schmuggel von Heroin von Beirut nach Mailand verwickelt gewesen sei. Rudolf Wyss von der Bundespolizei in Bern bestätigte die Existenz des Berichts, sagte jedoch, es handle sich um eine Namensverwechslung. 1966 erbat das U. S. Bureau of Narcotics in Bern nochmals Auskunft über Safra und bekam die Antwort, es gebe keinen Anlass, diesen der Verwicklung in Drogengeschäfte zu verdächtigen.

Die Genfer Justiz bescheinigte Safra eine blütenreine Weste. Pilet und Buffle wurden zu je 5000 Franken Busse und zehn Tagen bedingter Haft verurteilt, der Ringier-Verlag musste das Urteil auf seine Kosten in fünfzehn Zeitungen publizieren lassen. Seither haben Ringiers Recherchierasse die Safra-Banken gemieden.

Edmond Safra war die Inkarnation des alten Geschäftsmodells auf dem Finanzplatz Schweiz: Der Kunde ist König, er wird von verschwiegenem Personal loyal bedient und durch das Bankgeheimnis wasserdicht geschützt. Fünfzehn Jahre nach seinem Tod wird dank Swissleaks sein Erbe aufgearbeitet.

Swissleaks

KundInnen der HSBC in Genf sollen in Waffen- und Drogenhandel und Terrorfinanzierung involviert gewesen sein. Über 100 000 KundInnen aus 203 Ländern identifizierte ein internationales Recherchenetz aus diversen Zeitungs- und TV-Redaktionen, darunter auch «Tages-Anzeiger», «SonntagsZeitung», «L’Hebdo» und «Le Temps».

Die Swissleaks-Datensätze gelangten dank des ehemaligen IT-Spezialisten bei der HSBC, Hervé Falciani, an die Öffentlichkeit. Das Datenleck betrifft die Schweizer Tochter der britischen Grossbank HSBC, die HSBC Private Bank Genf. Diese ging aus der Safra Republic Corporation hervor, jener Bank, die die HSBC 1999 von Edmond Safra gekauft hatte. Die HSBC ist gemessen an der Bilanzsumme die zweitgrösste Bank der Welt.