HSBC-Affäre: Die Spur des Geldes

Nr. 9 –

KlientInnen, die ihn um Scheinquittungen in Millionenhöhe bitten, Schweizer Schmiergeldzahlungen an Benasir Bhutto und die Zerschlagung der Offshoregesellschaften: ein Gespräch mit Anwalt Jean-Pierre Méan, dem langjährigen Präsidenten von Transparency International Schweiz.

Jean-Pierre Méan im Gespräch mit der WOZ (Grosse Ansicht der Illustration)

Herr Méan, in diesem Moment, in dem wir hier in Ihrem Genfer Büro sitzen, werden ein paar Hundert Meter von hier die Büros des Schweizer HSBC-Ablegers durchsucht.
Jean-Pierre Méan: Der Verdacht auf Geldwäscherei ist begründet. Die Beamten brauchen die gestohlenen Daten nun gar nicht. Sie holen sich die Beweise direkt in der Bank.

Aber kommt dieser Einsatz denn nicht etwas spät?
Er kommt sechs Jahre zu spät. Denn ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass es keine Warnzeichen gab. Trotzdem ist das Geldwäschereigesetz nicht so schlecht, wie es jetzt aussieht. Die Korruptionsverfahren gegen Siemens und Alstom wurden durch Meldungen in der Schweiz ausgelöst. Bei der HSBC griff das Gesetz nicht. Und das ist sicher kein Einzelfall. Denn das Geldwäschereigesetz hat Löcher.

Wo?
Sie können in der Schweiz nicht einfach mit einem Koffer mit einer Million in die Bank gehen und ein Konto eröffnen. Sie müssen auch eine Begründung liefern, woher das Geld kommt. Ob die Begründung ausreicht oder eine Meldung an die Geldwäschereimeldestelle erfolgt, liegt im Ermessen der Bank. Eine systematische Kontrolle gibt es nicht. Der Fall HSBC zeigt, dass dies eine Schwachstelle ist. Hinzu kommt, dass die bestehenden Anforderungen an die Herkunft des Geldes die Geldwäschereigefahr nicht vollkommen ausschalten. Sie müssen Millionen waschen? Legen Sie die Kopie eines Kaufvertrags einer Immobilie vor. Wenn die Bank das Geld nimmt, hindert Sie nichts daran, mit demselben Vertrag zur nächsten Bank zu gehen und eine weitere Million zu deponieren. Und dann gehen Sie zur nächsten. Es mag eine Bank geben, die es genauer wissen will. Aber Sie werden Banken finden – nicht unbedingt in der Schweiz –, die das Geld nehmen, die weder nachfragen noch verdächtige Fälle melden, was ihre Pflicht wäre. Kürzlich schickte ich für einen Klienten einen Kaufvertrag per E-Mail an eine Bank im Ausland. Das Geld war sauber. Aber das konnte die Bank nicht wissen. Das Geld haben sie trotzdem genommen, ohne weitere Fragen zu stellen.

Wenn die Bank das Geld annimmt, ist es gewaschen.
Exakt. So einfach ist das. Die Herkunft von Geld lässt sich leicht verschleiern. Was glauben Sie, wie viele Rechnungen jeden Tag für sogenannte Beratungen gestellt werden, die es nicht gibt? Ein Klient fragte mich einst völlig selbstverständlich: «Können Sie mir nicht eine Rechnung ausstellen über eine Million Dollar, datiert von letztem Jahr?» Ich sagte ihm: «Geh weg!» Aber die Rechnung kriegt er anderswo ohne Probleme. Es ging darum, eine Zahlung von einer kanadischen Bank in ein Liechtensteiner Gebilde auszulösen.

Oder nehmen Sie einen typischen Korruptionsfall, in den ein Politiker involviert ist: Sie sind als Unternehmen an einem grossen Infrastrukturprojekt interessiert. Ein Intermediär kommt zu Ihnen – nie der Politiker selbst – und sagt: «Ich kann Ihnen helfen, diesen Auftrag zu kriegen. Schmiergelder? Wo denken Sie hin! Aber wenn Sie mir fünf oder zehn oder fünfzehn Prozent Ihrer Einnahmen abgeben, kann ich etwas für Sie tun.» Das Geld wandert als Beratungshonorar in einen Trust, den der Intermediär gegen ein Honorar verwaltet. Der Begünstigte des Trusts ist nicht bekannt. Es gibt keine Verbindung zum korrumpierten Politiker. Wenn Sie wirklich reich sind, ich rede nicht von einer Million, ich rede von fünf Millionen, die Sie an Ihrem Staat vorbeischleusen wollen, kann Ihnen das Bankgeheimnis sowieso egal sein. Sie können sich für einen fünfstelligen Betrag die komplexesten und anonymsten Trustkonstrukte leisten. Ihr Geld verschwindet einfach.

Illegale Tat, legale Konstrukte.
Das ist der Grund, warum dies kein rein schweizerisches Problem ist. Erstens wird in London und in New York mehr Geld gewaschen als in der Schweiz, zweitens können Sie in diversen US-Bundesstaaten bequem anonym eine Gesellschaft gründen, mit der Sie Geld verschieben können. Was glauben Sie, warum in Miami so viele Südamerikaner leben? Weil es wegen der lokalen Gesetzgebung ein Paradies ist für Steuerflüchtlinge, für Geldwäscherei, für das organisierte Verbrechen. Der US-Bundesstaat Wyoming wirbt offiziell damit, dass Sie dort bloss einen Anwalt in den Verwaltungsrat ihrer Briefkastenfirma zu wählen brauchen, damit die gesamte Korrespondenz dem Anwaltsgeheimnis unterliegt.

Shakespeare hatte also doch recht in seinem «Henry VI.»: «Das Erste, was wir tun: Lasst uns alle Anwälte töten!»
Nicht alle, bitte.

Auf Bundesebene führen die USA einen Krieg gegen Steuerflüchtlinge. Aber einzelne Bundesstaaten fördern die Steuerflucht.
Ich zeige Ihnen etwas auf Google Street View: Sehen Sie dieses Haus hier? Es liegt in Cheyenne, Wyoming. Auf dieses Haus sind 2000 Gesellschaften registriert.

Aber unterschätzen Sie nicht, dass unter Barack Obama der politische Wind in diesen Belangen gedreht hat. Und dass in den USA der Unmut darüber immer grösser wird, dass sich die Banken im Nachgang der Finanzkrise von 2008 trotz teilweise deliktischem Handeln freikaufen konnten. Ich kann mir vorstellen, dass die internen Kontrollmechanismen einer Bank plötzlich sehr gut funktionieren, wenn auch die Chefs mal im Gefängnis landen.

Das wäre im Fall HSBC Stephen Green, ehemaliger britischer Handelsminister und Freund von Premier David Cameron. Das stelle ich mir nicht ganz einfach vor.
Ich würde nicht behaupten, dass Green deshalb geschützt werden kann. Aber natürlich geht es in dieser Geschichte auch um Kastenzugehörigkeit: Man gehört zum Adel, man besuchte dieselben Schulen, redet dieselbe schöne Sprache, hat wahnsinnig gute Manieren. Aber ich habe mir in dieser Beziehung sowieso nie Illusionen gemacht.

Warum nicht?
Was mich zu Transparency International führte, war meine Anwaltstätigkeit für die Prüfgesellschaft Société Générale de Surveillance (SGS). Die Gesellschaft war in Pakistan in eine Schmiergeldzahlung verwickelt, es gab zwei Verfahren, eines auch wegen Geldwäscherei. Ich war der zuständige Anwalt. Damals begann ich mich stark für solche Fragen zu interessieren: Wie behandelt man solche Fälle? Wie verhindert man, dass es wieder passiert? Welche internen Mechanismen braucht es? Denn ein solider und unbestechlicher Ruf ist für eine Gesellschaft wie SGS überlebenswichtig. Die Verfahren wurden letztlich eingestellt, weil wir verbindliche und sehr strenge Verhaltensregeln erlassen hatten, um solche Fälle zu verhindern.

Warum machen Sie sich trotzdem keine Illusionen?
Weil die Personen, die damals in Pakistan die Zahlungen erhalten hatten, natürlich keine kleinen Fische waren.

Wer war es?
Benasir Bhutto, die damalige Premierministerin. Und ihr Mann, Asif Ali Zardari, der spätere Präsident.

Können Sie an dieser Stelle mal ein solches Trustkonstrukt aufschlüsseln?
Ja, gerne.

Also, das Beispiel hat nichts mit HSBC zu tun. Es bietet sich an, weil hier der wirtschaftlich Berechtigte bekannt ist. Als der russische Milliardär Viktor Vekselberg 2007 Sulzer-Aktien übernahm, wurde sein Firmenkonstrukt offengelegt. In einer Verfügung der Eidgenössischen Bankenkommission von 2008 steht: «Everest ist eine Gesellschaft mit Sitz in Wien, Österreich. Everest ist wiederum eine 100%-Tochtergesellschaft der Jollinson Holdings Limited, Larnaca, Zypern, die eine 100%-Tochtergesellschaft der Renova Industries Ltd., Nassau, Bahamas, ist. Die Renova wird zu 86% durch die Renova Holding Ltd., Nassau, Bahamas, kontrolliert. Die Renova-Holding wird zu 100% durch die TZ Columbus Services Ltd., Tortola, Britische Jungferninseln, gehalten, einem Trust, dessen Trustee der Columbus Trust ist, der unter dem Recht der Kaimaninseln errichtet wurde. Dessen wirtschaftlich Berechtigter ist Victor F. Vekselberg, Moskau, Russland, und Zürich.»
An einer Stelle sagten Sie «86 Prozent». Irgendwo sind 14 Prozent verloren gegangen.

Auf Nassau. Warum?
Man weiss nicht, wo diese 14 Prozent sind. Es kann vorkommen, dass solche Prozente verloren gehen, weil ein Minister auf Schmiergeld bestanden hat.

Warum all die verschiedenen Jurisdiktionen?
Ich kann das oben zitierte Konstrukt nicht kommentieren. Ich kenne die Sachlage nicht.

In der Regel ist der wirtschaftlich Berechtigte nur wenigen Leuten bekannt, dem sogenannten Trustee. Und das ist in meinen Augen der einzige Sinn solcher Konstrukte: Man will die Spur des Geldes verschleiern. Wenn ein Untersuchungsrichter den wirtschaftlich Berechtigten feststellen will, muss er, wenn wir uns an dieses Beispiel halten, zuerst ein Rechtshilfegesuch nach Zypern schicken. Viel Glück damit. Da kann er lange warten. Wenn er überhaupt eine Antwort erhält, dauert das ein oder zwei Jahre, und die lautet so: Der Aktionär sitzt in Nassau. Also schickt er als Nächstes ein Rechtshilfegesuch auf die Bahamas. Werden die antworten? Vielleicht. Aber wohl eher nicht. Am Ende der Kette steht ein Treuhänder. Es ist ja noch nicht einmal so, dass die lokale Bevölkerung dieser Offshoreparadiese von solchen Gesellschaften profitiert. Es ist eine kleine Gruppe ausländischer, häufig englischer Anwälte.

Was schlagen Sie vor?
Es gibt keinen einzigen legitimen Grund für die Existenz solcher Gesellschaften. Wenn man künftige Fälle wie jenen der HSBC verhindern will, muss man neben anderen Massnahmen internationale Gesetze erlassen, um all diese Offshoregesellschaften streng zu regulieren.

Jean-Pierre Méan

Der Anwalt Jean-Pierre Méan (70) besitzt neben der schweizerischen auch die französische und die kanadische Staatsbürgerschaft. Er war bis zu seiner Pensionierung 2008 Vizepräsident der Genfer Société Générale de Surveillance (SGS). Von 2005 bis 2014 war er Präsident von Transparency International Schweiz, in dessen Beirat er nach wie vor sitzt.

Jean-Pierre Méan sitzt auch in der Antikorruptionskommission der Internationalen Handelskammer.