Folk: Der Einsiedler inmitten heisser Kohlen

Nr. 14 –

Allein in der Schwitzkammer: Als Mount Eerie lebt der US-Musiker Phil Elverum ein Eigenbrötlertum aus, das noch den wahren Independent-Geist atmet.

Einnehmende Stimme unter ironischer Mütze: Phil Elverum alias Mount Eerie.

Einst versuchten PopmusikerInnen, durch den Konsum von halluzinogenen Stoffen andere Bewusstseinszustände zu erreichen. Heutzutage scheint der Besuch in einer Sauna zu genügen. Genau dort beginnt das neue Album von Phil Elverum, der seine Platten seit zehn Jahren unter dem Alias Mount Eerie veröffentlicht: Noch einmal wird Wasser über die heissen Kohlen gegossen, noch einmal wird ein- und ausgeatmet, bevor die heissen Dämpfe zu wirken beginnen. Die Sinne sind verwirrt, Zeit und Raum ausgehebelt, und der Sänger singt: «Ich denke, dass die Welt nicht mehr existiert, nur noch dieses Zimmer im Schnee.» Dann springt er ins kalte Wasser des nahen Sees.

Radikal insulare Musik

Zehn Minuten dauert diese Anderswerdung, die Elverum mit einem anhaltenden Orgelakkord untermalt, der an die mächtigen Drones aus dem Werkzeugkasten von Doom-Metal-Bands erinnert. Zeitweise versuchen Engelsstimmen in den Dialog mit dem Saunierenden zu treten, doch zurück bleibt nur er in der Schwitzkammer, inmitten einer verlorenen Schneelandschaft, den schroffen Berg im Blickfeld.

Der Berg, das ist der Mount Eerie. Seit 2003 ist Elverum besessen vom Hausberg seines Heimat- und Wohnorts Anacortes im Bundesstaat Washington, eines Fischereistädtchens auf einer Halbinsel am nordwestlichsten Zipfel der USA, genau zwischen Seattle und Vancouver. Damals veröffentlichte er seine Platte «Mount Eerie», die letzte unter seinem Projektnamen The Microphones. Das Konzeptalbum, auf dem er das Leben, das Universum und den ganzen Rest naturmystisch verhandelt, bedeutete für ihn zugleich den Abschied aus der Bundeshauptstadt Olympia, dem Zentrum der Riot Grrrls, der Heimat auch des Independent-Labels K Records, das noch immer für unabhängige Produktionen im Do-it-yourself-Geist steht.

Als Aufnahmetechniker bei K Records genoss Elverum freien Zugang zum hauseigenen Studio: «Ich wachte jeweils auf und ging direkt ans Aufnehmen. Dort drin war meine eigene Welt, nur ich, am Herumspielen mit Sound», erinnert er sich in einem Interview an diese Zeit, in der auch sein Microphones-Album «The Glow, Pt. 2» (2001) entstanden ist. Eine Platte, die man getrost als Klassiker bezeichnen darf, weil Elverum dort vieles von dem vorwegnahm, was heute unter dem Indie-Mantel firmiert – nur dass die unabhängige Haltung, das Abenteuer und das Selbstgebastelte, das die Microphones-Aufnahmen so lohnenswert macht, heute dem Grossteil der einschlägigen Produktionen abhandengekommen ist.

Es gibt den Mond

Zurück im provinziellen Anacortes, radikalisierte Elverum seine damals bereits insulare Musik, die experimentelle Perkussion, Lo-Fi-Rock und Folkelemente vereint und von seiner dünnen, sanften, doch überaus einnehmenden Stimme zusammengehalten wird. Er gründete sein eigenes Label, während der Einfluss von Black Metal, Naturelementen, Wikingersagen und Zenmotiven, die auf Platten wie «Wind’s Poem» (2009) und zuletzt «Ocean Roar» (2012) um den Berg Eerie kreisten, stärker wurde. Man könnte Elverum für völlig humorlos halten – wären da nicht sein absurdes Autotune-Album «Pre-Human Ideas» (2013) und sein aktuelles Pressefoto, auf dem der Einsiedler eine selbstironisch wirkende «Solitude»-Kappe trägt, sowie ein lustiger Rap-Karaoke-Ausflug, der auf Youtube kursiert.

«Sauna» nun ist einmal mehr in analoger Eigenregie in einer zum Studio umfunktionierten Kirche entstanden. Neu ist, dass Elverum inmitten der Drums, Gongs, Orgeln und Gitarren, die er für seine Songs benötigt, nicht gänzlich auf den Blick nach aussen und in die digitalisierte Gegenwart verzichtet. Der Erzähler hält sich schon mal in einer Flughafenlobby auf, und vorab in den kürzeren Stücken klingt der entspanntere, weil offenere Rockklang aus den Microphones-Tagen an. Nur die Stimmen von Allyson Foster und Ashley Eriksson kommentieren und ergänzen seine Wanderungen durch die verschiedenen Seelenzustände; leiser Folk, kurze Noiseattacken und Minimal Music orchestrieren diesen Weg, an dessen Schluss der berichtende Sänger seinem jugendlichen Ich begegnet, das die Existenz des Monds in komplett schwarzen Nächten bezweifelt. «But there is a moon», entgegnet das ältere Ich, ehe das Album abrupt abbricht.

Nach einer Stunde in der Sauna fühlt sich dieser Schluss wie ein Sprung ins kalte Wasser an. Der Sprung, der den vernebelten Sinnen die Klarheit zurückgibt.

Mount Eerie: Sauna. PW Elverum & Sun Ltd. / Import