Erbschaftssteuerinitiative: Die KMU wären nicht betroffen

Nr. 16 –

Die Erbschaftssteuerinitiative entzweit die Wirtschaft: Economiesuisse warnt vor Arbeitsplatzverlusten und einer grossen Belastung der kleinen und mittleren Unternehmen. Doch der KMU-Verband widerspricht: Die Initiative würde sie kaum berühren.

Es gibt viele Argumente, die für die Erbschaftssteuerinitiative sprechen, die Mitte Juni zur Abstimmung kommt; sie verlangt, dass Erbschaften ab einem Freibetrag von zwei Millionen Franken mit zwanzig Prozent versteuert werden. Erstens: Dies betrifft nur die Kinder jener reichsten zwei Prozent, die über zwei Millionen Franken besitzen. Zweitens: Die Schweiz steht punkto Vermögensungleichheit unter den Industriestaaten ganz an der Spitze. Drittens: Die Erbschaftssteuer ist ein urliberales Anliegen – genauso wie die politische Macht soll auch das Vermögen nicht vererbt werden können, damit alle mit den gleichen Chancen ins Leben starten.

Eigentlich müssten ausser der antiliberalen SVP alle Parteien hinter dem Anliegen stehen.

Trotzdem sind die bürgerlichen Parteien und die meisten Wirtschaftsverbände gegen die Initiative. Ihre Hauptkritik setzt bei den sogenannten kleinen und mittleren Unternehmen an. Die rund 556 000 KMU sind das Fundament der Schweizer Wirtschaft, sie machen 99,7 Prozent aller Betriebe aus. Der wesentlich von Banken und Versicherungen geprägte Wirtschaftsdachverband Economiesuisse behauptet, dass die Erbschaftssteuer unter anderem den KMU einen harten Schlag versetzen würde. Die Steuer würde bei der Übergabe von Familienunternehmen an die Nachkommen Mittel aus den Betrieben ziehen, die später für wichtige Investitionen fehlten. Das koste Arbeitsplätze, im schlimmsten Fall breche es den Betrieben das Genick. Der Wirtschaftsverband beruft sich dabei auf eine Studie, die er beim Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers (PwC) bestellt hat.

Genau gleich argumentiert die Unternehmergruppe Nein zur Bundeserbschaftssteuer, die kürzlich mit einer Studie des St. Galler Ökonomen Franz Jaeger vor die Medien ging. Darin behauptet Jaeger, die Erbschaftssteuer würde jedes Jahr nicht weniger als 12 000 Arbeitsplätze vernichten.

Die beiden Studien sind – um es freundlich zu sagen – vollkommen unbrauchbar.

Ermässigung fürs Weiterführen

Für den Fall, dass einE UnternehmerIn den Betrieb vererbt, haben SP, Grüne, EVP und Gewerkschaftsbund, die die Initiative lanciert haben, im Initiativtext explizit Ermässigungen vorgesehen – sofern die ErbInnen den Betrieb mindestens zehn Jahre weiterführen. Pricewaterhouse Coopers und Franz Jaeger haben in ihren Szenarien mit Freibeträgen von zwei, acht und zwanzig Millionen Franken gerechnet sowie mit jeweiligen Steuersätzen von zwanzig, zehn oder fünf Prozent. Ihre Begründung: Das seien die Zahlen, die die InitiantInnen genannt hätten.

Sollte die Initiative jedoch durchkommen, würden die Freibeträge nicht von den InitiantInnen festgelegt. Diese Aufgabe käme dem Parlament zu, einem Parlament, in dem die bürgerlichen GegnerInnen der Erbschaftssteuerinitiative zwei Drittel aller Sitze haben. Wenn schon hätten Pricewaterhouse Coopers und Jaeger also mit den Ermässigungen rechnen müssen, die sich die bürgerlichen Parteien für den Fall einer Annahme der Initiative vorstellen könnten. Die InitiantInnen schlagen inzwischen für die Vererbung von Familienbetrieben einen Freibetrag von fünfzig Millionen Franken vor sowie einen Steuersatz von fünf Prozent. Doch die bürgerliche Mehrheit könnte bei Annahme der Initiative die fünfzig Millionen ohne weiteres auch erhöhen, sie wäre dabei nicht einmal auf die Hilfe der Parlamentslinken angewiesen.

Selbst wenn man jedoch mit dem von den InitiantInnen vorgeschlagenen Freibetrag von fünfzig Millionen Franken rechnet, wäre kein einziges KMU von der Erbschaftssteuer betroffen. Denn der Verkehrswert eines KMU liegt weit unter fünfzig Millionen Franken. Das bestätigt auch der Vizepräsident des KMU-Verbands, Roland Rupp, auf Anfrage der WOZ. «Mit einem Freibetrag von fünfzig Millionen wären die KMU raus.» Gemäss PwC-Studie liegt deren durchschnittlicher Wert bei ungefähr neunzehn Millionen Franken. Wo liegt also das Problem?

Die WOZ hätte gerne Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer persönlich auf die abenteuerliche Argumentation des Wirtschaftsverbands angesprochen. Karrer verweigerte ein Interview und verwies an die stellvertretende Leiterin der Abteilung Finanzen und Steuern des Wirtschaftsverbands, Sandra Spieser. Spieser bestreitet nicht, dass der Wert eines KMU unterhalb von fünfzig Millionen liegt. Sie ist jedoch überzeugt: «Wir wissen nicht, für was für einen Freibetrag sich das Parlament letztlich entscheiden würde. Man darf gespannt sein, was die Initianten nach einer allfälligen Annahme zur Diskussion stellen.» Das Argument, dass die bürgerliche Parlamentsmehrheit den Freibetrag in Eigenregie festlegen könnte, will sie nicht gelten lassen. «Die Unsicherheit ist gross.»

Ausnahmen bei Tod oder Konkurs

Hinzu komme ein weiteres Argument, sagt Spieser: Selbst für den Fall, dass ein Nachkomme den Familienbetrieb steuerfrei erben würde, müsste er zehn Jahre lang eine drohende Steuerlast mit sich herumtragen. Diese würde dann fällig, wenn er den Betrieb vor der zehnjährigen Frist aufgeben müsste. So argumentiert auch Ivan Jäggi, Geschäftsführer der Unternehmergruppe Nein zur Bundeserbschaftssteuer, die bei Jaeger die Studie in Auftrag gegeben hat: «Was geschieht, wenn ein Nachfolger das Unternehmen nach sieben Jahren nicht mehr weiterführt?» Die PwC-Studie nennt die möglichen Gründe dafür: Verkauf, Konkurs, Tod oder Arbeitsunfähigkeit.

Im Fall, dass der Nachfolger den Betrieb vor der zehnjährigen Frist verkauft, erhält er dafür jedoch einen Erlös, mit dem er die Steuer bezahlen kann. Für den Fall, dass der Betrieb in Konkurs geht, der Unternehmer stirbt oder arbeitsunfähig wird, hätte wiederum das Parlament die Möglichkeit, im Gesetz spezielle Ausnahmen festzulegen. Das bestätigen der WOZ mehrere SteuerrechtsexpertInnen. Deutschland etwa hat bereits heute eine Erbschaftssteuer. Auch dort erhalten ErbInnen Steuerermässigungen, falls sie den Betrieb eine bestimmte Anzahl Jahre weiterführen.

Nicht alle Wirtschaftsvertreter teilen die Position der von Grossbanken dominierten Economiesuisse. Bemerkenswerterweise ist es ausgerechnet der KMU-Verband Schweiz, der Economiesuisse widerspricht. Auf die Frage, was eine Annahme der Erbschaftssteuer für die Schweizer Wirtschaft bedeuten würde, beschwichtigt Vizepräsident Roland Rupp: «Die Steuer wäre für die Schweizer Wirtschaft kein Drama. Sie können mich gerne so zitieren. Ich stehe zu dieser Aussage.»

Ein Rechenbeispiel : Erbschaftssteuer: Nach einem Jahr abgezahlt

Mitte Juni stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die Erbschaftssteuerinitiative ab. Ab einem Freibetrag von zwei Millionen Franken sollen Erbschaften mit zwanzig Prozent besteuert werden. Der Wirtschaftsverband Economiesuisse moniert, die Steuer würde Familienunternehmen, die an Nachkommen vererbt würden, das Genick brechen, da die ErbInnen zur Steuerbegleichung Mittel aus dem Betrieb ziehen müssten. Doch wie viel Steuern müsste ein Erbe eines Familienbetriebs wirklich zahlen?

Falls ein Familienbetrieb mindestens zehn Jahre von einem Nachkommen weitergeführt wird, sieht der Initiativtext einen erhöhten Freibetrag vor. Die InitiantInnen sprechen von fünfzig Millionen Franken (und einem reduzierten Steuersatz von fünf Prozent), letztlich würde der Freibetrag jedoch von der bürgerlichen Mehrheit im Parlament festgesetzt. Damit würde er tendenziell höher ausfallen. KMU wären also von der Erbschaftssteuer nicht betroffen (vgl. Haupttext weiter oben).

Selbst die wenigen Familienbetriebe, die mehr als fünfzig Millionen Wert sind, würden nur gering besteuert. Ein einfaches Beispiel: Ein Unternehmen besitzt einen Wert von 100 Millionen Franken. Bei der Vererbung an einen Nachkommen sind davon 50 Millionen steuerfrei. Auf die übrigen 50 Millionen bezahlt der Erbe 5 Prozent. Das sind 2,5 Millionen Franken. Zum Vergleich: Mit einer bescheidenen Rendite von 4 Prozent gerechnet, schreibt das Unternehmen jedes Jahr 4 Millionen Franken Gewinn. Zieht man davon die Gewinnsteuer ab sowie die Einkommenssteuer, die der Erbe zahlt, wenn er sich den Gewinn ausschüttet, bleiben ihm davon rund 2,4 Millionen Franken übrig.

Der Erbe könnte somit die Steuer mit dem Gewinn eines guten Jahres abbezahlen. Die Initiative sieht explizit vor, dass die Steuer in Raten über zehn Jahre beglichen werden kann. Will er einen Teil des Gewinns reinvestieren, bräuchte er zwei, drei Jahre länger.

Yves Wegelin