Erbschaftssteuer: Die schleichende Oligarchie
Die Juso-Initiative lässt zwei Jahre vor der Abstimmung bereits die Emotionen einiger Superreichen hochgehen. Zeit, ihnen ins Portemonnaie zu schauen.
Seit Tagen wird mit reichlich Furor über die «Initiative für eine Zukunft» der Juso debattiert. Diese basiert auf einer bestechenden Idee: Um die Bewältigung der Klimakrise und den dafür nötigen ökosozialen Umbau zu finanzieren, sollen jene zur Kasse gebeten werden, die sich nachweislich am klimaschädlichsten verhalten: die Superreichen. Dass dem so ist, wird in der Debatte komplett ausgeblendet. Stattdessen dürfen SVP-Milliardär:innen wie Peter Spuhler und Magdalena Martullo-Blocher sowie FDP-Multimillionäre wie Ruedi Noser und Simon Michel in allen grösseren privaten Medienverlagen – fast alle im Besitz von steinreichen Verleger:innenfamilien – mit ihrem Wegzug drohen. Einige wollen die Initiative oder einen Teil davon gar flugs durch das Parlament für ungültig erklären lassen. Und alle geben sich als gute, heimische «Patrons» von «traditionellen Familienunternehmen».
Sie erhalten sogar Schützenhilfe von Teilen der SP: Prominente Sozialdemokrat:innen wie Ständerätin Franziska Roth oder Nationalrätin Gabriela Suter übernehmen willfährig deren Argumente, etwa dass die Initiative, die frühestens nächstes Jahr zur Abstimmung gelangt, Arbeitsplätze gefährde und einen Ausverkauf an ausländische Investor:innen erzwinge.
Race to the top
Die in der Initiative vorgeschlagene Erbschaftssteuer beträfe einen sehr begrenzten Kreis von rund 2000 Personen, deren Erb:innen und Beschenkte auf die Hälfte «ihres» Geldes verzichten müssten. Ein Kreis, der in den letzten Jahren enorm an Vermögen zugelegt hat und absehbar weiter zulegen wird. 1990 besass das vermögendste Prozent der Schweizer Bevölkerung laut Eidgenössischer Steuerverwaltung 34 Prozent des Gesamtvermögens. Heute sind es schon 44 Prozent. «Das ist unter OECD-Ländern ein Rekordwert», sagt Marius Brülhart, Volkswirtschaftsprofessor der Universität Lausanne.
Die Reichen sind also immer reicher geworden, auch weil ihr Vermögen etwa in Immobilien und Aktien investiert ist, mit denen hohe Wertsteigerungen erzielt werden können. Das hat Auswirkungen auf das Vererben. Brülhart schätzt, dass inzwischen neunzig Milliarden Franken pro Jahr vererbt und verschenkt werden: Das entspricht rund 12 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts und ist mehr als die Jahresausgaben des Bundes.
Doch wer sind diese Superreichen? Grob lassen sie sich in drei Kategorien unterteilen: Jene, die relativ neu zu Reichtum gekommen sind, jene, die selber viel geerbt haben, und schliesslich Zuzüger:innen, die die Schweiz als steuergünstigen Wohnort mit hoher Lebensqualität nutzen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie enormen Einfluss auf die Schweizer Politik ausüben, wie mehrere Beispiele zeigen (vgl. Kurztexte im Anschluss an diesen Text).
Der Basler Soziologe Ueli Mäder hat den exklusiven Kreis der Reichen erforscht. Die Vermögensballung führe zu einer «Oligarchisierung», sagt er. Das sei eine grosse Gefahr für die Gesellschaft, etwa wenn einzelne Reiche sogar Medien dominierten. So hat SVP-Milliardär und Unternehmer Christoph Blocher Stück für Stück Schweizer Lokalzeitungen aufgekauft und in der Zeitungshaus AG gebündelt. Diese erreicht über 800 000 Leser:innen. «Wir müssen in die andere Richtung steuern, hin zu einer Demokratisierung der Gesellschaft und vor allem auch der Wirtschaft», sagt Mäder, der sich über die Juso-Initiative freut.
Ein Unternehmer habe ihm einmal vorgeworfen, eine Erbschaftssteuer würde Geld an jene verteilen, die die hohle Hand machten, erzählt er, und sich auf das Leistungsprinzip berufen. «Dabei hat der sein eigenes Unternehmen geerbt», so Mäder. Er kenne aber auch Reiche, denen die Vermögenskonzentration Sorge bereite. «Sie sagen mir, die Selbstverantwortung in der Wirtschaft spiele nicht genügend; es brauche politischen Gegendruck.» Ueli Mäder sagt auch: Je höher die soziale Ungleichheit, desto destabilisierter sei die Gesellschaft.
Race to the bottom
Dass in der Schweiz die Reichen immer reicher werden, liegt auch daran, dass die Erbschaftssteuern in den letzten Jahrzehnten im Rahmen des Steuerwettbewerbs zwischen den Kantonen kontinuierlich gesunken sind. Mussten 1990 schweizweit im Schnitt für jeden geerbten Franken noch 4,1 Rappen an den Fiskus abgeliefert werden, sind es heute noch 1,4 Rappen. Der Wettlauf nach unten begann 1991 in Schaffhausen. Der Kanton stimmte einer Initiative zur Abschaffung der Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen zu. Damit kam es zum Dominoeffekt: Ein Kanton nach dem anderen senkte in der Folge seine Erbschaftssteuern. Immer, wie Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart untersucht hat, gestützt auf das Argument, dass die Reichen sonst in andere Kantone wegziehen würden. «Dabei traf das nicht zu. Reiche sind wegen der kantonalen Erbschaftssteuern nicht umgezogen, wir haben dazu keine statistische Regelmässigkeit gefunden», sagt Brülhart. Inzwischen kennen nur noch drei Kantone eine Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen. Nur schon ein Zurück zu 1990 könnte den Kantonen Zusatzeinnahmen von 2,5 Milliarden Franken bringen, hat Brülhart ausgerechnet.
Hans Kissling ist ehemaliger Leiter des Statistischen Amtes des Kantons Zürich. Er ist einer der Väter der Erbschaftssteuer-Initiative von SP, Grünen und EVP, die 2015 Schiffbruch erlitt. Sie verlangte, Nachlässe und Schenkungen ab einem Freibetrag von zwei Millionen Franken zu besteuern, zwei Drittel der Einnahmen wären in die AHV geflossen, ein Drittel hätten die Kantone erhalten. Der Steuersatz sollte zwanzig Prozent betragen. Schon damals argumentierten die Gegner:innen mit Katastrophenszenarien. Der damalige Nationalrat Christoph Blocher schrieb, die Initiative sei ein «massiver und kaum verkraftbarer Schlag für den Wirtschaftsstandort Schweiz», und warnte vor einem Massenexodus von Reichen.
«Die Initiative ist damals so hoch gescheitert, weil wir den Freibetrag viel zu tief angesetzt hatten», sagt Kissling heute. Tatsächlich sind gerade wegen der so stark gestiegenen Immobilienpreise heute viele Eigenheimbesitzer schnell mal Vermögensmillionäre. «Die Juso-Initiative ist da klüger», sagt Hans Kissling, «jetzt kann keiner jammern, dass es die KMU-Erben trifft.»
Und doch wird auch heuer wieder die Gefahr für Schweizer Unternehmen bemüht. Dass eine Erbschaftssteuer diese zwingend gefährden würde, ist aber nicht stichhaltig. Erben sind keineswegs gezwungen, geerbte Firmen zu verkaufen, wenn ihnen das nötige Bargeld für die Erbschaftssteuer fehlt. Sie könnten mit dem Staat etwa langjährige Abzahlungsfristen aushandeln oder einfach Anteile an weitere Investor:innen abtreten. Zudem ist das Parlament bei der Abfassung des entsprechenden Gesetzes frei, Bestimmungen einzubauen, die Arbeitsplätze schützen.
Auch das Argument, dass man in der Schweiz, anders als in den meisten anderen Ländern, schon eine Vermögenssteuer zahlt, ist schwach. Denn ebenfalls diese Steuer ist in vielen Kantonen gesunken und bewegt sich im Promillebereich. Zudem setzt die Erbschaftssteuer ja woanders an: beim Umstand, dass jemand ohne eigene Leistung zu Vermögen kommt.
Tax the rich
Dass hingegen Reiche wegen der Juso-Initiative das Land verlassen könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens PWC erwägen über die Hälfte der Befragten 224 «Familienunternehmer:innen», ins Ausland zu ziehen, auch wenn letztlich offen ist, ob sie das dann auch wirklich tun werden. Auch für Reiche ist es ein grosser Schritt, den Lebensmittelpunkt zu verschieben, zumal die Schweiz gerade für sehr Begüterte viele Annehmlichkeiten bietet. Ausserdem gibt es in vielen Ländern ebenfalls Erbschaftssteuern, und anders als in der Schweiz sind diese in den letzten Jahrzehnten nicht markant gesunken.
Brülhart hält es indes nicht für ausgeschlossen, dass die Steuer «kontraproduktiv» wirken könnte – insofern als der Staat wegen der neuen Steuer und vieler abgewanderter Reicher dereinst weniger einnehmen könnte. Auch Kissling glaubt, dass bei einer Annahme der Juso-Initiative einige Reiche wegziehen würden. Wobei er sich wiederum sicher ist, dass das Parlament bei der Umsetzung der Initiative diese noch erheblich abschwächen würde.
Das Parlament könnte auch einen Gegenvorschlag ausarbeiten, etwa einen, der einen tieferen Steuersatz vorsähe. In diese Richtung zielt eine parlamentarische Initiative des EVP-Nationalrats Marc Jost, die eine «Solidaritätsabgabe» für Nachlässe ab fünf Millionen Franken verlangt und die von links-grüner Seite unterstützt wird. Der Steuersatz läge demnach bei zehn Prozent, auch eine Steuerprogression ist denkbar.
So sieht es ganz danach aus, dass in nächster Zeit noch viel über Erbschaftssteuern, Gerechtigkeit und Vermögen diskutiert wird. Die Juso kann das schon mal als Erfolg feiern. So schnell werden die Superreichen diese Debatte nicht wieder los.
Der Jetset
Erben, Managerinnen und Investor:innen haben gute Gründe, in die Schweiz zu ziehen, etwa den, dass sie in mehreren Kantonen immer noch pauschal besteuert werden, also nicht nach Einkommen und Vermögen, sondern nach Lebenshaltungskosten. Und ihre Firmen können von enorm tiefen Unternehmenssteuern profitieren.
Zu den bekannteren zugewanderten Superreichen zählt etwa die aus Italien stammende Familie Aponte mit einem geschätzten Vermögen von 18 bis 19 Milliarden Franken. Ihre Mediterranean Shipping Company (MSC) mit Sitz in Genf ist das grösste Schifffahrtsunternehmen der Welt. Zuletzt ist die Familie Aponte mit dem Versuch aufgefallen, die Schweizer Steuerpolitik zu ihren Gunsten zu beeinflussen. MSC lobbyierte für die sogenannte Tonnagesteuer, wonach Schweizer Schifffahrtsgesellschaften nicht mehr nach ihrem Gewinn, sondern nach ihren Transportkapazitäten besteuert werden sollten.
Der Schwiegersohn
Angeblich gehört Peter Spuhler zur Kategorie der Selfmademänner. Am Anfang seines Reichtums stand allerdings eine Heirat. So gelangte er Ende der achtziger Jahre, als damals knapp dreissigjähriger HSG-Betriebswirt, zu Stadler Rail. Weil kein direkter Nachkomme der Stadler-Familie aus Bussnang im Thurgau die Firma übernehmen wollte, kam der eingeheiratete Spuhler zum Zuge.
Er übernahm eine Firma, die «florierte und ständig an Wert gewann», wie Irma Stadler, die den gleichnamigen Eisenbahnbetrieb von 1981 bis 1989 geführt hatte, einst in den Medien sagte. Heute verfügt Spuhler über ein geschätztes Vermögen von über vier Milliarden Franken. Der 65-Jährige ist noch immer Verwaltungsratspräsident und hält über vierzig Prozent der Aktien. Den Grossteil davon (30,5 Prozent) verwaltet er über sein Private-Equity-Investitionsvehikel PCS Holding. Dieses hält weitere beträchtliche Beteiligungen an anderen Unternehmen, etwa an der Aebi Schmidt Group (46,2 Prozent) und an Swiss Steel (9 Prozent).
Spuhlers diverses Investmentportfolio ist typisch für Superreiche. Mit dem Familienunternehmer, der jeden Franken in den eigenen Betrieb reinvestiert, hat das nichts mehr zu tun: Er ist vielmehr ein Private-Equity-Investor. Was ihn aber nicht davon abhält, angesichts der Erbschaftssteuerinitiative Angst vor Private-Equity-Investoren, die einst seinen Betrieb übernehmen könnten, zu schüren.
Die Privatiers
Der wohl einflussreichste Familienclan der Schweiz sind die Roche-Erben, also die Nachkommen des reich geborenen Basler Bankkaufmanns Fritz Hoffmann-La Roche. Dieser legte Ende des 19. Jahrhunderts mit der Fabrikation und dem Vertrieb von pharmazeutischen Präparaten den Grundstein für den heutigen globalen Pharmagiganten Roche (Umsatz 2023: 58,7 Milliarden Franken). Die Urenkel:innen des Firmengründers, die Familien Hoffmann, Oeri und Duschmalé, sitzen aktuell auf einem geschätzten Vermögen von 26 bis 27 Milliarden Franken.
Sie kontrollieren bis heute den Pharmakonzern und streichen jedes Jahr eine satte Dividende von mehreren Hundert Millionen Franken ein. Mit ihrem Mäzenatentum und Millionenspritzen etwa für den Zoo, das Kunstmuseum oder den FC Basel lassen sie in Basel jegliche Kritik an ihrem Tun und ihrer steten Reichtumsvermehrung verstummen.
Beispielhaft ist der Einsatz der einflussreichen Basler SP-Ständerätin Eva Herzog gegen eine Mindeststeuer für Grosskonzerne vor zwei Jahren, bei dem die Loyalität zur heimischen Pharmabranche offenbar mehr zählte als die globale Steuergerechtigkeit, ein Kernanliegen ihrer Partei (siehe WOZ Nr. 47/22).