Editorial: Die Wahrheit und der Hund

Nr. 16 –

  • Foto: Florian Bachmann
  • Foto: Antal Thoma
  • Foto: Tamara Janes
  • Foto: Jonathan Heyer
  • Foto: Shirana Shahbazi
  • Foto: Ursula Häne

Es gilt als einer der ersten Bestseller der US-Literatur: «The Sovereignty and Goodness of God» («Die Herrschaft und Güte Gottes»). Geschrieben hat das Buch 1682 Mary Rowlandson, und sie erzählt die «wahre Geschichte» ihrer eigenen Entführung durch «Indianer».

«Based on a true story» – dieser Satz, bei Spielfilmen oft im Vorspann eingeblendet, spielt auch in der Literatur eine wichtige Rolle. Dass bereits der erste Bestseller der Neuen Welt auf einer wahren Geschichte basiert, ist kein Zufall: In eine Geschichte, die auf Selbsterlebtem beruht, investieren LeserInnen mehr Emotionen und Interesse als in eine rein fiktive. Welche Absichten hinter der behaupteten Wahrheit stehen können, zeigen Daniela Janser in ihrem Artikel über Fiktion und Realität in den USA und Martina Süess in ihrem Text über Friedrich Schillers Kriminalbericht «Der Verbrecher aus verlorener Ehre».

In einem Interview erzählt die Schweizer Autorin Annette Hug, wie in ihrem «Wilhelm Tell in Manila» José Rizal, Nationalheld der Philippinen, von einer realen Person zu einer fiktiven Romanfigur wurde. Sie präsentiert ihren Roman an den 38. Solothurner Literaturtagen. Wenn die Stadt vom Freitag, 6. Mai, bis zum Sonntag, 8. Mai, zum Zentrum der Literatur wird, sind dort mehrere Bücher zu entdecken, die «based on a true story» sind. Die Häufung dieses Phänomens hat die WOZ dazu bewogen, sich in dieser Beilage vertieft damit auseinanderzusetzen.

Auch die Bildstrecke dieser Beilage basiert auf einer «true story»: Sechs FotografInnen haben dieselbe wahre Hundegeschichte, die im «Blick» publiziert wurde (vgl. «'Blick Online' vom 20. April 2005» im Anschluss an diesen Text), fotografisch umgesetzt. Nebst den beiden WOZ-FotografInnen Ursula Häne und Florian Bachmann konnten wir die Werbefotografen Jonathan Heyer und Antal Thoma sowie die Künstlerinnen Shirana Shahbazi und Tamara  Janes für die Idee gewinnen. So entstanden aus derselben Geschichte sechs völlig verschiedene Bilder.

«Blick Online» vom 20. April 2005

BERN – Zwei Monate lang bangt ein Mann um seinen winzigen Hund. Er ist über­zeugt, dass sein Liebling entführt wurde. Und siehe da: Er lag richtig!

Der Malteser-Rüde (4) ist zwar winzig klein. Doch anscheinend ein Objekt grosser Begierde. Sein Herrchen nimmt ihn in eine Bar mit, wo das 1,6 Kilo schwere Tierchen von den Gästen heftig bewundert und gestreichelt wird. Doch plötzlich ist das Hündchen verschwunden. Der Besitzer sucht verzweifelt unter jedem Hocker. Fragt in den folgenden Wochen im Tierheim, in der Kleintierklinik und bei Tierärzten nach. Keine Spur von seinem herzigen Wauwau.

Er ruft einen so genannten Hundekommunikator zu Hilfe. Dieser versichert, die Schwingungen des Hündchens zu spüren. Es sei also noch am Leben. Den Aufenthaltsort des Maltesers kann er leider nicht erahnen. Der recht­mässige Hundehalter aber gibt nicht auf. Verfolgt beharrlich jede Spur. Und findet schliesslich die Kidnapperin. Wie er das anstellte, ist leider nicht bekannt. Doch er kam ihr auf die Schliche. Dann aber taucht ein neues Problem auf: Die Frau will den kleinen Kläffer nicht mehr hergeben.

Erst als die Polizei aufmarschiert, gibt sie nach. Seither, mit dem gewohnten Futter und nach dem Besuch im Hundesalon, geht es dem Vier­beiner ausgezeichnet, wie der Besitzer versichert.