Sibel Arslan (36), Nationalrätin aus Basel-Stadt: «Mediale Gegenstimmen sind wichtig»

Nr. 32 –

Sibel Arslan begegnet Hass und Häme im Netz mit Gelassenheit. Ihre Energie steckt sie lieber in ihre politische Arbeit.

Sibel Arslan: «Vielleicht ist das zu viel für gewisse Männer, die nicht damit klarkommen, dass die Welt heute eine andere ist als noch vor zwanzig Jahren.» Selfie: Sibel Arslan

Als Sibel Arslan Anfang März am Rednerpult im Nationalratssaal steht, ist sie nervös. Es ist die zweite Session der grünen Nationalrätin aus Basel. Die Abläufe, die 199 KollegInnen, die nationale Politbühne – all das ist immer noch ziemlich neu für Arslan. Sie gerät nach einer Zwischenfrage ins Stocken, hat plötzlich einen Zahlensalat im Kopf und verliert den Faden. Es ist ein unglücklicher Auftritt, das weiss sie selbst. Als Tage später im Netz ein Videoclip ihres Votums auftaucht und bald auch diverse Medien nachziehen, quellen die Kommentarspalten rasch über vor Häme, oft verbunden mit Rassismus. «Zrugg go dürüm verchaufe», schreibt ein User, «Die gehört in ein Kurden-Exil-Parlament, aber bestimmt nicht in die Schweizer Legislative!» ein anderer. «Ja, ich habe mitbekommen, dass dieses Video online verbreitet wurde», sagt Arslan. Doch sie sei keine Person, die alles wissen müsse, was über sie geschrieben und gesagt werde. «Ich mache meine Arbeit. Und ich denke positiv.»

Eine dicke Haut zugelegt

Arslans Gelassenheit im Umgang mit Häme und Hass hat ihren Ursprung in ihrer Lebensgeschichte. Sie kam im Alter von elf Jahren mit ihrer Mutter und ihren zwei Brüdern aus dem Osten der Türkei in die Schweiz – nach Basel, wo ihr Vater bereits seit Jahren als Kellner arbeitete. Als sie nach kurzer Zeit den Sprung ins Gymnasium schaffte, fragte der Direktor, ob sie nicht lieber eine Lehre machen wolle. «Es gab und gibt bis heute immer wieder Situationen, wo klar wird, dass ich die Fremde bin, sagt Arslan mit einer Spur Trotz in der Stimme. Sie habe sich über die Jahre eine dicke Haut zugelegt und gelernt, ihr eigenes Ding durchzuziehen. «Wenn man überzeugt ist von dem, was man tut, kann man vieles aushalten. Es war ein schmerzhafter und langer Lernprozess. Aber er hat mich stark gemacht.»

Nach dem Gymnasium nahm Arslan an der Uni Basel ein Jusstudium in Angriff. 2004 wurde sie eingebürgert, trat auf der Stelle der städtischen Linkspartei BastA! bei und schaffte aus dem Stand den Sprung ins Kantonsparlament. Als bisheriger Höhepunkt ihrer politischen Karriere folgte im letzten Herbst die Wahl in den Nationalrat.

Das klingt wie eine Bilderbuchkarriere, doch Sibel Arslan musste auch Rückschläge einstecken. Vor drei Jahren etwa scheiterte die angestrebte Wahl in den Basler Bürgerrat. Am meisten getroffen hat sie nicht diese politische Niederlage, sondern eine Diffamierungskampagne der «Basler Zeitung» im November 2014. Die führte schliesslich dazu, dass Arslan eine bereits zugesagte Stelle als Leiterin des Straf- und Massnahmenvollzugs im Kanton Baselland nicht antreten konnte. Die «BaZ» liess damals übrigens die Kommentarfunktion zu den Kampagnenartikeln offen, bis heute sind dort Kommentare wie dieser zu lesen: «Wäre es nicht sinnvoller, wenn sie sich langsam hocharbeiten würde um sich zu beweisen? Eine Stelle als Putzfrau wäre doch ein guter Anfang?»

Schon zwei Morddrohungen

Noch heute spricht die Nationalrätin nur ungern über die damaligen Ereignisse. Erst am Ende des Gesprächs kommt sie nochmals auf jene Kampagne zurück. Im Rückblick ordnet sie diese unter die Rubrik «kombinierte Frauen- und Fremdenfeindlichkeit» ein. «Ich bin eine Frau, ich bin eine Linke, ich habe einen Migrationshintergrund und ich bin vergleichsweise jung. Vielleicht ist das zu viel für gewisse Männer, die nicht damit klarkommen, dass die Welt heute eine andere ist als noch vor zwanzig Jahren», sagt sie.

Die Beleidigungen und Hassbotschaften, mit denen sie konfrontiert wird, seit sie als Politikerin öffentlich auftritt, stammen jedenfalls grösstenteils von Männern. Neben sexistischen Äusserungen spielen oft rassistische Stereotype eine zentrale Rolle. Begriffe wie «Türkenkanakin» oder «Kameltreiberin» seien nicht selten. Zweimal hat Sibel bisher Morddrohungen erhalten, anonym per Brief. Als sie in einem Fall die Polizei aufsuchte, um Anzeige zu erstatten, entgegnete man ihr: «Haben Sie ernsthaft das Gefühl, wir könnten irgendetwas unternehmen?» Eine Reaktion, die sie wütend machte: «Es war kein Wille erkennbar, etwas zu unternehmen. Mir ist klar, dass anonyme Drohungen schwierig nachzuverfolgen sind, aber man könnte es zumindest versuchen.»

Für Sibel Arslan ist es zurzeit keine Option, gezielt gegen die Absender von Hassbotschaften vorzugehen. Sie stecke ihre Energie und politische Arbeit in andere Themenfelder, so wie aktuell in den Widerstand gegen das neue Nachrichtendienstgesetz, das Ende September zur Abstimmung kommt. Überhaupt lasse sie vieles gar nicht erst an sich herankommen. So sortiert ein persönlicher Mitarbeiter ihre Post, um Hassbotschaften oder Schmähschriften abzufangen, bevor sie auf ihrem Schreibtisch landen. «Ich möchte eine konstruktive Politik machen. Kommentarspalten lese ich bei ausgesuchten Medien.» Das sei in Basel zum Glück möglich, weil es genügend andere Medien gebe, dank derer sie sich über das regionale Geschehen informieren könne. «Ich halte es für sehr wichtig, dass es mediale Gegenstimmen gibt. Und ebenso wichtig ist es, dass diese Gegenstimmen auch weiblich sind. Es ist wie in der Politik: Auch im Journalismus dürfen wir Frauen das Feld nicht einfach den Männern überlassen.»

Auch wenn Sibel Arslan als Nationalrätin mittlerweile in Bern politisiert, bleibt Basel ihr Lebensmittelpunkt, wo sie im Kreis ihrer Familie und ihrer FreundInnen Kraft tankt und Ruhe findet. «Ich fühle mich in meiner Stadt aber auch politisch gut und breit abgestützt. Nach der ‹BaZ›-Kampagne habe ich auch von Vertretern der SVP und der FDP Unterstützung erhalten. Der Ton ist hier kollegialer und weniger rau als im Bundeshaus», sagt sie. Hier finde sie, was sie sich auch andernorts wünsche: «Männer, die sich für Frauen einsetzen, Schweizer, die sich für Migranten starkmachen, und rechte Politiker, die sich für Andersdenkende interessieren.»