Schweizerische Volkspartei: Die Partei des Geldes

Nr. 38 –

Die SVP hat unter ihren WählerInnen den Ruf, sich für die kleinen Leute einzusetzen. Derzeit tagt in Bern das Parlament – Zeit für den Faktencheck.

Die WOZ war dieses Jahr vom Dorf Rohrbach eingeladen worden, die Rede zum 1. August zu halten. SVP-Anteil in der Berner Gemeinde bei nationalen Wahlen: rund fünfzig Prozent. Auf die Frage, warum SVP, war die Antwort in Rohrbach immer die gleiche: Sie sei die Partei, die für die kleinen Leute einstehe. Was ist dran?

Die SVP, die in erster Linie aus der Anfang der 1920er Jahre gegründeten Berner «Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei» hervorging, war nie die Partei der einfachen Angestellten. Wie ihr ursprünglicher Name verrät, war sie zunächst allerdings die Partei der BäuerInnen und teilweise der Gewerbetreibenden. Zudem stellte sie sich zu Beginn klar gegen «die Grossindustrie und multinationale Unternehmen», wie der Historiker Damir Skenderovic von der Uni Fribourg schreibt.

Unter der Führung von Christoph Blocher und seiner Zürcher SVP-Sektion driftete die Partei ab den achtziger Jahren nach rechts. Das neue Motto: gegen «Ausländer», «Europa» – und in jüngster Zeit gegen die Personenfreizügigkeit. Damit stieg sie zur wählerstärksten Kraft im Land auf. Unter Blocher hat sich die SVP jedoch in einer weiteren Hinsicht gewandelt, die weit weniger wahrgenommen wird: Sie wurde zur knallharten Wirtschaftspartei. Nach dem EWR-Nein 1992 fing sie viele GewerblerInnen auf, die sich von der FDP abwandten, weil diese ihnen zu europafreundlich geworden war. Vor allem aber wurde die SVP zur Partei der Grosskonzerne und des Finanzkapitals, wie der Politologe André Mach von der Uni Lausanne sagt. Blocher selbst stieg unter anderem durch seine Kontrollnahme als Aktionär des Industriekonzerns Alusuisse, den er filetierte und ins Ausland verkaufte, zum Milliardär auf.

Seit den Wahlen vom letzten Herbst hat sich der Wirtschaftskurs nochmals verschärft. Das zeigt ein Blick hinter die Fassade des Bundeshauses.

Juristen, Banker, Grossunternehmer

Die Bauern und Gewerblerinnen sind in der SVP-Fraktion noch klarer in der Minderheit als zuvor. Das Sagen haben Juristinnen, Banker und UnternehmerInnen, allen voran die neue Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, Ems-Chefin und Tochter des SVP-Übervaters. Geschätztes Familienvermögen: 5,5 Milliarden Franken. Die Familie steht auf der «Bilanz»-Liste der 300 reichsten SchweizerInnen auf Platz 21. Ebenfalls auf dieser Liste ist Banker und Nationalrat Thomas Matter, der mit seiner Initiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» dafür sorgen möchte, dass die Banken weiterhin Schwarzgeld verstecken können. Geschätztes Vermögen: 175 Millionen Franken.

Martullo-Blocher und Matter sitzen für die Partei in der mächtigen Wirtschaftskommission des Nationalrats, genauso wie Thomas Aeschi, der den Grossunternehmer Peter Spuhler ersetzt hat. Aeschi hat zwar kein so grosses Vermögen, doch er ist Unternehmensberater, sitzt im Beirat der Vereinigung der privaten Aktiengesellschaften und folgt der Grosskonzernpolitik der Partei, die – wie InsiderInnen berichten – Ems-Chefin Martullo-Blocher diktiert. Betrete Martullo-Blocher ein Sitzungszimmer, scharten sich ihre ParteikollegInnen wie Bienen um sie. Sie vertritt in der Wirtschaftskommission nicht nur die Ems-Chemie, sie sitzt auch im Vorstand des Verbands Scienceindustries, der für die Chemie-, Pharma- und Biotechindustrie lobbyiert.

Die SVP hat auch in der Sozialkommission des Nationalrats knallharte Wirtschaftsvertreter eingesetzt – angesichts der laufenden Altersreform ebenfalls eine Schlüsselkommission. Unter ihnen Thomas de Courten, Sebastian Frehner und Jürg Stahl. De Courten ist ehemaliger Wirtschaftsförderer des Kantons Baselland, Frehner und Stahl sind Versicherungslobbyisten bei der Groupe Mutuel. Stahl sitzt dort gar in der Geschäftsleitung.

Wie wichtig der SVP ihre Wirtschaftspolitik inzwischen ist, zeigte sich schliesslich bei der Neuverteilung der Bundesratsdepartemente letzten Herbst: Die SVP angelte sich mit Ueli Maurer das Eidgenössische Finanzdepartement.

Ihr Image als Partei der kleinen Leute erhält die SVP unter anderem aufrecht, indem sie geschlossen hinter den BäuerInnen steht. Letzte Woche widersetzte sie sich erfolgreich dem Plan des Bundesrats, in den nächsten Jahren 500 Millionen Franken in der Landwirtschaft zu sparen, obwohl sie sonst gegen sämtliche Staatsausgaben poltert. Gleichzeitig stellt sich die Partei aber immer mehr in den Dienst der Grosskonzerne und des Finanzkapitals. Das zeigt sich bei drei wichtigen Dossiers, die in dieser Session zu reden geben. Erstens: bei der Unternehmenssteuerreform III (USR III) – die wegen des Referendums der SP voraussichtlich im Februar zur Abstimmung kommt. Zweitens: bei der Altersreform. Drittens: beim Thema Dumpinglöhne.

Das 600-Millionen-Geschenk

Rückblick: In den letzten Jahren hatte sich in sämtlichen Parteien die Meinung durchgesetzt, dass die Schweiz ihre Steuerprivilegien etwa für Holdings abschaffen muss. Der internationale Druck wurde zu gross. Einige Linke warnten davor, die alten Privilegien durch neue zu ersetzen. Am Ende folgten aber auch SP und Grüne prinzipiell dem Bundesrat, der bei der USR III neue international akzeptierte Privilegien vorschlug, um die Multis im Land zu halten – so etwa sogenannte Patentboxen, mit denen geistiges Eigentum steuerlich bevorzugt wird.

Die SVP wollte viel weiter gehen. Am weitesten von allen. Sie warb von Beginn an für die sogenannte zinsbereinigte Gewinnsteuer: Unternehmen sollten auf einem Teil ihres Eigenkapitals Kosten für Zinsen bei den Steuern abziehen können, die sie (anders als bei Fremdkapital) gar nicht bezahlen. Als Erster brachte SVP-Ständerat Hannes Germann den Vorschlag im Ständerat ein. Dort allerdings scheiterte die SVP damit, im Nationalrat setzte sie sich jedoch mit anderen Bürgerlichen durch. Resultat: ein jährliches Steuergeschenk für die Finanzierungsgesellschaften von bis zu 600 Millionen Franken.

Immerhin entschied das Parlament, das Privileg an eine Bedingung zu knüpfen: Kantone, die die zinsbereinigte Gewinnsteuer einführen, müssen ein Geschenk der letzten Unternehmenssteuerreform (2008) ein Stück weit rückgängig machen. Damals wurde beschlossen, dass Grossaktionäre auf rund fünfzig Prozent der Dividenden keine Steuern zahlen. In den entsprechenden Kantonen soll dies künftig noch für vierzig Prozent der Dividende gelten. Auch dagegen kämpfte die SVP. Dabei wollte der Bundesrat ursprünglich, dass die steuerfreie Dividende (für alle Kantone) auf dreissig Prozent beschränkt wird – die SP wollte das Privileg gar ganz abschaffen. An vorderster Front im Kampf für das Steuerprivileg stand das Trio Aeschi, Matter und Martullo-Blocher. Martullo-Blocher kassierte als Grossaktionärin der Ems-Chemie dieses Jahr 96 Millionen Franken Dividende, die nur zur Hälfte besteuert werden. Nationalrat Beat Jans (SP) sagt dazu: «Der Abschluss der Steuerreform war der Zahltag für die politische Arbeit der Blochers.»

Neben weiteren Steuerprivilegien, für die sich die SVP erfolgreich einsetzte, reichten Matter und Aeschi sechs weitere Anträge ein, die den meisten anderen Bürgerlichen dann doch zu weit gingen. Aeschi etwa wollte den Kantonen erlauben, ihre Kapitalsteuer für Firmen zu streichen. Dies hätte den interkantonalen Steuerwettbewerb weiter verschärft. Auf die Anträge angesprochen, sagt Aeschi: «Ja, vielleicht bestätigen die Anträge Ihre Sicht der SVP als Wirtschaftspartei.»

Die Wirtschaft zahlt es zurück

Auch bei der Altersreform steht die SVP allein für die Interessen der Unternehmen ein: Sie ist gegen die AHV-plus-Initiative, die die Altersrente für alle etwas erhöhen will und über die diesen Sonntag abgestimmt wird. Und sie hat sich in der Sozialkommission des Nationalrats erfolgreich gegen den Vorschlag des Ständerats gestellt, Einbussen in der zweiten Säule mit siebzig Franken mehr AHV-Rente für alle zu kompensieren. Nächste Woche wird das Geschäft im Nationalrat behandelt. Für die Unternehmen gilt: Je kleiner die AHV, desto kleiner die zu bezahlenden Beiträge. Für Pensionskassen und Lebensversicherer: Je kleiner die AHV, desto grösser das Geschäft.

Die SVP ist auch dagegen, die heutigen AHV-Renten über die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu sichern, wie es der Bundesrat vorschlägt. Sie will, dass allein die Arbeitskräfte bezahlen, indem sie länger arbeiten. Mit der FDP hat sie in der Sozialkommission für einen Mechanismus gestimmt, mit dem das Rentenalter allmählich erhöht werden soll: Fällt das Vermögen der AHV unter eine bestimmte Marke, muss das Parlament Massnahmen ergreifen. Ohne entsprechende Einigung würde sich das Rentenalter schrittweise bis auf 67 Jahre erhöhen. EVP-Nationalrätin Maja Ingold, die in der Sozialkommission sitzt, sagt sichtlich verärgert: «Die SVP ist aus Prinzip gegen alles, was die Sicherung der Altersrenten ermöglichen würde.»

Die reichen GönnerInnen

Auch beim Thema Arbeitsmarkt setzt sich die SVP einseitig für die Interessen der Unternehmen ein. Genauer: für Unternehmen, die die Schweizer Löhne zu unterbieten versuchen. Als die Schweiz 2002 die Personenfreizügigkeit mit der EU einführte, beschloss sie sogenannte flankierende Massnahmen gegen Dumpinglöhne. Blocher war bereits damals dagegen. Und obwohl die SVP den Massnahmen letztlich zustimmte, hat sie seither jede weitere Stärkung bekämpft. Letzte Woche entschied der Ständerat, dass Normalarbeitsverträge (mit zwingenden Mindestlöhnen), die Behörden in besonders gefährdeten Branchen erlassen können, einfacher verlängert werden können. Auch dagegen kämpft die SVP. Erst riefen Peter Föhn und Hannes Germann dazu auf, nicht auf das Geschäft einzutreten. Als sie damit unterlagen, warben sie mit der FDP dafür, den Gesetzesartikel abzuschiessen.

In der Schweiz müssen Parteien noch immer nicht deklarieren, wie viel Geld sie von Unternehmen und GönnerInnen erhalten. Allerdings sprechen die Indizien dafür, dass die SVP für ihre Wirtschaftspolitik viel Geld erhält. Im Wahlkampf 2015 gab die SVP gemäss dem Forschungsinstitut Media Focus rund sieben Millionen Franken für ihre Werbekampagne aus. Die FDP folgte mit rund sechs Millionen Franken auf Platz zwei, die SP gab etwas mehr als eine Million Franken aus. Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz: «Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sich die SVP gegen mehr Transparenz in der Parteienfinanzierung stellt.»

Der Buchautor Hilmar Gernet, der zur Parteienfinanzierung in der Schweiz publiziert hat, bestätigt, was in der Schweiz immer wieder diskutiert wird: dass sich die SVP für ihre Kampagnen unter anderem auf reiche GönnerInnen verlassen könne. Mögliche Finanzquellen gibt es im Dunstkreis der Partei viele: neben der Familie Blocher und Thomas Matter etwa SVP-Vize Walter Frey (geschätztes Vermögen: 1,8 Milliarden Franken), Banker Marcel Ospel (175 Millionen), den Tessiner Financier Tito Tettamanti (950 Millionen) oder Martin Ebner (2,8 Milliarden), der einst mit Blocher die Alusuisse ins Ausland verscherbelte.

Anders als beim Thema Europa, zu dem die SVP permanent Statements von sich gibt, verfolgt sie ihre Wirtschaftspolitik ganz leise hinter den Fassaden des Bundeshauses.

Thomas Aeschi sagt, der SVP gehe es bei der USR III darum, die privilegiert besteuerten Unternehmen im Land zu behalten, damit nicht der Mittelstand mehr zahlen müsse. Mit der zinsbereinigten Gewinnsteuer und der weiteren Privilegierung von GrossaktionärInnen wird die Reform jedoch den Bund über eine Milliarde Franken kosten. Hinzu kommen nicht abschätzbare Ausfälle bei den Kantonen und Gemeinden. Der Städteverband hat die Reform diese Woche als «unausgewogen» kritisiert. Der Vorstand der Konferenz der städtischen FinanzdirektorInnen sprach sich gar gegen die Reform aus. Die FDPlerin Silvia Steidle, Vizepräsidentin der Konferenz und Bieler Finanzdirektorin, bezieht deutlich Stellung. Das Parlament habe überbordet. «Die jetzige Unternehmenssteuerreform wird uns in Biel jährlich fünfzehn Millionen Franken kosten!»

Die Last müssten die einfachen Leute tragen, sagt die FDP-Finanzdirektorin. Wie viele andere Gemeinden werde auch Biel nicht darum herumkommen, die Einkommenssteuern zu erhöhen. Und die Stadt werde sparen müssen: «Wir werden bei der Bildung kürzen müssen, der Kultur, der Gesundheit. Überall.»

Wird die Altersvorsorge so umgebaut, wie es die SVP will, geht auch das allein auf Kosten der künftigen RentnerInnen – insbesondere derjenigen mit tiefem Einkommen, die auf die AHV angewiesen sind. Sie müssten länger arbeiten und erhielten weniger Geld. Pikanterweise trifft es die BäuerInnen besonders hart. Sie haben als Selbstständige kaum Geld in der zweiten Säule, wie der Bauernverband bestätigt, und sind deshalb besonders auf die AHV angewiesen. Das weiss auch die SVP: Entsprechend war im Abstimmungskampf gegen die AHV-plus-Initiative kaum etwas von ihr zu hören. Und obwohl sie sich in der Sozialkommission für sämtliche Verschärfungen bei der AHV einsetzte, enthielt sie sich bei der Schlussabstimmung, um für ihre Position nicht hinstehen zu müssen.

Ihr jahrelanger Kampf gegen die flankierenden Massnahmen schliesslich trifft Angestellte, die in Branchen mit Dumpinglöhnen arbeiten. Mit Absicht? Der Tessiner CVP-Ständerat Filippo Lombardi meinte bei der jüngsten Ständeratsdebatte um die Normalarbeitsverträge, dass er gut verstehen könne, warum die SVP nichts gegen Lohndumping unternehmen wolle. Ihre «Masseneinwanderungsinitiative» habe in seinem Kanton 68 Prozent der Stimmen geholt. «Die nächste Abstimmung gegen die Personenfreizügigkeit werden sie mit 80 Prozent gewinnen, wenn es im Tessin so weitergeht.»