Permakultur: Kiwis in den Alpen

Nr. 13 –

Ein österreichischer Bauer stellt Gewissheiten der konventionellen Landwirtschaft auf den Kopf. Sein Rezept: Die Natur arbeiten lassen statt selber malochen.

Der Krameterhof liegt im Tauerngebirge. Kaum zu glauben: Hier oben, auf 1300 Metern über Meer, bei 4,2 Grad Jahresdurchschnittstemperatur und mit Frostnächten bis minus 20 Grad, blühen Kiwi- und Zitronenbäume. Die Edelkastanien stehen sieben, acht Meter hoch. «Natürlich ist das Spielerei, Experimentierfreude: Sie dürfen sich nicht eine Zitronenplantage vorstellen da oben», sagt der Bauer des Krameterhofs, Sepp Holzer. «Doch hier wachsen massenhaft Gurken, Zucchini, Kürbisse und natürlich viel Obst. Wir haben tausende von Obstbäumen: Äpfel, Kirschen, Aprikosen, Pfirsiche - das ist ein essbarer Wald von dort bis drüben.» Der Biobauer aus Österreich ist inzwischen weit herum bekannt für seine ausgeklügelte Bewirtschaftungsart. Sein Erfolgsrezept: die Vielfalt nutzen, die Natur genau beobachten - und sie arbeiten lassen, statt selber zu arbeiten.

Ich treffe den stämmigen Bauern im olivgrünen Tschopen mit angegrautem Vollbart im Badischen, wo er andere Landwirte berät. Er legt gleich los: Schon als Bub habe er beobachtet, wie Erdbeeren, die zwischen Steine gepflanzt wurden, viel grösser und süsser wurden als jene vom Waldrand. «Die Steine speichern die Wärme - das ist der Kachelofeneffekt. Sie schwitzen, unter ihnen bildet sich Kondenswasser. Diese feuchten Orte sind ideal für Regenwürmer, die den Pflanzen Nährstoffe zur Verfügung stellen, darum gedeihen die Erdbeeren so schön.»

Holzer betreibt seine eigene Art der «Permakultur». Diesen Begriff hat der Australier Bill Mollison, Träger des Alternativen Nobelpreises (Right Livelihood Award), geprägt. Er steht für eine Kreislaufbewirtschaftung, die natürliche Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Tieren konsequent nutzt und auf Vielfalt setzt. «Stellen Sie sich einen steilen Hang vor», erklärt Holzer. «Dort grabe ich eine Mulde, die windgeschützt und folglich wärmer ist. Den Wärmeeffekt kann ich unterstützen, indem ich einen Tümpel anlege und hinten und vorne Steine anbringe. Die Sonne scheint ins Wasser und wird reflektiert. Die Steine speichern diese Wärme. Dank Brennglaseffekt und Wärmereflexion entsteht in der geschützten Mulde ein Kleinklima wie in einem Backofen; zudem habe ich Feuchtigkeit gestaut.» In solchen «Sonnenfallen» gedeihen besonders wärmebedürftige Pflanzen wie eben Kiwis oder Zitronen.

Eine Pflanze hilft der anderen

Als Sepp Holzer 1962 den Hof von seinem Vater übernahm, begann er mit der Umgestaltung der Steilhänge. Mit Baggern liess er das steile Gelände terrassieren und Mulden für Teiche ausgraben. Heute sind die breiten Terrassen am Hang bewachsen mit Wäldchen und bestückt mit Hügelbeeten. Und überall hat es Teiche und Tümpel, mehr als siebzig. «Da ist eins mit dem andern durch Kanäle verbunden», sagt Holzer, «und in den Teichen schwimmen Regenbogen- und Bachforellen, Hechte, Welse und Karpfen; es gibt auch Muscheln und Krebse. Das Leben in den Teichen reguliert sich selber, da muss ich nichts dazu tun. Und mit Turbinen produziere ich zudem Strom für unsere Betriebe.»

Sepp Holzer und seine Frau bewirtschaften den 45 Hektaren grossen Hof alleine und mit Gewinn. Wichtig sei, sagt Holzer immer wieder, dass man die Natur selber arbeiten lasse. Der Boden solle mit möglichst geringem Energieaufwand genutzt werden. «Wenn der Boden sehr feucht ist, kann ich dort einen Teich ausgraben und Fische züchten. Wenn aber dort wertvolle Gräser und Knabenkräuter (eine Orchideenart) wachsen, kann ich diese vermehren und eine Orchideenzucht beginnen oder Heilkräuter anpflanzen, Kalmuswurzeln zum Beispiel. Ich muss die Vielfalt erhalten und erhöhen, damit erhalte ich das ganze System. Da hilft eine Pflanze der anderen, es kommt zu Wechselwirkungen und zu Symbiosen. Das ist das Wichtigste. Und das ergibt auch hochwertige Produkte, da wird die Nahrung zu deiner Medizin und nicht nur magenfüllend.»

Ich möchte wissen, ob Holzer glaube, dass die gesamte Landwirtschaft, also auch die grossen Maisfelder hier im Badischen, mit dem Prinzip Permakultur bewirtschaftet werden könne? Natürlich funktioniere das überall, sagt Sepp Holzer ungeduldig. Mais pflanze er auch an, und zwar zusammen mit Erbsen und Bohnen, die dem Boden Stickstoff liefern. Diese Erbsen und Bohnen seien nach der Maisernte zugleich Futter für Wildtiere, etwa Hasen oder Rehe, sowie für Schafe und Rinder. Oft säe er drei oder vier Wochen vor der Ernte Klee, Salate und Herbstrüben in den Mais ein. «Die beginnen zu keimen, und wenn der Mais weg ist, bekommen sie Licht und werden von der Natur aufgerufen zu wachsen - dann wirds grün da unten, Salat, Rüben, Weissklee -, und im Nu hab ich wieder ein wunderbar grünes Feld, das ich mit den Rindern beweiden kann. Und wenn ichs sein lasse, kommt alles den Bodelebewesen zugute.»

Diese Prinzipien, sagt Holzer, liessen sich auch bei den Maisfeldern im Flachland anwenden. Monokulturen hingegen beuteten den Boden einseitig aus. Diese nackten, ungeschützten Felder, die er hier überall sehe, das sei komplett falsch. Da könne der Boden ausfrieren und Schaden erleiden; die Bodenlebewesen flüchten im Winter, oder sie erfrieren eben. «Der Boden muss immer bedeckt in den Winter gehen.» Er redet sich in Rage: «Die moderne Landwirtschaft macht fast alles falsch. Die Erde wird ausgelaugt, die Pflanzen werden süchtig gemacht. Der Mensch muss lenkend eingreifen, er hat das Hirn zum Lenken und nicht zum Bekämpfen, aber er setzt es meist zum Bekämpfen ein: Unkraut bekämpfen, Ungeziefer bekämpfen - so bekämpft man sich ein Leben lang selber.»

MitarbeiterInnen auf vier Beinen

Holzers Bewirtschaftung ist auf HelferInnen angewiesen. Schweine zum Beispiel: «Die hundertköpfige Herde macht die meiste Arbeit für mich, die ackert, eggt und düngt den Boden auch im ganz steilen und felsigen Gebiet.» Holzer hält robuste Schweinerassen wie das Schwäbisch-Hällische, das kroatische Turopolje- und das ungarische Mangalitza-Schwein mit seinem schwarzen, zottigen Fell. Die Schweine fressen Gras, Kartoffeln, Topinambur, Klee, Gemüse - oder was es eben gerade hat. Beim Wühlen lockern sie den Boden auf. «Wenn sie bei einer Kobe fertig sind, brauche ich sie nur in die nächste Kobe zu führen, und dann kann ich einsäen, das ist alles fertig gemacht. Es gibt keine Schnecken, keine Überpopulation ir-gendwelcher Schaderreger, die Schweine regulieren das. Da wächst das schönste Gemüse und Getreide. Null Arbeit. Nur die Koben wechseln.» Schweine helfen auch, von Brombeergestrüpp und Brennnesseln überwuchertes Gelände zu regulieren: «Da streuen wir Erbsen, Mais oder Bohnen. Die Schweine wittern das und graben und pflügen das Feld um. Diese Pflüge sind elastisch, die kommen überall hin; so kann ich die steilsten Hänge bewirtschaften.» Und er fügt an: «Die Gratispflüger rechnen sich noch ein zweites Mal: Wir verkaufen Fleisch sowie Jung-, Zucht und Mastschweine.»

Die Devise, dass es sich rechnen muss, gilt für den ganzen Hof. Obst und Gemüse verkauft Holzer nicht auf den Märkten, das wäre viel zu aufwendig. Der Krameterhof ist Selbsternteland. Jedes Jahr kommen tausende von Leuten, um Obst und Gemüse zu ernten. «Aber schreiben Sie in Ihre Zeitung», insistiert der Bauer, «dass man sich da anmelden muss, heuer sind wir schon ganz ausgebucht, da ist nur ein Platz, wenn jemand ausfällt!» Daneben verkauft er Fische, Rinder, Schweine, Heilkräuter, Pflanzensamen und Bäume. Auf dem Krameterhof wachsen 14 000 Obstbäume. «Wunderbare Bäume haben wir, viele verschiedene Apfelbäume zum Beispiel, auch ganz alte Sorten», sagt Sepp Holzer, «und Kirschbäume. Anfang Oktober habe ich die schönsten grossfruchtigen Maiherzkirschen oder Petzkirschen. Das sind alles selbständige Bäume, die müssen nicht geschnitten werden. Denn wenn man Bäume schneidet - ich hab ja Baumschulwärter gelernt -, dann muss man sie immer schneiden; sie werden abhängig und süchtig. Die hätten keine Chance hier oben. In jedem Lehrbuch steht, dass Obstbäume über 1000 Meter nicht mehr wachsen. Doch hier gedeihen sie prächtig, auf 1300 Meter.» Er verkaufe auch viele Obstbäume. Ganze Lastzüge gingen nach Schottland oder nach Deutschland. Das sei ein gutes Geschäft.

Ich, der Kiwibaum

Holzers Experimentierfreude hat auch das Interesse der Wissenschaft geweckt. «Wir arbeiten eng mit der Uni Wien zusammen, und immer haben wir Praktikanten und Doktoranden auf dem Hof», sagt Holzer. So verglich der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Rotter in seiner Dissertation den Obstbau auf einer Plantage mit dem auf Krameterhof-Terrassen. Er bilanzierte das Verhältnis zwischen Arbeitsaufwand und Ertrag und stellte fest, dass die Plantagenwirtschaft keineswegs effizienter ist. Und ÖkologInnen der Uni Wien fanden auf dem Hof mehr brütende Vogelarten - darunter auch gefährdete - als in den artenreichsten Biotopen Mitteleuropas wie etwa den Misch- oder Auenwäldern.

Von der Hochschule für Bodenkultur in Wien habe er auch erfahren, erzählt Holzer, dass das Prinzip, nach dem er arbeite, Permakultur genannt werde. Und er erklärt es noch einmal: «Also das ist eigentlich einfach. Ich muss mich in mein Gegenüber hineinversetzen, in den Regenwurm oder in die Kiwipflanze. Wenn ich jetzt eine Kiwipflanze bin, dann will ich im Winter warm haben, sonst frier ich ja. Also muss ich den Steckling zwischen die Steine setzen, vielleicht dreissig, vierzig Zentimeter tief, wo die Sonne die Steine erwärmt. Ja, die holzersche Permakultur, die muss man leben, damit man es erleben und vermitteln kann. Die kann man sich nicht kaufen und hinstellen lassen, das funktioniert nicht. Man muss dies als Ganzes begreifen und kann sich nicht bloss die Rosinen herauspicken.»



www.krameterhof.at

Permakultur in der Schweiz



Zur Förderung der Permakultur wurde 1991 der Verein Permakultur Schweiz gegründet, der heute zwischen fünfzig und sechzig Mitglieder zählt. Die Permakultur sei hierzulande aber weiter verbreitet, als die Zahl der Vereinsmitglieder vermuten lasse, sagt Vereinspräsidentin Ursula Dreyer: «Viele Leute betreiben Permakultur, ohne es zu wissen. Wer in der Landwirtschaft sucht und forscht, der stösst früher oder später darauf.»

Dreyer hat in Horboden, auf 1300 Metern und damit unter ähnlichen Bedingungen wie auf dem Krameterhof, Obstbäume angepflanzt, obwohl die benachbarten Bauern sagten, das komme nicht gut. Unterdessen, nach zehn, fünfzehn Jahren, weiche die Skepsis langsam interessiertem Nachfragen. «Zuerst muss der Boden im Kopf bereit sein zu einem Umdenken. Das dauert eben länger als der Aufbau einer Permakultur.»

Kurse bieten Vereinsmitglieder, aber auch die Permakultur-Akademie an. Eine eigentliche Permakulturausbildung in der Schweiz ist im Aufbau begriffen.

Marcel Hänggi



Verein Permakultur Schweiz: www.permakultur.ch; Telefon 033 681 22 68

Permakultur-Akademie: www.permakultur-akademie.net