Schweizer Truppen im Kosovo: «Für Sozialarbeit braucht es doch nicht die Armee!»

Nr. 48 –

Der Bundesrat hat beschlossen, den Einsatz der Swisscoy-Truppen im Kosovo bis mindestens 2020 zu verlängern. Wie sinnvoll ist die Mission, knapp zehn Jahre nach der Unabhängigkeit?

Noch einmal vier Jahre, mindestens. Der Entscheid des Bundesrats, noch keinen Abzug der Swisscoy-Truppen aus dem Kosovo ins Auge zu fassen, hat letzte Woche für Schlagzeilen gesorgt – und für Knatsch in der SVP. Durchgesetzt hat sich der neue SVP-Verteidigungsminister Guy Parmelin. Sein Vorgänger Ueli Maurer sowie die Parteileitung wollen einen raschen Abzug der Truppen. Gespalten ist auch die Linke: Die SP bedauert die beschlossene Reduzierung der Truppenbestände, während bei den Grünen der pazifistische Flügel dominiert, der keine interventionistische Aussenpolitik will. Was also braucht der Kosovo? Ist es sinnvoll, knapp zehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung weiterhin friedensfördernde Truppen im Land zu stationieren?

Klar ist: Stabil ist das Land nicht. Im Kosovo dominieren Korruption, Rechtsunsicherheit, ethnische Spannungen und wirtschaftliche Stagnation. Und die fragile Ordnung ist gefährdet: Lange hatte sich die Regierung Hashim Thacis gegen die Aufarbeitung von kosovarischen Kriegsverbrechen nach dem Nato-Einsatz gestellt. Inzwischen haben der ehemalige Anführer der Befreiungsarmee UCK und seine ParteigenossInnen dem Druck der EU nachgegeben. Nächstes Jahr kommt es voraussichtlich zu mehreren Anklagen gegen ehemalige UCK-Mitglieder, deren Verbrechen gegen SerbInnen, Roma und andere Minderheiten der Schweizer Europarat-Sonderermittler Dick Marty als Erster angeprangert hatte.

«Die Anklagen könnten zu einem politischen Erdbeben führen», sagt Ylfete Fanaj, Luzerner SP-Politikerin mit kosovarischen Wurzeln. «Und die nationalistischen Tendenzen im Land werden wohl weiter verstärkt.» Unter diesen Gesichtspunkten sei die friedensstiftende Swisscoy weiterhin sehr wichtig, sagt Fanaj.

Auch SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf plädiert für die Swisscoy-Truppen. Diese leisteten im Kosovo einen sinnstiftenden Einsatz, sagt sie. Seiler Graf war kürzlich als Teil einer Delegation der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) vor Ort, um sich ein Bild zu machen. «Die Hauptaufgabe der Swisscoy besteht mittlerweile in Gesprächen mit der Zivilbevölkerung», sagt Seiler Graf. «Man versucht herauszufinden, wo Probleme liegen. Das soll verhindern, dass es künftig zu gewalttätigen Unruhen kommt.» Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Instandsetzung von Verkehrsinfrastruktur. Braucht es für solche Aufgaben das Militär? «Nein», sagt Seiler Graf. «Möglich wäre auch ein ziviler Einsatz. Aber wenn wir schon eine Armee haben, soll die etwas Gescheites machen.»

Selber Ort – anderes Fazit

Vor sechs Jahren besuchte auch Jo Lang die Swisscoy als Delegationsmitglied der SiK. Lang, der ehemalige Grünen-Nationalrat, ist noch immer eine prägende Figur des linken pazifistischen Flügels. «Ich habe damals ein längeres Gespräch mit einem Offizier geführt», sagt Lang. «Ich hatte das Gefühl, hier ist die richtige Person am richtigen Ort. Nur: Warum musste diese Person Uniform und Waffe tragen? Für Sozialarbeit in einem gespaltenen Gebiet braucht es doch nicht die Armee.»

Überhaupt lägen die Stärken der Schweiz nicht im Kriegshandwerk. «Die Schweiz hat seit 1847 keinen Krieg mehr geführt. Wir sollten uns also auf das Friedenshandwerk besinnen. Auf Diplomatie, Entwicklungshilfe und unser demokratiepolitisches Know-how.» Die Swisscoy steht für Jo Lang untrennbar mit «zwei Zäsuren» in Verbindung: «Der Militäreinsatz steht seit Anbeginn im Jahr 1999 unter der Leitung der Nato, die das Oberkommando über die Kosovotruppen (Kfor) hat.» Vor dem Kosovokrieg sei ein solcher Einsatz aus Neutralitätsgründen undenkbar gewesen, so Lang.

Die zweite Zäsur sei im Sommer 2001 mit der Abstimmung über die Änderung des Militärgesetzes erfolgt, die fortan die Bewaffnung von Schweizer Armeeangehörigen im Ausland erlaubte. Die Schweizer Stimmberechtigten nahmen die Vorlage damals denkbar knapp an – auch dank der Hilfe des interventionistischen SP-Flügels. Seither tragen die Swisscoy-SoldatInnen ein Reizstoffsprühgerät und Pistole oder Sturmgewehr. «Für mich steht der Swisscoy-Einsatz deshalb sinnbildlich für eine zunehmende Annäherung an das Angriffsbündnis Nato», sagt Jo Lang. Tatsächlich rückte die Schweiz seit den neunziger Jahren kontinuierlich näher an die Nato heran. Der wichtigste Schritt war die «Partnerschaft für den Frieden» (PfF), die der Bundesrat 1996 beschloss – ein Instrument, das die Nato kurz davor für die militärische Zusammenarbeit mit Nichtmitgliedern entwickelt hatte. Der Bundesrat traf den Entscheid unter dem Eindruck der Jugoslawienkriege.

Der Swisscoy-Einsatz ist bis heute das wichtigste Projekt im Rahmen der PfF. Wie eng der Austausch zwischen der Schweiz und der Nato mittlerweile ist, zeigt beispielsweise der letztjährige Jahresbericht des Bundesrats über die PfF. So nahm die Schweiz 2015 an «mehreren Treffen» der neu gegründeten Nato-«Interoperabilitätsplattform» teil. Schliesslich garantiert die «Partnerschaft für den Frieden» der Schweizer Rüstungsindustrie den Zugang zur Konferenz der Nato-Industrieberatergruppe.

Die Furcht der Roma

Doch was könnte die Alternative sein? Man müsse im Kosovo auf die Minderheitenfrage fokussieren, sagt Angela Mattli, Kampagnenleiterin bei der Gesellschaft für bedrohte Völker und Verfasserin einer Studie zur Zwangsmigration von Minderheiten aus dem Kosovo. «Und das gilt nicht nur für die Serben, sondern insbesondere für Minderheiten wie die Roma oder die Gorani.» Dass es 2004 im Kosovo zu Romapogromen kam, wird bislang nicht aufgearbeitet. «Einige Romagemeinden fürchteten sich aus diesem Grund vor dem Abzug der Kfor-Truppen», sagt Mattli.

Dennoch sei eine langfristige Präsenz internationaler Schutztruppen nichts weiter als blosse Symptombekämpfung. «Was das Land tatsächlich braucht, ist wirtschaftliche Entwicklung, von der die ganze Bevölkerung profitieren kann. Und den Druck der internationalen Gemeinschaft, die fortschrittliche Rechtsprechung und den Minderheitenschutz tatsächlich zu implementieren.»

Korrupte politische Elite

Die EU-freundliche Regierung des Kosovo gerät zunehmend unter Druck. Vor allem die von extrem hoher Arbeitslosigkeit betroffene Jugend wendet sich von der Regierungspartei ab. Die politische Elite des Landes ist in zahlreiche Korruptionsaffären verstrickt, sie wird von der EU jedoch weiterhin hofiert. Das führt dazu, dass immer mehr KosovarInnen Regierung und internationale Kräfte als unheilige Allianz wahrnehmen. Am krassesten zeigt sich das bei der verhassten EU-Rechtsstaatsmission Eulex – die sich nach acht Jahren aus dem Kosovo zurückzieht, ohne nennenswerte Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung vorweisen zu können.

«Vetevendosje!» (Selbstbestimmung) ist der Name der grössten, linksnationalistischen Oppositionsbewegung des Landes. Ihre AnhängerInnen lehnen die internationalen Kosovomissionen grundsätzlich ab und empfinden die Kfor-Truppen als Besatzung. «Das ist nachvollziehbar», sagt Angela Mattli. Die politische Elite habe das Land heruntergewirtschaftet, «und die internationale Präsenz bewirkte nach der Stabilisierungsphase wenig». Was Mattli jedoch beunruhigt, ist die Hauptforderung von «Vetevendosje!»: Die Bewegung lehnt eine Normalisierung der Beziehungen zwischen KosovoalbanerInnen und der serbischen Minderheit im Land ab. Sie stellt sich gegen die Pläne der Regierung, die der serbischen Minderheit mehr Autonomie geben und sie in ein föderalistisches System einbinden will. Langfristig strebt «Vetevendosje!» eine nähere Anbindung ans «Mutterland» Albanien an.

Diesen Spannungen lässt sich nur mit militärischer Präsenz allein keineswegs beikommen. Will die Schweiz langfristig zur Stabilisierung des Kosovo beitragen, muss sie auch ihre diplomatischen Mittel ausschöpfen.

Ein Instrument dazu wäre etwa die Migrationspartnerschaft, die die Schweiz mit dem Kosovo eingegangen ist. Das Abkommen sieht etwa vor, kosovarische Fachkräfte in der Schweiz auszubilden. Ein regelmässiger Austausch über die menschenrechtliche Entwicklung sowie die Umsetzung des verfassungsmässigen Minderheitenschutzes sind in der Migrationspartnerschaft ebenfalls festgehalten. «Das Ausbildungsprojekt wurde nach Anlaufschwierigkeiten nicht weiterverfolgt», sagt Mattli. «Und die strukturelle Diskriminierung von Minderheiten im Kosovo hält an.»

Die Schweiz profitiert dennoch gerne vom Abkommen: Es erlaubt ihr, kosovarische Flüchtlinge problemlos abzuschieben.