Auf allen Kanälen: NZZ im Drachenkampf

Nr. 21 –

Was noch vor wenigen Jahren von reaktionären Bischöfen gepredigt wurde, ist heute das gesellschaftspolitische Mantra der «Neuen Zürcher Zeitung»: Der «Genderismus» ist des Teufels.

Kurz nach der Jahrtausendwende war der Kulturkampf in der NZZ noch überschaubar. Im Mutterblatt empörte man sich über abweichende Einschätzungen zur steigenden Staatsquote, die sich die junge Tochter «NZZ am Sonntag» zu publizieren getraute. Heute ist der Kulturkampf zu einem Mehrfrontenkrieg angeschwollen, der weit übers Stammthema Wirtschaft hinausgreift. Eines der Schlachtfelder ist der Umgang mit dem eigentlich längst etablierten Begriff «Gender», der besagt, dass Geschlecht nicht nur, aber auch ein soziales Konstrukt sei. Im aktuellen «Folio», der NZZ-Magazinbeilage, wird forsch gefragt: «Was heisst schon normal?», um dann festzuhalten: «Die klare Grenze zwischen Männlich und Weiblich scheint plötzlich verhandelbar.» Plötzlich? Ganz taufrisch ist diese Einsicht ja nicht. Und mit der nachgeschobenen Frage «Überfällige Befreiung oder übertriebene politische Korrektheit?» stolpert man gleich wieder über den eigenen Mut.

Auch die «NZZ am Sonntag» wirkt gespalten. Ihr stellvertretender Chefredaktor Chanchal Biswas verabschiedete sich kürzlich gleich ganz aus der «Gender-Debatte», mit einem wehleidigen Kommentar zum Shitstorm, den eine altbackene Karikatur ausgelöst hatte. Er habe den Eindruck, dass «wir Männer es den Frauen nicht mehr recht machen können». Und: Wir alle sollten nicht «ständig wegen Kleinkram einen Streit vom Zaun brechen». Das war Mansplaining erster Güte und gleichzeitig von einer argumentativen Naivität, die sich der Mann sonst kaum erlauben würde. Ein paar Wochen später durfte die britische Feministin Laurie Penny im Interview Gegensteuer auf der Höhe der Zeit geben.

Die Mär von der Macht

Die Alte Tante selbst wiederum hat dem Genderbegriff regelrecht den Krieg erklärt. NZZ-Autorin Birgit Schmid knüpfte sich in einem langen Artikel «die Gender-Lobby» vor wie eine Drachentöterin das Monster («Sie kämpfen am Stehpult», 17. 3. 2017). Nach dem Besuch einiger Univeranstaltungen im Bereich Gender Studies monierte sie, «Sinnlichkeit und Lebensnähe» seien vertrieben worden, es werde da gar behauptet, «die Vorliebe für lange Haare» sei nicht angeboren, und die Fachsprache sei «sperrig». Man fragte sich, wie es Frau Schmid wohl beim Besuch einer Vorlesung zur Experimentalphysik ergangen wäre. In einer knappen Replik durfte die Berner Anglistikprofessorin Virginia Richter später richtigstellen, was Schmid verzerrt hatte: etwa die extreme Machtfülle der Gender Studies, die mit viereinhalb Lehrstühlen in der Schweiz so gross nicht sein kann. Was den Zoologen Axel Meyer nicht daran hinderte, kurz darauf erneut in dieselbe Kerbe zu hauen («Die Geschlechterillusion», 4. 4.): Er erklärte die «biologische Realität» kurzum zur Norm und behauptete, die Gender Studies wollten den Menschen wider die Natur ideologisch umerziehen.

Normal ist normal!

Auch die Lieblingsfeuilletonistin der AfD, Cora Stephan, konnte es sich nicht verkneifen. Unter dem sinnfreien Titel «Normal sein ist ganz normal» (29. 4.) wehrte sie sich wacker für den weissen Mann, der heute ständig «s Maul halten» müsse. Eine abenteuerliche Aussage, die nicht nur in der NZZ tagtäglich widerlegt wird. Weiter verkündete Stephan, eine «Gender-Elite» gebe heute aggressiv den Ton vor. Dabei gehe vergessen, dass Heterosexualität «keine blosse Norm» sei, «sondern schlicht und ergreifend – normal.» Damit sagt sie fast exakt dasselbe, was der kreuzkonservative Bischof Vitus Huonder bereits vor dreieinhalb Jahren gepredigt hatte: Die Ideologie des «Genderismus» nehme totalitäre Züge an und widerspreche der Schöpfungsordnung. Nur war Huonder damals in der NZZ noch nüchtern in den Senkel gestellt worden.

Heute ist der Kampf gegen Gender Teil einer breiteren NZZ-Front gegen die Schimäre «Political Correctness» (siehe WOZ Nr. 6/2017 ) und gegen Minderheiten aller Art («Opfer», «Feministinnen», «LGBTQ»): Diese sollten sich gefälligst wieder von der Mehrheit der Normalen die Welt erklären lassen, statt sich selber vorzudrängen. Interessant dabei: Ihre marktliberale Haltung führte die NZZ früher bisweilen auch zu gesellschaftlich liberalen Schlussfolgerungen, etwa in der Drogenpolitik. Aktuell aber ruft das NZZ-Feuilleton unter seinem offensiv marktliberalen Ressortleiter René Scheu bei Gesellschaftsthemen eine reaktionäre Leitkultur aus, die direkt vom konservativen Katholizismus abstammt.