Porträt: Zukunftsmarsch gegen Vergangenheit

Nr. 10 –

Regula Grünenfelder vom Katholischen Frauenbund hat so wie viele BasiskatholikInnen genug von der Chefetage des Bistums Chur und von der Bischofskonferenz. Mit einer Kundgebung wollen sie eine neue Leitung fordern.

Regula Grünenfelder: «Die Botschaft von Bischof Huonder, ausgerechnet am Tag der Menschenrechte, hat mich fassungslos gemacht.»

Zehn von zehn rollen mit den Augen, fällt der Name Vitus Huonder, dies ergibt eine spontane Umfrage unter katholischen Bekannten. Ginge es nach Regula Grünenfelder, hätte der Bischof und Chef des Bistums Chur dort längst nichts mehr verloren. Die feministische Theologin aus Zug und Bildungsbeauftragte des Katholischen Frauenbunds (SKF) ist Mitinitiantin der Kundgebung «für eine glaubwürdige und befreiende katholische Kirche». Am Sonntag um 15 Uhr werden die KatholikInnen vom Bahnhof St. Gallen zum Klosterplatz ziehen und Bischof Markus Büchel, dem Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz, ihre Forderung übergeben: Die Bischofskonferenz soll für eine neue Leitung in Chur einstehen. Getragen wird der Protest von den wichtigsten katholischen Verbänden, darunter Jungwacht Blauring, Kolping Schweiz und die Katholische ArbeitnehmerInnenbewegung. HauptinitiantInnen und zugleich stärkstes Bündnis sind aber die gut 150 000  Frauen des SKF.

«Ausgrenzung und Selbstgerechtigkeit machen mich zornig», beginnt Grünenfelder das Gespräch. Dann erläutert sie eloquent ihr Engagement für menschenwürdige Migrationspolitik, berichtet vom Kampf gegen die Ausschaffung einer tschetschenischen «Dublin-Abkommen-Familie» – wie sie und andere praktisch das ganze Dorf, Greppen, mobilisierten und das schier Unmögliche erreichten. Ihr Enthusiasmus scheint die ganze Person mitzureissen, in Diskussionen, Konzepten oder eigenen Texten – arbeiten aus Überzeugung eben. Selten spricht sie von der privaten Regula Grünenfelder, von der leidenschaftlichen Familienfrau oder ihrer spirituellen Seite; im Moment zählt der Protest.

«Es reicht!»

Als sie im Dezember 2013 Huonders missionarisches Bischofswort für die Heterosexualität hört, platzt der 49-Jährigen endgültig der Kragen. Darin unterstellt der Bischof dem «Genderismus», der Geschlechter nur in ihrer gesellschaftlichen Rolle begreife, «totalitäre Züge», er argumentiert wahlweise mit dem Schöpfungsmärchen oder mit «Naturwissenschaft» und fordert, dass gläubige katholische Homosexuelle, Wiederverheiratete und Konkubinatspaare künftig mit verschränkten Armen zur Kommunion antreten sollen und so für alle deutlich machen, dass sie nur vom Segen statt vom Leib Christi zehren dürfen.

«Diese Botschaft ausgerechnet am Tag der Menschenrechte macht mich fassungslos!», sagt Grünenfelder, «das ist diskriminierend und verächtlich.» Deshalb lanciert sie mit Simone Curau-Aepli und Jacqueline Keune den SKF-Appell «Segen statt Brot für Homosexuelle und Geschiedene». Innerhalb einer Woche unterzeichnen über 2700 Personen, schlagartig kommt Bewegung in die Basis: «Es reicht!» Der Protest war geboren.

Wenig später ist auf katholisch-informiert.ch von einem «Kreuzzug» die Rede, für den anonymen Verfasser ist die Frauenbund-Präsidentin Rosmarie Koller-Schmid eine «Oberste Feldherrin», deren Mobilisierung eine «Schlacht um die Machtfrage» – diffamierend, aber in vertrauten Metaphern für Grünenfelder, die ihre Dissertation über Kriegsrhetorik verfasst hat. Huonders Pressesprecher habe den Artikel publiziert und wenig später wieder gelöscht, heisst es. Das Klima im Bistum bereitet Grünenfelder Sorgen, sie wisse von Ängsten und Drohgebärden gegenüber KritikerInnen. «Betroffene kritisieren die Bistumsleitung zwar, in der Öffentlichkeit wollen sie aber anonym bleiben.»

Gegensätzliche Weltbilder

Die katholische Kirche ist heute tief gespalten. Auf der einen Seite stehen engagierte ChristInnen wie Grünenfelder, die sich für Flüchtlinge einsetzen und eine Anerkennung lesbischer und schwuler Partnerschaften fordern. Ihre Theologie ist offen und kritisch: «Jede Lehre ist Interpretation und bedarf des Gesprächs, sonst ist sie ein Götze in den Händen religiöser Fundamentalisten», stellt Grünenfelder klar. Auf der anderen Seite die ultrakonservativen AnhängerInnen Huonders, die den Geist der «wahren katholischen Lehre» vertreten – hinterfragt wird nicht. Etwa der Eidgenössische Bund Junger Katholiken (EBJK), auf dessen Website realsatirische Sätze stehen wie: «Einige meist überalterte kirchliche Gruppen schaffen es immer wieder, Themen wie Frauenpriestertum, die Abschaffung des Zölibates usw. zu fordern.» Der Verein ist Initiant des angekündigten und wieder abgesagten Gegenprotests der Huonder-Lobby, zu der auch Evangelikale und die ultrakonservative, von der römisch-katholischen Kirche ausgeschlossene Pius-Bruderschaft gehören.

Die Route sollte dieselbe sein, nur war das Datum einen Tag früher angesetzt: auf den 8. März, den Tag der Frau. Dieser gehört letztlich aber doch noch den Frauen: Am 27. Februar liess Huonder ausrichten, dass er keine Gegendemonstration wünsche, was der EBJK demütigst beherzigt und womit er nicht nur dem Bischof einen Dienst erweist.