Faircoin: Die gerechtere Kryptowährung

Nr. 5 –

Sie heissen Bitcoin, Ethereum oder Dash und stehen für Spekulation, Stromverbrauch und anonymen Schwarzmarkt. Dass eine Kryptowährung auch fair und nachhaltig sein kann, will eine Gruppe im Jura mit dem Faircoin beweisen.

Ein alter Pentium-Rechner mit revolutionärem Potenzial: Faircoin-Server im Treffpunkt La Décentrale in Saint-Imier.

Der Kursverlauf des Bitcoin ist fast so steil wie die Standseilbahn von Saint-Imier auf den Mont-Soleil. Kurz vor Weihnachten kratzte der Kurs kurzzeitig an der magischen 20 000-Dollar-Marke. Prompt folgte der Absturz, und der Bitcoin verlor innert fünf Tagen fast vierzig Prozent an Wert.

Zur gleichen Zeit wird im Treffpunkt La Décentrale im Berner Jura, unweit der ehemals grössten Solaranlage Europas, an der Gesellschaft der Zukunft getüftelt. Sie soll basisdemokratisch, dezentralisiert, sozial und nachhaltig sein. Und sie will die alternative Kryptowährung Faircoin als Zahlungsmittel etablieren.

Der Faircoin ist eine von über tausend Kryptowährungen – und schlägt doch einen ganz eigenen Weg ein. Zwar ist Dezentralisierung auch beim Faircoin die treibende Kraft. Doch statt auf Konkurrenz und die Kontrolle durch Algorithmen zu setzen, entsteht das Vertrauen ins System durch Kooperation und eine basisdemokratische Lenkung (vgl. «Dezentralisiert, sozial, nachhaltig» im Anschluss an diesen Text).

1200 Meter über Meer

«La Décentrale» ist einer jener Orte, an denen das ausgehandelt wird. Der anarchistisch geprägte Treffpunkt wurde 2014 von Chris Zumbrunn und Gleichgesinnten ins Leben gerufen. Im Zuge des 2012 in Saint-Imier stattfindenden Anarchismustreffens suchte er einen Ort, wo die dort diskutierten Ideen weitergedacht und umgesetzt werden könnten. So entstand in einer Jugendstilvilla auf 1200 Metern über Meer ein Labor für die Transformation der Gesellschaft. Aus allen Kontinenten kommen Menschen und arbeiten alleine oder in Gruppen an Projekten und Visionen. «Im weitesten Sinne kann man das soziale Permakultur nennen», erläutert der 49-Jährige. Wie in vergleichbaren landwirtschaftlichen Projekten stehen Nachhaltigkeit, Kleinräumigkeit, Vielfalt, geschlossene Kreisläufe sowie die Integration von Altem und Neuem im Vordergrund.

Der Faircoin ist dabei ein zentraler Bestandteil. Man habe festgestellt, so Zumbrunn, dass die ökonomischen Zwänge oftmals stärker als das demokratische, gesellschaftliche Potenzial seien. «Darum müssen wir auch das ökonomische System reformieren», betont Chris Zumbrunn. Auch jetzt überlegt er lange, bevor er die Frage beantwortet und eine Erklärung ausführt. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Informatik und setzt sich für Open Source ein. In den letzten Jahren kam ein Interesse an alternativen Gesellschaftsmodellen hinzu – und damit das Bedürfnis, neue politische und wirtschaftliche Ansätze auszuarbeiten. Da kam 2015 der Faircoin wie gerufen.

Kooperation statt Konkurrenz

Nach der kurzen Fahrt auf den Mont-Soleil stapfen wir durch den frischen Schnee zur altehrwürdigen Villa, wo man mit dem Faircoin selbstgemachte Konfitüren und Tees aus dem Waldgarten erstehen kann. Im Wohnzimmer der «Décentrale» ist es wunderbar warm, während draussen der Schnee vom Wind an die Fenster gewirbelt wird. Es wird Mikado gespielt, ein Kleinkind wuselt auf dem Boden herum, und Zumbrunns Hund schläft auf dem Sofa. In einem Holzschrank in der Ecke steht ein alter Pentium-II-Rechner. Tag und Nacht ist er mit dem Internet verbunden und erledigt für den Faircoin die gleiche Arbeit, für die der Bitcoin eine Armee von «Minern» benötigt: Transaktionen auf der Blockchain beglaubigen. «Im Vergleich zum Bitcoin braucht der Faircoin keinen Strom. Es ist einfach eine ganz normale Software», erläutert Zumbrunn einen der zentralen Unterschiede.

Der Faircoin wurde im März 2014 ins Leben gerufen. Nach anfänglichem Enthusiasmus wäre die Kryptowährung jedoch beinahe in der Versenkung verschwunden. Es mangelte an Engagement und Ideen. «Dann formierte sich eine Gruppe, die den Faircoin wiederbeleben wollte», sagt Zumbrunn. Nach zwei, drei Monaten atmete der Faircoin wieder.

Im Sommer 2017 wurde schliesslich auf ein weltweit einzigartiges Protokoll umgestellt: Statt Rechenleistung hält seither Kooperation das System am Laufen. Das heisst, dass einzelne Rechner nicht untereinander in einem Wettbewerb stehen, sondern miteinander zusammenarbeiten. Das Prinzip beruht auf der Annahme, dass Kooperation effizienter als Konkurrenz ist – eine Meinung, die auch Thomas König vertritt, der in der zweijährigen Entwicklung des neuen Protokolls federführend war. Inzwischen hat mit dem Pylon Coin denn auch bereits eine weitere Kryptowährung das Konzept übernommen.

Mitten in der Inneren Mongolei reihen sich derweil mehrere azurblaue Industriehallen aneinander. Riesige Rotoren transportieren heisse Luft ins Freie, während drinnen Tausende blinkende Rechner auf Regalen stehen. Der Strom für die womöglich weltweit grösste Bitcoin-Mine der chinesischen Firma Bitmain stammt aus billiger Kohle, die es hier zur Genüge gibt und die das Geschäft profitabel hält.

«Der Bitcoin ist im Wesentlichen eine spezielle Stromverbrauchssoftware», formuliert Zumbrunn plakativ. Der Wettbewerb um neue Bitcoins führe zu einem gewaltigen Ressourcenverbrauch und letztlich zu einer Übermacht derjenigen, die über das meiste Kapital verfügten. «Der Bitcoin wird von den Minern kontrolliert», kritisiert Zumbrunn. «Er ist also überhaupt nicht so dezentral organisiert, wie es in der Idealvorstellung aussieht.»

Für Zumbrunn und andere ist der Faircoin «a coin with a mission», eine Münze mit Mission. Nicht zuletzt deshalb, weil die Währung mit der Bewegung Faircoop verknüpft ist. Inspiriert durch die Cooperativa Integral Catalana, soll damit ein dezentralisiertes Ökosystem entstehen, anhand dessen Menschen aus dem Teufelskreis der kapitalistischen Verwertungslogik ausbrechen können. «Faircoop und Faircoin sind nicht bloss ökonomische Projekte», umreisst Zumbrunn das Potenzial der Bewegung. «Es handelt sich zwangsläufig auch um ein politisches Anliegen.»

In Parität zum Euro

In der politischen Ausrichtung und basisdemokratischen Lenkung sehen einige einen Widerspruch zum libertären Geist von Bitcoin und Konsorten. Mit gutem Grund, sagt Zumbrunn: Das Prinzip Bitcoin sei letztlich ein «Anarchokapitalismus auf Steroiden». Der Hype um diese Kryptowährung, die 2008 als Antwort auf die Bankenkrise entstanden war und lange ein Schattendasein im Darkweb fristete, brachte Spekulation und derart grosse Kursschwankungen, dass sich der Bitcoin mittlerweile nicht mehr als stabiles Zahlungsmittel eignet.

Wir sitzen inzwischen im selbstverwalteten Kulturzentrum Espace Noir in Saint-Imier am Fuss des Mont-Soleil. Immer wieder suchen Menschen in der gemütlichen Stube Wärme, während draussen der Dezembernebel alles erdrückt. Chris Zumbrunn zückt sein Smartphone und zahlt unkompliziert mit dem Faircoin. In seinem Adressbuch hat er das Wallet – eine Art digitales Portemonnaie – des Cafés gespeichert und überweist den fälligen Betrag. Der Kurs wurde von der federführenden Faircoop in Parität zum Euro festgelegt. Das soll den aktiven Gebrauch unterstützen und zudem die Kaufkraft innerhalb lokaler und fairer Ökosysteme konservieren. Natürlich wird auch mit dem Faircoin spekuliert. Doch da sich vier Fünftel der Coins im Besitz von Menschen innerhalb der kooperativen Bewegung befinden, erhofft man sich, dass der Einfluss der Spekulation klein bleibt.

Nach einigen Minuten ist Zumbrunns Transaktion verifiziert, und wir wagen uns in die Kälte des Uhrenstädtchens. Noch können erst wenige Waren und Dienstleistungen mit dem Faircoin bezahlt werden. Doch Zumbrunn ist optimistisch: «Wir bauen im Moment Tauschkreisläufe auf und investieren in die Infrastruktur. Sobald das Ökosystem aufgebaut ist, wird die Schwelle zur Adaption sehr klein.»

Der Faircoin habe «den Reiz von Volatilität und Gier gegen langfristige Stabilität eingetauscht», schreibt dazu auch der Faircoop-Aktivist Neil Haran in einem Artikel auf dem Onlineportal «Techcrunch»: «Die einzige Gefahr ist, dass die Menschen das nicht mitkriegen. Letzten Endes sticht Drama einfach mehr ins Auge.»

Die Vision von Zumbrunn und seinen MitstreiterInnen: Dereinst soll man nicht nur in Cafés und Bioläden mit dem Faircoin einkaufen können; auch lokale Brauereien sollen ihr Bier gegen Faircoins an Restaurants liefern und einen Teil des Lohns in Faircoins auszahlen – und am Ende, so hofft Zumbrunn, würden auch Elektrizitätswerke oder Heizöllieferanten mit dem Faircoin arbeiten.

Alternatives Geld : Dezentralisiert, sozial, nachhaltig

Der Faircoin ist wie der Bitcoin eine dezentralisierte Kryptowährung. Keine Bank hat die Hoheit über getätigte Transaktionen. Stattdessen sind diese öffentlich auf der sogenannten Blockchain vermerkt. Wer im Café einen Tee mit Faircoins bezahlen möchte, gibt in einer App ähnlich wie bei anderen mobilen Zahlungssystemen eine Transaktion in Auftrag. Dabei werden Faircoins aus dem eigenen Wallet – einer Art digitalem Geldbeutel – in jene der Empfängerin transferiert. Ein digitale Signatur verhindert den Missbrauch.

Neue Transaktionen werden regelmässig auf einem Block gebündelt und dann definitiv ausgeführt. Beim Faircoin übernimmt diese Aufgabe jeweils einer von etwa zwanzig «Certified Validation Nodes» (CVNs). Ein Konsens zwischen allen aktiven Knotenpunkten entscheidet, welcher Rechner als Nächstes einen Block an die Blockchain anhängen darf. Abgesehen von einer kleinen Transaktionsgebühr erhalten die CVNs keine Belohnung. Dieses Prinzip wird als «proof-of-cooperation» bezeichnet und wurde speziell für den Faircoin entwickelt. Wer einen CVN betreiben möchte, muss zuerst von der Faircoop-Gemeinschaft zugelassen werden.

Damit unterscheidet sich der Faircoin radikal vom Bitcoin. «Der Grundgedanke hinter dem Bitcoin ist, dass wir anderen Menschen nicht vertrauen können», erklärt Zumbrunn. Die Sicherheit dabei basiert auf der Konkurrenz zwischen Zehntausenden von «Minern». Es besteht laufend ein Wettrennen darum, als erster Rechner die Lösung für ein arbeitsintensives kryptografisches Problem zu finden. Nur wer das als Erster schafft, darf neue Transaktionen beglaubigen. Dieses System nennt sich «proof-of-work», denn die Miner beweisen damit, dass sie eine gewisse Arbeit ins Netzwerk gesteckt haben. Als Belohnung für diesen Aufwand winkt der begehrte «block reward»: 12,5 Bitcoins, die neu ins System eingespeist werden.

Florian Wüstholz