Geheimarmee P-26: Quellen öffnen, Akten raus

Nr. 6 –

Die Diskussion um die verschwundenen Akten der ehemaligen Geheimarmee erreicht die Politik. Die Schutzfrist könnte bald aufgehoben werden. Ausgerechnet der Leiter des verschlossenen P-26-Museums würde das ebenfalls begrüssen.

Die grüne Genfer Nationalrätin Lisa Mazzone wird in der Frühlingssession einen Vorstoss einreichen, in dem sie die Veröffentlichung des Cornu-Berichts zur P-26 sowie die Aufhebung der Schutzfrist für sämtliche Akten der früheren Geheimarmee fordert. Sie will vom Bundesrat zudem wissen, ob die Akten, die sich in einem verschlossenen Museum in der ehemaligen Führungszentrale «Schweizerhof» in Gstaad befinden, ins Bundesarchiv gehören. «Es besteht ein öffentliches Interesse, zu sämtlichen Akten zur P-26 Zugang zu erhalten, um sich ein vollständiges Bild über die Geheimarmee bilden zu können», sagt Mazzone. Nach den neusten Erkenntnissen seien eine Neubeurteilung der Schutzfrist sowie eine Zusammenführung der Akten angebracht.

1990 hatte eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) die kurz zuvor enttarnte Geheimarmee untersucht. Ein Jahr später folgte der Zusatzbericht Cornu – benannt nach Untersuchungsrichter Pierre Cornu –, der die Beziehungen der P-26 zu ausländischen Partnern zum Thema hatte. Die Akten der PUK, der Bericht von Cornu sowie Unterlagen der Generalstabsdienste mit Tonbändern und Videokassetten lagern im Bundesarchiv. Sie unterstehen einer Schutzfrist von fünfzig Jahren und dürfen erst 2041 eingesehen werden.

Letzte Woche machte der «Tages-Anzeiger» publik, dass die Beilagen zum Cornu-Bericht verschwunden seien. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) sucht schon lange danach. Anfang des Jahres meldete der «Anzeiger von Saanen» die Eröffnung eines Museums in Gstaad, das gleich wieder geschlossen wurde. Begründet wurde der merkwürdige Vorgang damit, dass sich dort Akten befänden, die seit 1991 der Schutzfrist unterstünden. Zum Museum haben nur ehemalige Mitglieder der P-26 sowie Sponsoren Zutritt. Bundesrat Ueli Maurer wohnte der Eröffnung bei (siehe WOZ Nr. 1/2018 ).

Berge von Akten in Gstaad

Der Historiker Felix Nöthiger, der das Museum in Gstaad betreibt und den Artikel im «Anzeiger von Saanen» verfasst hat, spricht auf Anfrage von «Bergen von Akten», die sich im Museum befänden. Sie würden von Freiwilligen digitalisiert. Allerdings stamme «kein einziges Blatt» aus dem Bundesarchiv, die Akten würden aus privaten Nachlässen der Mitglieder kommen. Die gesuchten Unterlagen des Cornu-Berichts könnten sich deshalb nicht in Gstaad befinden. Die GPDel will den Hinweis auf den Bunker als möglichen Aufbewahrungsort der fehlenden Quellen an ihrer nächsten Sitzung im Februar jedoch diskutieren, wie deren Präsident Claude Janiak schreibt.

Ob die gesuchten Akten noch irgendwo auftauchen werden oder längst vernichtet wurden – es ändert sich nichts daran, dass die Öffentlichkeit keinen Zugang zu den historischen Quellen zur P-26 hat. Sie sind entweder im Bundesarchiv gesperrt oder in Gstaad nur den ehemaligen Mitgliedern der Geheimarmee zugänglich. Zwei bedeutendere Nachlässe finden sich zudem beim Historiker Titus Meier, dessen Dissertation zur Geheimarmee demnächst als Buch erscheint. Er will sie dem Bundesarchiv übergeben.

Nach Einschätzung von Sacha Zala, dem Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte, steht einer Aufhebung der Schutzfrist der P-26-Akten im Bundesarchiv nichts im Weg. Die Liste der Bestände mit Schutzfristen kann vom Bundesrat jederzeit geändert werden, gegebenenfalls mit Auflagen zur Einhaltung der Persönlichkeitsrechte. Ob die Akten in Gstaad wiederum Privaten gehörten oder dem Bund, sei juristisch schwierig zu beurteilen, schliesslich habe die Geheimarmee jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt. «Aus Sicht der Geschichtswissenschaft wäre es absolut am gescheitesten, wenn auch diese Akten im Bundesarchiv lagern würden», sagt Zala.

Gefecht um die Geschichte

Die Aufdeckung der Geheimarmee hatte 1990 für einen politischen Skandal gesorgt. Die PUK war zum Schluss gekommen, dass die Geheimarmee ohne gesetzliche Grundlage und ohne parlamentarische Aufsicht agierte. Auch der Bundesrat hatte angeblich keine Kenntnis davon. Die im Jahr 1982 konzipierte P-26 umfasste bei ihrer Auflösung rund 400 Mitglieder. Die demokratiepolitische Gefahr der Geheimarmee zeigte sich insbesondere daran, dass sie nicht nur bei einer Besetzung der Schweiz durch einen äusseren Feind zum Einsatz kommen sollte, sondern gemäss PUK-Bericht auch bei einem «inneren Umsturz» durch «Unterwanderung».

Die ehemaligen Mitglieder versuchen seit einigen Jahren, ihr eigenes Geschichtsbild durchzusetzen. Die Aufdeckung der Geheimarmee empfanden sie als politischen Verrat, der sie in ihrem Stolz verletzte. Die Aktivitäten koordiniert Felix Nöthiger, der selbst nicht Mitglied der P-26 war. In den Augen ihrer Mitglieder war die Truppe eine Widerstandsorganisation, die als Teil der Armee der Befehlsgewalt des Bundesrats unterstellt gewesen sei. Nöthiger, der als Leiter des verschlossenen Museums selbst für einen selektiven Zugang zu den Akten verantwortlich ist, würde denn auch eine Aufhebung der Schutzfrist unterstützen, weil «Manipulationen der PUK» öffentlich würden.

Die Sichtweise der VeteranInnen transportierte kürzlich ein Dokumentarfilm am Westschweizer Fernsehen mit dem leicht märchenhaften Titel «Il était une fois l’armée secrète suisse». Darin kamen nur ehemalige Mitglieder und zugewandte HistorikerInnen zu Wort. Sowie als vorauseilende Pointe der aktuellen Debatte: Pierre Cornu, dessen Bericht bis heute niemand lesen darf.