Geheimarmee: «Für die Briten war die P-26 wünschenswert»

Nr. 21 –

Kürzlich wurde der Bericht zu den Auslandsbeziehungen der Geheimarmee P-26 veröffentlicht. Nun spricht erstmals sein Verfasser, der heutige Neuenburger Kantonsrichter Pierre Cornu.

WOZ: Herr Cornu, Ihr Bericht zur P-26 blieb mehr als 25 Jahre geheim. Was bedeutet die Veröffentlichung für Sie?
Pierre Cornu: Für mich war es normal, dass der Bericht 1991 nicht veröffentlicht wurde: Er enthielt viele Informationen über ausländische Personen und Geheimdienste. Eine Veröffentlichung hätte damals zweifellos Probleme in den Beziehungen unserer Nachrichtendienste zu ausländischen Partnern verursacht. Ich freue mich aber, dass der Bericht jetzt im Wesentlichen öffentlich ist: Er ermöglicht es Historikern, ihre Arbeit genauer zu machen, und vermittelt der interessierten Öffentlichkeit eine bessere Vorstellung über die Zusammenarbeit der P-26 mit dem Ausland.

Sie verfassten den Bericht als junger Untersuchungsrichter. Wie kamen Sie zum Auftrag?
Ich arbeitete bereits für die PUK EMD, die sich auch mit der P-26 befasste. Der Vorsteher des Militärdepartements, Kaspar Villiger, fragte mich danach, ob ich die Beziehungen zwischen der P-26 und dem Ausland untersuchen könnte. Ich habe sofort zugesagt, weil ich das Mandat interessant fand. Darauf hat mich der Bundesrat ernannt.

Warum wurde 1991 nur ein Kurzbericht veröffentlicht?
Wie gesagt hätte eine Veröffentlichung die Beziehungen zwischen unseren Nachrichtendiensten und ihren Partnern gefährdet. Man muss wissen, dass die britischen Behörden damals die blosse Existenz britischer Geheimdienste weder bestätigt noch dementiert haben: Da schien es nicht opportun, ihre Tätigkeit in einem offiziellen Schweizer Bericht zu beschreiben.

Anfang dieses Jahres wurde publik, dass Handakten zum Bericht fehlen. Glauben Sie, dass die Akten verloren gingen oder dass sie wie so viele P-26-Unterlagen bewusst vernichtet wurden?
Ich weiss nicht, was mit den Akten passiert ist, auf denen mein Bericht basiert, und ich habe keine Ahnung, unter welchen Umständen sie verschwunden sind.

Verfügen Sie über Kopien der Akten?
Ich habe 1991 alle Unterlagen dem EMD abgegeben und verfüge nur über eine nummerierte Kopie des Berichts. Für mich ist bedauerlich, dass die Akten verschwunden sind: Sie würden zeigen, dass ich die relevanten Informationen für die Bewertung der Beziehung zwischen der P-26 und dem Ausland ermittelt habe und dass sie auch alle im Bericht erwähnt sind.

Falls die Akten vernichtet wurden: Wer hätte ein Interesse daran gehabt?
Ich will nicht spekulieren. Ehrlich gesagt sehe ich nicht, wer ein Interesse am Verschwinden der Akten gehabt haben könnte. Es liesse sich darin nichts wirklich Neues finden ausser den Namen einzelner Personen oder Organisationen.

In Europa bestanden im Kalten Krieg zahlreiche Geheimarmeen, die bei einem Angriff der Sowjetunion aktiv geworden wären. Im Bericht zeigen Sie, dass sich diese über Komitees koordinierten. Was war deren Funktion?
Die Komitees setzten sich aus Repräsentanten der Stay-behind-Organisationen ihrer jeweiligen Staaten zusammen. Die betroffenen Länder waren Nato-Mitglieder, es gab aber auch Nato-Staaten, die nicht beteiligt waren. Wir können also nicht von Nato-Strukturen sprechen, selbst wenn Kontakte zur Nato bestanden haben. Der Zweck der Ausschüsse lag darin, die Aktivitäten der Widerstandsorganisationen zu koordinieren. Sie ermöglichten zum Beispiel den Austausch über spezifische Techniken und Taktiken.

Die P-26 war nicht in den Komitees dabei, kooperierte aber eng mit den Briten. Sie sprechen in Ihrem Bericht von einem Lehrer-Schüler-Verhältnis. Haben die Briten die P-26 geformt?
Es wäre falsch zu sagen, dass die Briten die P-26 geschaffen haben oder sie nach ihren Vorstellungen modellierten. Sie stellten aber der P-26 auf Anfrage Rat und Material zur Verfügung. Ihre Zusammenarbeit gab den Briten eine ziemlich klare Vorstellung von der P-26, von ihrer Doktrin und ihren Methoden. In meinem Bericht habe ich kritisiert, dass die Briten mehr über die P-26 wussten als der Bundesrat sowie das Parlament.

Die Briten gaben auch anderen Staaten solche Schulungen. Könnte man folgern, dass sie und nicht die Nato die Geheimarmeen prägten?
Die Briten wurden zweifellos als Experten auf diesem Gebiet angesehen: Sie hatten während des Zweiten Weltkriegs in weiten Teilen Europas und auch anderswo eine sehr wichtige Rolle bei der Gründung und Aktion von Widerstandsorganisationen gespielt. Für die P-26 war es irrelevant, dass die Briten auch andere Partner hatten. Umgekehrt scheint mir klar zu sein, dass die britischen Dienste ein Interesse an einer guten Stay-behind-Organisation in der Schweiz hatten. Eine militärische Invasion in Westeuropa hätte unser Land zweifellos nicht verschont. Für die Briten war eine solche Organisation in der Schweiz deshalb wünschenswert.

Gegen Ende des Kalten Krieges kollaborierte die P-26 doch mit den Staaten, die sich in den Komitees zusammengeschlossen hatten: Sie wollte sich ihrem Funknetz anschliessen.
Grundsätzlich waren die P-26-Mitglieder an der Unabhängigkeit ihrer Organisation interessiert und waren sich der Grenzen bewusst, die ihnen die Neutralität der Schweiz setzte. Wie ich aber in meinem Bericht geschrieben habe, war die Beteiligung der P-26 am Harpoon-Funknetz aus neutralitätspolitischer Sicht bedenklich.

Bemerkenswert ist eine Passage, in der Sie beschreiben, dass die Schweizer auch an einer Übung der Briten teilnahmen, die von einem Umsturz im Innern ausging.
Nachdem ich die Liste der P-26-Mitglieder gesehen, viele Informationen über ihre Aktivitäten gesammelt und die Gelegenheit gehabt habe, mit mehreren ihrer Kader und anderen Mitgliedern zu sprechen, bin ich sicher, dass die Organisation nur im Fall der Besetzung des Territoriums durch eine feindliche Armee aktiv geworden wäre. Die These, dass die P-26 bei einem linken Wahlsieg aktiv geworden wäre, entspringt meiner Meinung nach der Fantasie. Einige P-26-Kader sagten mir, dass ihnen das von Ihnen erwähnte Übungsszenario peinlich gewesen sei, weil es nicht ihrer Mission entsprochen habe. Ich glaube ihnen.

Pierre Cornu, Kantonsrichter

Seit einiger Zeit erleben wir einen starken Revisionismus in Bezug auf die P-26, zuletzt in einem Dokumentarfilm im Westschweizer Fernsehen, der die Mitglieder als edle Patrioten beschrieb, obwohl die P-26 ausserhalb der Rechtsordnung stand. Sie treten ebenfalls kurz im Film auf. Teilen Sie das von diesem Film vermittelte Gesamtbild?
Meiner Meinung nach waren die P-26-Verantwortlichen und die Leute, die sich bereit erklärten, daran teilzunehmen, tatsächlich Patrioten, die dachten, sie würden etwas Nützliches für ihr Land tun. Auch fanden sie diese Aufgaben interessant und waren vielleicht auch geschmeichelt, dass sie für eine geheime Tätigkeit vorgesehen waren. Allerdings haben die PUK EMD und ich kritische Anmerkungen über die Art und Weise gemacht, wie die Organisation gestaltet und finanziert wurde und dass sie keiner politischen Kontrolle unterlag. Es war längst nicht alles perfekt, die P-26 war aber auch keine kriminelle Organisation.