San Francisco: Willkommen in der Hyper-Gentrifizierung!

Nr. 38 –

Wohl kein Ort der Welt zeigt besser als die kalifornische Metropole, was passiert, wenn IT-Konzerne die Stadtplanung übernehmen.

Im Silicon Valley arbeiten, in San Francisco wohnen und die Mietpreise in die Höhe treiben: Blockade eines sogenannten Google-Busses. Foto: Jin Zhu, CC BY-NC-ND 2.0

Die doppelstöckigen Busse sind weiss, an ihrer Front, wo sonst der Zielort zu lesen ist, prangen ein Smiley und ein aufdringliches «Hi!». Das Lachen allerdings dürfte den PassagierInnen, deren Silhouetten hinter den getönten Fensterscheiben zu erkennen sind, vergangen sein: Oranger Rauch steigt in den Himmel, AktivistInnen in weissen Schutzanzügen entrollen Transparente und türmen E-Trottinette diverser Internetfirmen als Blockade auf. Die Fahrt ins siebzig Kilometer entfernte Silicon Valley ist für die als Google-Busse bekannten Shuttles in San Franciscos Mission-Quartier erst einmal zu Ende.

Die FahrerInnen, die auch Angestellte anderer Silicon-Valley-Unternehmen wie Facebook und Apple zwischen Stadt und Arbeitsort hin- und herkarren, kennen das Prozedere schon. Seit 2013 kommt es immer wieder zu Blockaden – nicht nur in San Francisco, auch in Oakland. «Die Konzerne treiben die Privatisierung unserer Städte voran», sagt Jacqueline Gutierrez von der Latino-Organisation Poder, die bei der Blockade im Mission-Quartier dabei ist. Firmen wie Google würden die Bevölkerung verdrängen, sagt Gutierrez: «Und sie vereinnahmen den öffentlichen Raum und prekarisieren den Arbeitsmarkt.»

Mekka der Immobilienspekulation

Für AktivistInnen wie Gutierrez sind die Busse Symbole für die Hypergentrifizierung der ganzen Metropolregion. Unglaubliche 3200 US-Dollar kostet eine Zweizimmerwohnung monatlich im städtischen Durchschnitt, weit mehr also als selbst im teuren Zürich, wobei die Löhne in Kalifornien deutlich niedriger sind. In der Mission, dem bei IT-Angestellten beliebten Latino-Quartier, wohnt man sogar noch teurer. Nicht viel besser ist es in Oakland und Berkeley auf der anderen Seite der Bucht. Zugleich sind in der Bay Area die sozialen Ungleichheiten grösser als in den meisten US-Städten, was zur Verdrängung von Schwarzen und Hispanics und generell von einkommensschwachen Gruppen geführt hat. Auch die weisse Mittelschicht ist inzwischen betroffen.

Daten des Anti-Eviction Mapping Project, eines Datenvisualisierungskollektivs, zeigen, dass die Tech-Shuttles mehr als nur ein Symbol für diese Entwicklung sind. «Wir konnten belegen, dass 69 Prozent der Fälle, in denen Mieter ohne Selbstverschulden auf die Strasse gestellt werden, in einem Vierblockradius um einen Tech-Shuttle-Stopp stattfinden», sagt Erin McElroy, die Leiterin des Projekts. Die Nähe zum Pendelbus erhöhe die Attraktivität der Wohnlage für gut bezahlte IT-Fachkräfte, was wiederum Druck auf die Mieten ausübe. «Oft werden diese Haltestellen von Maklern aktiv beworben und Quartiere wie die Mission als neue Trendmeile für Programmierer vermarktet», sagt die Datenanalystin.

Rund vierzig Techbusse pro Stunde würden morgens allein an dieser einen Kreuzung in der Mission verkehren, sagt eine Aktivistin bei der Blockade: «In der gleichen Zeit sind es jedoch nur sechs städtische Busse.» Das etabliere ein Zweiklassensystem. Wer wegen der steigenden Mieten die Wohnung verliert, muss stundenlange Pendelwege in Kauf nehmen – wegen des schlechten ÖV-Systems oft im eigenen Auto. Denn der Google-Bus hält nur für die hoch bezahlten Programmiererinnen und Softwareingenieure.

Monopolbildung um jeden Preis

Mit der Errichtung eines privaten Busverkehrs hat Google Tatsachen geschaffen, obwohl dieses Verfahren rechtlich umstritten ist. Ähnliche Methoden praktizieren auch Start-ups wie Bird und Lime. Über Nacht verteilen die Firmen App-basierte E-Scooter und Velos wild im öffentlichen Raum. «Diese Unternehmen verkaufen sich gerne als grün», sagt Keally McBride von der Universität San Francisco: «Doch statt des Autos konkurrenzieren sie den öffentlichen Verkehr. Gerade das Sammeln von User-Daten sichert ihnen dabei einen entscheidenden Vorteil.»

Den Firmen gehe es auch nicht um Mobilität für alle. Vielmehr sei das Ziel, die Konkurrenz auszubooten, um dann die Preise anheben zu können. «Bis dahin sind die Scooter nur Platzhalter für im Hintergrund ablaufende Spekulationsgeschäfte – ein Wegwerfprodukt, wie Bilder riesiger Müllhaufen solcher Start-up-Bikes in China belegen», sagt McBride.

Daher auch die weissen Schutzanzüge der AktivistInnen an der Kreuzung im Mission-Quartier: «Techsploitation in den Elektrosondermüll» steht auf einem der Transparente der ungewöhnlichen Putzequipe – ein Wortspiel aus den Begriffen «tech» und «exploitation», Technologie und Ausbeutung. Die AktivistInnen wollen die Gentrifizierung vor der eigenen Haustür mit globalen Produktionsketten und prekären Arbeitsbedingungen in der Techbranche in Zusammenhang bringen. Was Letztere angeht, bieten sowohl Bird als auch Lime gute Beispiele: Beide Start-ups beschäftigen keine Angestellten, um ihre E-Trottinette einzusammeln, aufzuladen und wieder in der Stadt zu verteilen, sondern unabhängige VertragsnehmerInnen, die mit dem eigenen Auto und ohne soziale Absicherung arbeiten. Statt eines Monats- oder Stundenlohns erhalten sie einen Stückpreis. Immer wieder kommt es deswegen zu Streitereien, wenn es die prekär Arbeitenden auf ein- und denselben Scooter abgesehen haben.

Fahrerlose Revolution

Weltweite Bekanntheit erlangte dieses Modell durch den Rideshare-Anbieter Uber. In den USA liest man derzeit immer wieder von Suiziden von TaxifahrerInnen, deren Existenz durch App-basierte Fahrdienste zerstört wurde. Letzteres ist Kalkül: «Disruption» heisst das im Techjargon. Gemeint ist die Zerschlagung eines existierenden – oft gewerkschaftlich organisierten – Sektors durch einen App-Service, der das Arbeitsrecht umgeht, rechtliche Graubereiche ausnutzt und gleichzeitig von öffentlichen Gütern profitiert. Uber geht sogar noch einen Schritt weiter. «Werde Teil der fahrerlosen Revolution» steht auf den selbstfahrenden Testautos, die hier in San Francisco ebenfalls regelmässig ihre Runden drehen.

Ausgerechnet Unternehmen wie Uber profitieren im steuerbegünstigten Korridor in der Innenstadt von San Francisco von städtischen Subventionen. Der als «Twitter Tax Break» bekannte Deal existiert seit 2011; damals drohte der Softwareriese mit der Abwanderung. «Die Privatisierung der lokalen Infrastruktur wird gerade von jenen Akteuren vorangetrieben, die von der Stadt subventioniert werden», sagt Autor Dennis Hayes, der selber in der Techindustrie arbeitet. Während Mietzuschüsse für einkommensschwache Gruppen gestrichen würden, erhielten gleichzeitig Unternehmen wie Twitter, Dolby und Linkedin Steuergeschenke.

«Diese Unternehmen sind darauf aus, die öffentliche Planung abzulösen, etwa im Bereich Verkehr», sagt auch Wissenschaftlerin McBride. Dieses Ziel stehe hinter dem Label der «Smart City», in der alle unsere Bewegungen von einer intelligenten Umgebung zur «Optimierung» der Dienstleistungen erfasst und ausgewertet würden, so McBride.

In San Francisco knüpft die Stadtverwaltung bereits an Praktiken der Sharing Economy an – etwa wenn die Leute online darüber abstimmen sollen, welches Schlagloch als erstes zu flicken sei. Oder indem ein öffentlicher Park plötzlich stundenweise pro Quadratmeter über eine App vermietet wird. Exemplarisch dafür ist ein Vorfall, der sich vor einigen Jahren in der Mission ereignete. Damals ging ein Video von weissen Dropbox- und Facebook-Angestellten, die Latino-Kids von einem Bolzplatz vertreiben wollten, um die Welt. Die erst kürzlich zugezogenen TechmitarbeiterInnen hatten das Feld für sich beansprucht, da sie es sich über eine App reserviert hätten. Tatsächlich hatte die Stadt das Feld zur Onlinebuchung ausgeschrieben – gegen Gebühr.

Der E-Scooter hat mehr Rechte

Bezeichnend auch das Bild, das der städtische «Dotcom-Korridor» bietet. Nicht weit von den Zentralen der Techkonzerne leben Tausende in Zeltlagern, auf Gehsteigen und unter Autobahnbrücken. Auch für dieses Problem gibt es eine App: Mit dieser können Beschwerden wegen sogenannter Beeinträchtigung der Lebensqualität – etwa durch Graffiti, Müll oder den Anblick von Obdachlosen – schnell und unbürokratisch deponiert werden. Auf Druck der privilegierten Zugezogenen ist die Stadt derweil zu gross angelegten «sweeps» der Notbehausungen übergegangen: Das Hab und Gut der Betroffenen wird beschlagnahmt, sodass diesen nichts anderes bleibt, als neue, noch schlechter ausgerüstete Lager an der nächsten Ecke zu errichten.

«Die Warteliste für eine Notschlafstelle ist in San Francisco gegenwärtig über tausend Namen lang», sagt Kelley Cutler von der Coalition on Homelessness. Cutler spricht von einer «humanitären Krise» – und die betroffenen Menschen würden auch noch kriminalisiert. San Francisco verfügt über Gesetze, die sogar das Sitzen und Liegen im öffentlichen Raum verbieten – zumindest wenn es sich dabei um einen Obdachlosen und nicht um einen E-Scooter handelt. «Die Spielzeuge der Techindustrie haben mehr Rechte als ein Mensch ohne Dach über dem Kopf», schimpft Cutler deswegen bei der Google-Bus-Blockade im Mission-Quartier.

Dort sind selbst einige PassagierInnen des Busses mit dem Vorgehen ihrer Firmen nicht einverstanden. «Ich sehe meinen Job nun in einem anderen Licht», sagt ein Apple-Mitarbeiter, während er in einem Café auf die Weiterfahrt seines Busses wartet. Womöglich ist das nur ein Lippenbekenntnis, aber fest steht, dass es auch in der Branche selbst rumort, erst recht seit Donald Trumps Amtsantritt. So hat Google kürzlich auf Druck der eigenen Belegschaft angekündigt, den Vertrag mit dem Verteidigungsministerium für ein militärisches Projekt nicht mehr zu erneuern. Unter dem Motto «Tech won’t build it» hatten Tausende Google-Angestellte gegen die Entwicklung von Technologien für die «smarte» Kriegsführung protestiert. Inzwischen sind auch Microsoft, Salesforce und Amazon wegen ihrer Zusammenarbeit mit der Immigrationspolizei ICE ins Visier der Protestbewegung geraten.

Der Widerstand wird international

Demonstrationen finden also neuerdings auch am anderen Ende der Shuttle-Buslinie statt. Dort, wo die grossen weissen Busse neben firmeneigenen Volleyballfeldern und blau-rot-gelb-grünen Google-Velos auf ihre Abfahrt Richtung San Francisco warten. Kürzlich lag hier sogar das Ziel eines zweitägigen Marsches der Gruppe Serve the People San José, die sich gegen die Errichtung eines Google-Campus in San José wehrt.

Deswegen sind auch bei der Blockade in der Mission AktivistInnen aus San José dabei – und aus Berlin. In der deutschen Hauptstadt will sich der Konzern nämlich im alternativen Kreuzberg ansiedeln, wo er auf Widerstand trifft. «Google will an den Mythos Kreuzberg anknüpfen und schneller auf potenzielle Innovationen zugreifen», sagt Konstantin Sergiou vom Berliner «No Google Campus»-Bündnis. Schon jetzt aber würden auch in Berlin viele Menschen verdrängt. «Unser Ziel ist es, den Widerstand gegen Big Tech international zu vernetzen», pflichtet Aktivistin Veronica aus San José bei. Denn Google, Facebook und Uber sind nirgendwo gute Nachbarn.

Google in Zürich

Seit 2004 ist Google auch in Zürich ansässig. Mittlerweile unterhält der Konzern hier den grössten Entwicklungsstandort ausserhalb der USA und beschäftigt über 2200 MitarbeiterInnen in seinen Büros in der alten Hürlimann-Brauerei und an der Europaallee im Kreis 4. Zwar standen die Grossüberbauung im Kreis 4 und die geplante «Verkehrsschneise Neufrankengasse» immer wieder in der Kritik von GentrifizierungsgegnerInnen, Protest gegen Google blieb hier bisher jedoch aus – ganz im Gegensatz zu Orten wie Berlin, wo kürzlich sogar der zukünftige Google-Campus besetzt wurde. Bis 2021 plant der Konzern, seinen Standort in Zürich auf 5000 «Zooglers» aufzustocken.