Postauto: Dividenden durch die Hintertür

Nr. 49 –

Der Postauto-Skandal hat die Debatte um eine zunehmende Liberalisierung des Busverkehrs weiter angeheizt. Der Bundesrat will indes die Gewinnregeln im ÖV lockern und damit auf noch mehr Wettbewerb setzen. Auf der Strecke bleibt der Service public.

Aufwärts mit dem Gewinn, abwärts mit dem Service public: Ein Postauto auf der Linie Kiental–Griesalp im Kanton Bern. Foto: Herbert Zimmermann, 13 Photo

Der Mann, der den Service public retten soll, kommt aus Novazzano, einem kleinen Dorf im Tessin. Mehrmals in der Stunde schlängelt sich hier ein Postauto von Stabio oder Mendrisio die Kurven hoch bis in das 2400-Seelen-Dorf, das idyllisch auf einer Anhöhe liegt, gleich an der Grenze zu Italien. Der Mann heisst Roberto Cirillo. Ende November wurde er als neuer Chef der Post vorgestellt. Im April 2019 soll er die Nachfolge von Susanne Ruoff antreten.

Auf Cirillo, den studierten Maschinenbauingenieur und ehemaligen McKinsey-Manager, wartet kein einfacher Job. Der Ruf der Post ist ramponiert. Seine Aufgabe wird es auch sein, das Vertrauen wiederzugewinnen, das einem ihrer Tochterunternehmen, der Postauto Schweiz AG, abhandengekommen ist. Im Februar dieses Jahres war publik geworden, wie sich die Postauto AG durch Umlagetricks über Jahre hinweg Subventionen von Bund, Kantonen und Gemeinden erschlichen hatte (vgl. «KPMG mitverantwortlich» im Anschluss an diesen Text).

Man ist versucht zu sagen: Es gibt politische Kreise, denen die Enthüllungen gerade recht kamen. Sie lieferten jenen Munition, die bei Betrieben der öffentlichen Hand schon länger auf eine Liberalisierung schielten. Eine solche Deregulierung ist im regionalen Personenverkehr, wo primär Postauto Linien betreibt, bereits heute auf verschiedenen Ebenen weit fortgeschritten. Und es soll weiter an der Schraube gedreht werden.

Der Staat konkurrenziert sich selber

Grundsätzlich haben die Kantone zwei Möglichkeiten: Sie können mit den bestehenden Transportunternehmen Zielvereinbarungen abschliessen, oder aber sie schreiben die Linien öffentlich aus. Erst kürzlich hat der Kanton Jura bekannt gegeben, dass sämtliche von der Postauto AG betriebenen Linien des regionalen Personenverkehrs öffentlich ausgeschrieben werden sollen. Besonders brisant: Begründet wurde der Entscheid explizit mit dem Postauto-Skandal.

Dieser Vorgang an sich ist jedoch kein Novum. 1996 wurden erstmals Buslinien öffentlich ausgeschrieben mit der Idee, den Wettbewerb anzukurbeln. Thomas Hardegger, SP-Nationalrat und Verkehrspolitiker, sagt: «Die Ausschreibungspraxis ist Teil der neoliberalen Agenda, die sich in den 1990er Jahren durchzusetzen begann.» 2013 wurde die Pflicht, gewisse Buslinien öffentlich auszuschreiben, gesetzlich verankert, etwa dann, wenn eine neue Linie entsteht. «Mit dieser Ausschreibepflicht konkurrenziert sich der Staat jedoch selber, und die Arbeits- und Betriebsbedingungen der öffentlichen Unternehmen kommen unter Druck», kritisiert Hardegger. Die meisten Busunternehmen sind heute zwar grösstenteils im Besitz der öffentlichen Hand. Das führt jedoch zur absurden Situation, dass vielerorts ein Bundesbetrieb wie Postauto mit Verkehrsbetrieben konkurriert, die zum grössten Teil im Besitz der Kantone oder Gemeinden sind.

In Bern etwa führte diese Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen quasiöffentlichen Busunternehmen dazu, dass jeder Betrieb eine eigene Informatikfirma mit der Entwicklung einer Verkehrs-App beauftragte – mit dem gleichen öffentlichen Geld, das der Bund und die Kantone den Transportunternehmen zur Subventionierung zur Verfügung stellen.

Davon, dass öffentliche Ausschreibungen eine grosse Gefahr bergen, ist auch Sheila Winkler überzeugt. Sie ist Zentralsekretärin bei der Gewerkschaft Syndicom, die die Angestellten der Postauto AG vertritt. «Ausschreibungen sind ein Einfallstor für private Unternehmen, die mit Dumpinglöhnen auf den Markt drängen.» Das sei gerade in Grenzkantonen ein Problem. Denn die günstigsten Offerten könnten jene Unternehmen liefern, die Kosten beim Personal oder bei der Qualität der Busse sparten. Und bereits heute betreiben ausländische Transportunternehmen grenzüberschreitende Linien, so die Pariser Verkehrsbetriebe Ratp mit ihrem Tochterunternehmen Helvécie, das eine Linie nach Genf unterhält.

In seiner Verkehrsstrategie plädierte das Bundesamt für Verkehr (BAV) unter Doris Leuthard bereits 2014 selbstbewusst für mehr Wettbewerb. Der könnte in den Kantonen noch verstärkt werden. Es klang denn auch wie eine Kampfansage an die Postauto AG, als Hans-Peter Wessels, Präsident der Konferenz der kantonalen VerkehrsdirektorInnen, Ende Oktober in der «SonntagsZeitung» sagte: «Das Vertrauen der Kantone in das Unternehmen Postauto hat ganz klar gelitten. Ich gehe davon aus, dass Gemeinden und Kantone Linien nicht mehr Postauto überlassen, sondern vermehrt öffentlich ausschreiben.»

Bereits im Februar erteilte das BAV erstmals eine Konzession für ein Fernbusunternehmen, auf mehreren Strecken von St. Gallen bis nach Genf. Der Marktzugang für private, gewinnorientierte Firmen steht auch hier so offen wie noch nie zuvor.

Verordnete Rendite

Dass sich der Wettbewerb auch im regionalen Personenverkehr verschärft, dafür wird bald auch der Bundesrat sorgen. Denn bei der Frage der Liberalisierung geht es wesentlich um die Frage, ob und wie Gewinne erzielt werden können. Dies ist heute nur sehr beschränkt möglich. Wenn heute ein Busunternehmen Gewinne macht, so muss es zwei Drittel dieses Überschusses in eine Spezialreserve stecken, die künftige Defizite decken soll.

Auch der Postauto AG war es von Gesetzes wegen nur beschränkt erlaubt, Gewinne zu machen. Und trotzdem verordnete der Bund der Post und damit auch dem Tochterunternehmen Postauto AG Schweiz eine «branchenübliche» Rendite. Auf diesen Widerspruch wies die Post im Nachgang zum Skandal selber hin: «Bei Postauto besteht im abgeltungsberechtigten regionalen Personenverkehr seit Jahren ein Zielkonflikt zwischen staatlichen Abgeltungen und der Erzielung von Gewinnen (…).» Um diese Gewinnvorgaben zu erreichen, wurden Erträge aus dem regionalen Personenverkehr in den Bereich «übrige Erträge» umgebucht und damit vor den Subventionsgebern versteckt. Kritik an den internen Gewinnvorgaben bei der Post kam damals sogar von bürgerlichen PolitikerInnen. «Das ist jedoch kein Phänomen, das nur die Post angeht», sagt Thomas Hardegger. Er gehe davon aus, dass eine solche Praxis auch bei privaten Unternehmen angewandt werde. Nur könne man dort die Rechnungslegung und Gewinnverschiebung weniger gut überprüfen.

Der Bundesrat löst diesen Zielkonflikt nun nicht, indem er die Gewinnvorgaben für die Post und damit für die Postauto Schweiz AG streicht. Er lockert stattdessen lieber die Gewinnregeln für alle. Bereits vor einem Jahr präsentierte er seinen Plan, nach dem Transportunternehmen die Gewinne von denjenigen Linien frei verwenden können sollen, die im Rahmen einer Ausschreibung vergeben wurden. Damit würden gerade die rentablen Linien für Private besonders attraktiv. Die Kantone könnten dann noch stärker auf öffentliche Ausschreibungen setzen. Der Staat bestellt das ÖV-Feld, auf dem die Privaten dann die Früchte ernten.

Auf dem Rücken des Personals

Die Vernehmlassung für diese Revision des regionalen Personenverkehrs hätte eigentlich bereits in diesem Herbst starten sollen. Wegen des Postauto-Skandals wurde sie auf den Frühling 2019 verschoben. Die inhaltliche Stossrichtung ist dieselbe geblieben. Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, kritisiert diese Pläne als «Anti-Service-public-Kultur» scharf. «Das heutige System mit der Gewinnschwankungsreserve ist bereits das Maximum», sagt sie. Würden die Gewinnregeln weiter gelockert, führe das zu falschen Anreizen. «Die Unternehmen hätten ein Interesse daran, zu hohe Abgeltungen von der öffentlichen Hand zu verlangen.» Sheila Winkler ergänzt: «Mit den neuen Gewinnregeln käme es zu mehr Ausschreibungen. Damit würde der Gewinn auf dem Rücken des Fahrpersonals realisiert.» Denn nur durch tiefe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen liessen sich wirklich Kosten sparen. Die Gewinne sollten vielmehr in einen Fonds fliessen, der vom Bund verwaltet wird, schlägt Winkler vor.

Die Liberalisierungsschraube dreht sich auch in der Frage der Auslagerungspraxis und der Arbeitsbedingungen, was sowohl die Postauto AG wie auch andere Busunternehmen betrifft, die im Besitz der öffentlichen Hand sind. Beim gelben Riesen ist diese Praxis historisch gewachsen. Früher arbeitete die Post mit privaten Fuhrhaltern zusammen, meist Bauern, die für die Postzustellung zuständig waren. Noch heute besteht diese Zusammenarbeit. Etwa die Hälfte der Postautolinien wird von sogenannten Postautounternehmern betrieben. Auch die Linie von Mendrisio nach Novazzano läuft zwar unter dem Label Postauto, betrieben wird sie jedoch vom privaten Unternehmen L’Autopostale del Mendrisiotto SA. Zu erkennen ist das lediglich an der Aufschrift seitlich am Heck. Ansonsten sieht man weder dem Fahrzeug noch dem Fahrer an, dass es sich um ein Subunternehmen handelt.

Einen konkreten Grund für diese Auslagerungspraxis will Postauto auf Anfrage nicht nennen. Für Sheila Winkler steht fest, dass es primär ökonomische Gründe sind. Denn in den Ausschreibungen setzen sich meist die günstigsten Offerten durch. «Diese können aber nur so günstig sein, wenn man mit einkalkuliert, dass man den effektiven Betrieb der Linie an günstigere Subunternehmen auslagern kann.» Das gehe dann auf Kosten fairer Löhne und Arbeitsbedingungen.

So unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen zwischen der Postauto AG und ihren Subunternehmen stark. Für die meisten Angestellten bei Subunternehmen bedeutet das grundsätzlich: schlechtere Löhne und kaum Lohnschutzmassnahmen. Grundsätzlich seien jedoch die Inhaber der Konzession dafür verantwortlich, sagt Winkler, dass gesetzliche Bestimmungen eingehalten würden, sowohl bei den eigenen Angestellten wie auch bei allfälligen Subunternehmen.

Die Situation bezüglich GAVs habe sich massiv verbessert, findet hingegen Walter Wobmann. Der SVP-Hardliner ist Präsident von Bus CH, dem Verband der Subunternehmen von Postauto. «Ich habe noch von keinem Chauffeur Reklamationen gehört», sagt er.

Dass der Betrieb einzelner Linien an private Unternehmen ausgelagert wird, betrifft nicht nur die Postauto AG. In Zürich etwa besitzen die Verkehrsbetriebe Glattal AG, die zu hundert Prozent den Gemeinden gehören, die Konzession für mehrere Linien. Betrieben werden diese jedoch auch von privaten «Transportbeauftragten». In den Kantonen Schwyz, Luzern, Aargau und Wallis sind bereits heute Konzessionen in den Händen von Busunternehmen, die grösstenteils Privaten gehören.

Im Dienste des Profits?

Dem regionalen Personenverkehr und mit ihm dem ÖV steht ein heisses Jahr bevor. Dass just in diesem Moment ein in der Privatwirtschaft geschulter Manager eines der wichtigsten Unternehmen des Service public leiten soll, löst vielerorts Skepsis aus.

Syndicom schreibt in einem Communiqué: «Der Service Public steht nicht im Dienste des Profits, sondern der Bevölkerung.» Doch nicht nur von Cirillo, auch vom bald neu zusammengesetzten Parlament und vom erneuerten Bundesrat hängt die Zukunft des Service public ab. Und damit auch die Frage, ob die Postautos zukünftig noch in abgelegene Dörfer fahren, die unrentable Linien bedienen, sich die Kurven nach Novazzano hochschlängeln. Im Dienste der Bevölkerung.

KPMG mitverantwortlich

Ins Visier der Postauto-Affäre gerät nun auch die Revisionsfirma KPMG. Diese war bei der Postauto AG für die Jahresrechnung und bei der Schweizerischen Post für die Konzernrechnung zuständig. Wie die Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde nach einer Untersuchung diese Woche festhält, wies KPMG bei der Rechnungsprüfung «erhebliche Mängel» auf und war damit mitverantwortlich für die Subventionstricks. Die Aufsichtsbehörde hat ein Verfahren gegen zwei Personen eingeleitet.