Slowakische Politik: «Nur Psychopathen haben keine Angst»

Nr. 9 –

Arpad Soltesz leitet das Investigativzentrum Jan Kuciak, das zu Ehren des ermordeten Reporters gegründet wurde. Ein Gespräch über den «Mafiastaat» und die Wichtigkeit der anstehenden Parlamentswahl.

WOZ: Arpad Soltesz, zurzeit läuft in den slowakischen Kinos der Film «Schweine», der auf Ihrem Roman basiert und in dem es um Oligarchen, Korruption und einen Journalistenmord geht. Das Buch haben Sie nach der Ermordung Ihres Kollegen Jan Kuciak vor zwei Jahren geschrieben. Klingt eher nach der Realität als nach Fiktion.
Arpad Soltesz: Nach Jans Tod war ich sehr frustriert, weil ich überzeugt war, dass niemand dafür vor Gericht gestellt würde. Wir haben weder der Polizei noch der Staatsanwaltschaft vertraut. Ich habe mich für die Romanform entschieden, um den Slowaken die Augen zu öffnen, in welchem Staat sie eigentlich leben: in einem Mafiastaat.

In Ihrer Hauptfigur sehen viele den Geschäftsmann Marian Kocner, der derzeit im Kuciak-Mordprozess vor Gericht steht. Die Ermittlungen haben Kocners enge Kontakte zur Elite des Landes aufgezeigt. Übertrifft die Realität inzwischen die Fiktion?
Als ich das Manuskript abgegeben habe, gab es im Verlag die Befürchtung, ich hätte übertrieben und die Leser könnten meinen Roman unglaubwürdig finden. Im Lauf der Ermittlungen sind aber immer neue Details ans Licht gekommen, und ich stand wie ein Hellseher da. Dabei ist die Wirklichkeit noch viel schlimmer als mein Roman!

In den ersten Tagen haben schon über 100 000 Menschen den Film gesehen. Gab es auch negative Reaktionen?
Ich bekomme seit Jahren Hassmails, meine Familie und ich werden mit dem Tod bedroht. Auch für den Film werde ich angefeindet. Offensichtlich gibt es Leute, die sich darin wiedererkennen. Dass er ihnen nicht gefällt, ist okay für mich. Sollen sie mich doch hassen.

Wie erklären Sie sich diese Aggressivität?
Die kommende Parlamentswahl ist ein Referendum über die Zukunft des Landes. Wenn die Opposition gewinnt, werden die Behörden weiter im Umfeld der Smer-Partei ermitteln. Wir haben im Prozess gesehen, welche Politiker Kocner in der Tasche hatte. Sie haben Angst vor echter Demokratie mit einer unabhängigen Justiz, weil sie dann im Gefängnis landen könnten. Es gibt drei Gruppen, die bei der Wahl um die Macht kämpfen: die Mafia rund um Smer, die rechtsextreme LSNS von Marian Kotleba und die Opposition. Aber keine der drei hat eine Mehrheit.

Nach den letzten Umfragen könnte die sozialdemokratische Smer Wahlsiegerin werden.
Smer war nie eine sozialdemokratische Partei, sondern eine der Oligarchen. Die sind harte Kapitalisten. Ich habe Angst, Kotleba könnte die Wahlen gewinnen, weil er sehr viele Wähler hat, die sich nicht offen als solche deklarieren. Es ist undenkbar, dass die Opposition mit Kotleba oder Smer koaliert. Aber Smer mit Kotleba …

Die Spekulation, Kotleba könnte den Königsmacher spielen, wird vor allem von der Opposition genährt. Halten Sie das für realistisch?
Der langjährige Premier Robert Fico – der nach Kuciaks Ermordung auf Druck der Proteste zurücktreten musste, aber weiterhin Smer-Chef ist – hat alles dafür getan, als guter Europäer dazustehen. Er war der Posterboy der neuen EU-Mitgliedsländer, aber er war nie ein überzeugter Demokrat, sondern immer ein Opportunist. Mit dem Mord ist Fico im Westen zur Persona non grata geworden. Deswegen braucht er Kotleba.

In den neunziger Jahren wurden Sie als Investigativjournalist von Geheimdienstlern verprügelt. Tickt die Slowakei heute anders?
Oberflächlich betrachtet, sind die Zeiten nicht mehr so wild. Vladimir Meciar, der das Land zwischen 1992 und 1998 regierte, hat ein politisches Betriebssystem installiert, das wie ein Klon des Kremlsystems ist. Seither hat niemand dieses System geändert. Es lief einfach mit ein paar Updates weiter und wurde sogar an die EU angeschlossen.

Haben aber nicht gerade die Proteste nach Kuciaks Ermordung gezeigt, dass sich das Land verändert hat?
Viele Slowaken sind wütend und wollen einen Wandel – der aber nicht automatisch demokratisch sein muss. Ein Dilemma, an dem wir Journalisten nicht ganz unschuldig sind: Mit dem Ende der Ära Meciar und dem EU-Beitritt haben wir geglaubt, dass wir in einer liberalen Demokratie lebten. Aber unter diesem Etikett lief der Mafiastaat einfach weiter, «Liberalismus» ist heute ein Schimpfwort. Und wenn die Leute genug davon haben, werden sie Marian Kotleba wählen. Die wütende Masse will nicht Gerechtigkeit, sondern Rache. Und Kotleba verspricht sie.

Das klingt sehr pessimistisch.
Ja, das bin ich auch. Je nach Wahlergebnis bin ich bereit, das Land zu verlassen. Ich kann meine Romane auch von Berlin aus schreiben.

Was dominiert zwei Jahre nach Kuciaks Ermordung im Medienbereich – Aufbruch oder Angst?
Wir führen das weiter, was Jan als Erster getan hat: mit internationalen Partnern zur Aufdeckung von organisiertem Verbrechen kooperieren. Es war kontraproduktiv, einen Journalisten zu töten. Heute arbeiten wir härter, besser und gehen mehr in die Tiefe. Aber nur Psychopathen haben keine Angst.

Arpad Soltesz (50) arbeitet als Autor und politischer Kommentator beim Fernsehsender TV JOJ. Er leitet zudem das Investigativzentrum Jan Kuciak.