Früher war es gemütlicher Ein zweitägiger Besuch im Berner Shoppyland Schönbühl. Wer arbeitet hier? Und wer verbringt seine Zeit ganz freiwillig im Shoppingcenter?

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Das Shoppyland in Schönbühl zwischen Bern und Jegenstorf ist eines der ältesten Shoppingcenter der Schweiz, eröffnet 1975. Oder, wie die Migros als Besitzerin auf ihrer Website schreibt: «Am 6. März 1975 brach in der Region Moossee eine neue Zeitrechnung an.» Die Mall liegt eingeklemmt zwischen der A1, der A6 und der S-Bahn mit eigener Haltestelle, «Schönbühl Shoppyland»: ein Dreieck aus Parkplatz und Industrie. Den nahen Moossee sieht man von hier aus nicht, die Wohnsiedlungen beginnen auf der anderen Seite der Gleise. Fröhlich wehen drei grosse Migros-Fahnen im Wind. Wir haben es nicht ganz rechtzeitig zur Türöffnung geschafft. Es ist Donnerstagmorgen, und es sind kaum Leute anzutreffen. Über achtzig Geschäfte und Restaurants gibt es im Shoppyland, es ist die grösste Mall im Raum Bern-Mittelland. Von der lichtdurchlässigen Decke des vierstöckigen Shoppingcenters fällt ein wenig Tageslicht auf den offenen Innenhof mit den Imbissinseln im untersten Stock. Die Picknickzone ist mit Parkettlaminat belegt, darauf stehen Strassenlaternen wie in einem französischen Park. Rolltreppen und -bänder steigen kreuz und quer durch den Raum. Von sämtlichen Werbeflächen lacht uns der Logovogel «Shoppy», ein Paradiesvogel in Grün und Orange, entgegen. Wir schlendern durch die Läden.

Jasmin Reusser, Verkäuferin

Im Lolipop treffen wir Jasmin Reusser, 36 Jahre alt. Sie arbeitet seit letztem Herbst im Süssigkeitenladen, in einem Teilzeitpensum. Es ist zehn Uhr morgens, viel ist nicht los, sie hat Zeit, mit uns zu reden. «Das ist jetzt eine Morgenschicht, da bin ich ab acht da. Wir haben eine Stunde Zeit, um den Laden bereit zu machen.» Alle Plastikbehälter für die Süssigkeiten müssen geputzt, die weichen Süssigkeiten gewendet werden, damit sie nicht hart werden. Nachschub holt Reusser im Lager im unteren Stock. «Dafür reicht die Zeit aber manchmal nicht. Dann müssen wir am Nachmittag den Rest auffüllen, wenn die zweite Schicht beginnt und wir ungefähr eine halbe Stunde lang zu zweit sind.» Abgesehen davon arbeitet sie immer allein. «Wenn es nicht gerade drei Minuten dauert, können wir aber schon weg, um schnell auf die Toilette zu gehen oder eine Kopfwehtablette zu holen.» Ob es sie störe, dass es kein Tageslicht gebe? «Eigentlich nicht», meint Reusser, «es ist ja hell hier.» Dann geht sie mit uns im grellgelb bemalten Laden herum und zeigt uns die verschiedenen Produkte. Es kämen viele Kinder hierher. Aber auch ältere Leute, «die sind dann meistens da hinten, in der Lakritzecke». Süssigkeiten seien ein schönes Produkt, meint Reusser, weil so viele Erinnerungen daran hingen. Einmal sei zum Beispiel ein Tunesier hier gewesen, der habe sich richtig gefreut, als er das Glas mit den Süssholzstangen gesehen habe. «Da hat er gleich einen Videoanruf gestartet und einem Habibi in Tunesien gezeigt: ‹Schau, das haben sie auch hier in der Schweiz.› Das ist doch schön, so was.»

Reusser sagt, sie arbeite gern im Shoppyland. Überhaupt ist sie ziemlich begeistert vom Konzept Shoppingmall, sie komme oft auch in der Freizeit hierher, mit ihrem kleinen Sohn. «Es ist viel praktischer als in der Stadt, ich muss nicht dauernd schauen, ob er auf die Strasse läuft und überfahren wird. Und hier hast du halt alles beisammen.» Auch als Kind war sie schon hier. Und sie sagt, was hier fast alle sagen, die das Shoppyland schon lange kennen: «Früher war es schöner.» Verträumter sei es gewesen, sagt sie, als es zum Beispiel noch den Brunnen in der Mitte gegeben habe. Heute wirke es kälter.

Fikrete Hyseni, Reinigung

Sie steht mit ihrem Wagen vor dem Frauenklo im hinteren Teil des Einkaufszentrums. Es gibt hier ausschliesslich künstliches Licht, und die Unterhaltungsmusik tönt in diesen Randzonen des Shoppylands penetranter als mittendrin. Als wir Fikrete Hyseni nach ihrem Arbeitsalltag fragen, lacht sie uns an. Sie willigt in ein Gespräch ein und nimmt sich Zeit: Montag bis Freitag arbeite sie jeweils von drei Uhr nachmittags bis sieben Uhr abends. Ihre Arbeit besteht darin, alle WCs zu putzen, Klopapier aufzufüllen und den Boden feucht aufzunehmen. «Manchmal ist ein Klo verstopft, dann muss ich das lösen», sagt sie. Sie putzt immer allein. Dabei hat sie einen gelben Wagen mit Putzmitteln und -werkzeugen. Für die Reinigung der Toiletten seien nur Frauen zuständig, berichtet sie, ohne Ausnahme. Wir haben jedoch auch Männer mit Putzwagen beobachtet, wo putzen denn die? «Die machen die Böden auf den Stockwerken.» Die Frauen, die wir im Shoppy treffen, arbeiten meistens vierzig bis sechzig Prozent, die meisten Männer jedoch Vollzeit.

Hyseni fährt fort: «Ich wohne seit einem Jahr in der Schweiz, davor lebte ich im Kosovo.» Sie hat vier Brüder, die schon länger in Deutschland sind, daher hatte sie schon früher einen Bezug zur deutschen Sprache. Sie lacht viel, während sie erzählt. Eigentlich ist sie gelernte Zahnarztgehilfin: «Aber um auf diesem Beruf arbeiten zu können, muss ich zuerst richtig gut Deutsch lernen.»

Überhaupt gebe es kaum noch Angestellte, die über mehrere Jahrzehnte hier arbeiteten. Früher, so hören wir in verschiedenen Gesprächen mit älteren BesucherInnen des Shoppylands, hätten viele Leute hier die Lehre gemacht und seien dann einfach ein Arbeitsleben lang geblieben. Die meisten von ihnen sind inzwischen pensioniert und haben einer neuen Generation Platz gemacht. Hyseni dagegen sieht ihren Aufenthalt im Shoppy nur als Zwischenstation, um Deutsch zu lernen, bei der Arbeit und in der Schule, um später wieder ihren eigentlichen Beruf ausüben zu können. «Hier zu arbeiten, ist viel besser, als zu Hause rumzusitzen», sagt sie. Die 27-Jährige wohnt mit ihrem Ehemann in der Nähe. Hyseni macht einen vergnügten Eindruck: Sie kenne bereits viele Leute im Shoppyland, und: «Viele Leute bedanken sich für meine Arbeit», das freue sie. Tatsächlich kommt auch während unseres Gesprächs eine ältere Dame auf sie zu, um ihre Wertschätzung für die sauberen Toiletten auszudrücken.

Patrick Jaggi, Hausdienst

Der Empfang der Migros Aare, der Besitzerin des Shoppylands, liegt ausserhalb des Einkaufscenters. Dorthin verweist uns der Kundendienst im Center auf unserer Suche nach einem Mitarbeiter des Hausdiensts. Wir überqueren den betonierten Vorplatz und betreten einen gläsernen Anbau. Ein Lift bringt uns hoch. Oben ist die Grundfarbe Weiss, der Grundton ist ruhig – das bunte Gewimmel und die permanente Berieselung von drüben lassen sich von hier aus nur erahnen. An einer ausladenden Theke empfängt uns eine junge Frau mit nettem Lächeln. Sie vermittelt uns einen Angestellten der Betriebszentrale zum Gespräch. Wir setzen uns in die graue, lange Lounge und warten. Geschäftige Menschen in Anzügen und Deuxpièces ziehen an uns vorbei, Absätze klacken auf dem Boden. Der Unterschied dieser ruhigen Strenge zum geschäftigen, nur wenige Schritte entfernten Shoppyland könnte grösser nicht sein. Hier laufen die Fäden zusammen.

Einige Augenblicke später kommt Patrick Jaggi in schmutziger Arbeitskleidung auf uns zu. Der 38-Jährige ist mittelgross, seine Haltung etwas gebückt. Er setzt sich und beginnt gleich, mit leiser Stimme gleich zu erzählen: «Ich arbeite seit fünfzehn Jahren hier.» Jaggi ist Angestellter des Hausdiensts in der Betriebszentrale. In dieser Zentrale neben dem Shoppyland gibt es eine «Frische- und Logistikplattform» sowie einen «Industriebetrieb der Migros-Gruppe für Fleischverarbeitung», wie die Mediendienststelle auf Anfrage verlauten lässt. Täglich gibt es bis zu 300 Lkw-Fahrten von hier aus, mit denen die Filialen im Wirtschaftsraum Bern, Solothurn und Aargau beliefert werden – darunter auch die Migros im Shoppyland.

Jaggis tägliche Arbeit besteht darin, mit einer «Scheuersaugmaschine» durch die Logistikhallen der Betriebszentrale zu fahren und den Boden zu putzen. Regelmässig flickt er diese Maschinen, wenn etwa der Motor den Geist aufgibt. Mehrmals täglich putzt er die Klos auf allen Stockwerken der Betriebszentrale. Hinzu kommen die ungeplanten Zwischenfälle, in denen der Hausdienst als «absoluter Allrounder» fungiere: Geht zum Beispiel ein Gabelstapler kaputt, muss er das ausgelaufene Öl binden und vom Boden aufnehmen. Selten hatte Jaggi auch schon Einsätze in den Logistikhallen des Shoppylands, aber: «Das passiert eigentlich nur an Sonntagen.» Ein Arbeitstag dauert achteinhalb Stunden, hinzu kommt eine Stunde Pause. Jaggi arbeitet immer allein. Aber seine Kollegen und er seien die am besten Vernetzten im Haus: «Ich kenne jedes Zimmerli und alle Mitarbeitenden.» Der Hausdienst sei wie ein Filter für die Stimmung in der Zentrale: «Wenn etwas schiefläuft und die Leute schlecht gelaunt sind, kriegen wir das als Erste ab.»

Vor seiner Anstellung bei der Migros Aare arbeitete der gelernte Maler vor allem auf dem Bau. Physisch sei es weniger anstrengend hier, psychisch auch: «Der Umgang untereinander ist respektvoller als überall, wo ich bisher gearbeitet habe.» Er wirkt etwas müde, gleichzeitig aber auch sehr dankbar. Er wohnt in der Umgebung und kommt bei jeder Witterung mit dem Velo. Weil der Kanton Bern für Anlagen, die viel Verkehr verursachen, ein Fahrtenkontingent vorschreibt, verbietet die Migros die Anreise per Auto ab einer zu nahen Wohndistanz. Bei der Frage nach dem Lohn sagt er schulterzuckend: «Der ist tiefer als bei meinen früheren Anstellungen.» Aber es sei für ihn okay, weniger zu verdienen, wenn es ihm dafür besser gehe.

Schweigen im Kinderparadies

Am Freitagmorgen stehen wir schon um zehn vor neun vor dem Shoppyland, zusammen mit einigen anderen, die auf die Türöffnung warten. Um fünf vor neun schiebt sich eine ältere Dame mit ihrem Migros-Wägeli frontal vor die Eingangstür. Es kann losgehen. Um Punkt neun Uhr erschallt im ganzen Haus eine Durchsage: «Guten Morgen allerseits, wir wünschen Ihnen einen wunderschönen Tag im Shoppyland.» Das hier ist eine Welt für sich.

Es ist schon seltsam: Wir waren mit der Erwartung gekommen, zwei eher deprimierende Tage in künstlich beleuchteter Dauerberieselung mit Konsumversprechen zu verbringen. Doch jetzt, vor dem zweiten Besuch, gestehen wir uns ein: Wir haben uns beide gefreut wiederzukommen. Und wie es scheint, ist das Shoppyland auch für viele andere Leute ein Ort, wo sie gerne hingehen: nicht nur zum Einkaufen, sondern auch einfach so. Wie etwa die Gruppe von Jungs, die sich regelmässig hier trifft, um in den Läden und den verschiedenen Winkeln und Nischen auf mehreren Stockwerken Verstecken zu spielen. Oder der Grossvater mit Enkelkind, der sagt, er sei hier zum Zeitvertreib während des Hütens.

Wir nehmen uns vor, heute mit einer Angestellten im Kinderparadies zu sprechen. Eine Stunde Kinderbetreuung kostet im Shoppyland drei Franken, maximal drei Stunden dürfen die Kinder dort bleiben. Als wir ankommen, ist schon eines da. Dazu gerade mal eine Angestellte, die für Empfang und Betreuung gleichzeitig zuständig ist. Wir sollen später noch einmal vorbeikommen, sagt sie. Am Nachmittag wird uns dann im bis auf den letzten Platz vollen Kinderparadies eine Absage erteilt werden: Die Chefin habe es den Kinderbetreuerinnen untersagt, mit den Medien zu sprechen. Auch ein Angestellter der Securitas, den wir ansprechen, reagiert bedauernd: Er dürfe nichts über seine Arbeit berichten.

Die drei «Shoppyfrauen»

Nachdem wir im Kinderparadies vertröstet worden sind, gehen wir einen Kaffee trinken. Einige Schritte weiter im Migros-Restaurant. Am Geländer reihen sich die Einkaufswagen der Gäste aneinander, das Restaurant ist ziemlich gut besucht. Wir fragen drei ältere Damen, ob wir uns zu ihnen setzen dürften.

«Seit hundert Jahren» ist ihre Antwort auf die Frage, wie lange sie schon ins Shoppyland kommen. Die «Shoppyfrauen», wie sie auch in der Zeitung genannt werden wollen – «wir haben sogar einen Gruppenchat, der so heisst» –, haben sich hier im Einkaufszentrum kennengelernt. Die drei wirken ganz verschieden, aber man merkt ihnen sofort an, dass sie sich schon lange kennen. Zwei von ihnen kamen regelmässig zum Einkaufen hierher, die dritte hatte während fünfzehn Jahren in der Filiale des Kaufhauses Loeb gearbeitet, die es bis zum Umbau von 2006 bis 2010 im Shoppyland noch gab. «Ich bin da so reingerutscht, über den Weihnachtsverkauf», sagt sie. Seit vielen Jahren treffen sie sich nun hier im Migros-Restaurant zum Kaffee, jeden Freitagmorgen. «Es hat sich schon viel verändert», sagen sie, heimeliger sei es früher gewesen. Und auch das Angebot habe sich gewandelt: «Heute hat es viele Läden für junge Leute, weniger für uns.» Und dass es jetzt im unteren Stock eine Globus-Filiale gibt, verstehen sie überhaupt nicht: «Da ist nie jemand drin. Viel zu teuer und zu chic für die Leute, die hier einkaufen, Leute vom Mittelstand wie wir.» Der Globus ist tatsächlich jedes Mal, wenn wir daran vorbeigehen, fast leer.

Ob sie auch in der Stadt Bern einkaufen gehen oder im Westside, der 2008 eröffneten Mall im Westen Berns, die von Stararchitekt Daniel Libeskind entworfen wurde und ebenfalls der Migros gehört? «Selten», meinen sie, aber die eine im dunklen Blazer und mit buntem Foulard ergänzt: «Gerade gestern war ich im Westside. Aber es ist so unübersichtlich dort. Die Wege sind so weit, dass es müde macht. Hier ist es gemütlicher.» Dass das Shoppyland gemütlich ist, scheint den Frauen wichtig zu sein, ebenso der Charakter eines Treffpunkts: Klar, später gehen sie noch einkaufen, aber der Kaffee und der Schwatz zuvor sind genauso zentraler Teil des Rituals. Während des Gesprächs winken sie immer mal wieder fröhlich Leuten zu. Die «Shoppyfrauen» meinen beim Gehen, wir sollten doch einfach noch etwas sitzen bleiben: Am Mittag kämen andere Leute hierher, nachmittags noch einmal neue – das Publikum ändere sich ständig. Dann stellen sie ihre Handtaschen in ihre Wägelchen. Vom Rollband aus winken sie uns nochmals zu.

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