Rettung der Flugindustrie: Kein Platz für Klimapolitik

Nr. 19 –

Viele Flugzeuge der Swiss werden aller Voraussicht nach noch länger am Boden bleiben. Statt über eine Schrumpfung nachzudenken, lässt sich der private Konzern vom Staat finanzieren. Die Mehrheit im Parlament stimmt kritiklos zu.

Eigentlich eine Chance für neue Verkehrsroutinen: Stillgelegte Swiss-Maschinen in Dübendorf.

Es regnet in Strömen, als der Nationalrat am Dienstagmorgen die Debatte über die Änderung des Luftfahrtgesetzes aufnimmt. Der Platz vor den Messehallen der Bernexpo ist leer. Die Klimajugend hat ihren angekündigten Protest wegen des schlechten Wetters auf den Nachmittag verschoben.

Drinnen steht die grüne Politikerin Marionna Schlatter am Rednerpult und appelliert an ihre RatskollegInnen, die Krise der nationalen Fluggesellschaft als klimapolitische Chance zu betrachten. Doch Rot-Grün wird auch an diesem Sondersessionstag mit allen Anträgen scheitern, die die Rettung der Fluggesellschaften Swiss und Edelweiss sowie der flugnahen Betriebe an klimapolitische Auflagen geknüpft hätten. Das Parlament wird stattdessen dem Bundesrat folgen und nicht nur das Gesetz nach dessen Willen anpassen, sondern die 1,9 Milliarden Franken an Bürgschaften für die Schweizer Luftfahrt ohne klimapolitische Auflagen sprechen. Es ist eine Mehrheit aus CVP, FDP und SVP, die sich durchsetzt – und damit ein klares Signal sendet.

Warm und trocken lagern

Die Coronakrise hat die Luftfahrt weltweit ins Elend gestürzt. Der Tourismus ist praktisch zum Erliegen gekommen, die Grenzen sind zu. Die Luftfahrtbehörde der Vereinten Nationen rechnet für das laufende Jahr mit einem Einbruch des Flugverkehrs um zwei Drittel. Auch die Flotte der Swiss, die aus 29 Flugzeugen für Langstrecken und 55 für Mittel- und Kurzstrecken besteht, ist derzeit zu über neunzig Prozent stillgelegt. Die Fluggesellschaft fliegt bereits Flugzeuge nach Amman in Jordanien, um sie dort warm und trocken zu lagern. Der Flugstopp wird seinen Teil dazu beitragen, dass 2020 der weltweite CO2-Ausstoss um prognostizierte acht Prozent zurückgehen wird. Freilich aber löst das Virus die Klimakrise nicht. Die Luftfahrtindustrie wird dank der staatlichen Gelder alles daransetzen, möglichst schnell wieder möglichst viele Flugzeuge in die Luft zu bekommen.

Dabei wäre diese Krise doch gerade eine Chance, aus der bisherigen Routine auszubrechen, wie der Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes sagt, der an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften forscht: «Die Coronakrise hat das physische Präsenzdogma gebrochen und Verkehrsroutinen gebrochen, die sonst extrem stabil sind.» Diese Ausnahmesituation müsse man nutzen, «um erträglichere Reiseoptionen ins Blickfeld zu rücken». Für die Reduktion des Flugverkehrs brauche es sowohl Pull- als auch Push-Massnahmen, sagt Sauter-Servaes. Er plädiert in allererster Linie für höhere Flugticketpreise, die die Umweltkosten inkludierten. «Heute fliegen wir für einen Apfel und ein Ei, das kann nicht sein.» Gleichzeitig müsse man aber das Alternativangebot verbessern, sagt er. Heisst: das Nachtzugnetz ausbauen «und die Swiss zu einer stärkeren Zusammenarbeit mit der SBB verpflichten, etwa über gemeinsame Buchungsplattformen».

Doch genau solche klimapolitischen Forderungen hat das Parlament abgelehnt. Keine Rede von Schrumpfung. Dabei ist absehbar, dass es in nächster Zeit kein Zurück zum Reiseverhalten vor der Coronakrise gibt. Der Bund hat die Swiss zwar nicht nur zu einem Verbot von Dividendenausschüttungen, sondern auch zu signifikanten Kostensenkungen verpflichtet – ohne jedoch vorzugeben, wie diese umzusetzen sind. Die Swiss schreibt dazu auf Anfrage, man habe bereits im März zahlreiche Kostensparmassnahmen eingeleitet, etwa durch die Einführung von Kurzarbeit, die Verhängung eines Einstellungsstopps, die Verschiebung der Auszahlung von Lohnbestandteilen, einem anteiligen Lohnverzicht des Kaders sowie der Einstellung von nicht betriebsnotwendigen Projekten. Auf die Frage, wie hoch der Lohnverzicht des Kaders sei, gibt die Swiss keine Antwort.

Offen bleibt auch die Frage, weshalb sich die Swiss nicht Geld von privater Seite – also den AktionärInnen – beschafft. Schliesslich haben diese via Muttergesellschaft Lufthansa in den letzten Jahren hohe Dividenden eingestrichen. Doch offenbar ist den Privaten das Fluggeschäft momentan zu unsicher. Gut daher, dass es Staaten gibt. Dabei ist klar: Nimmt die Swiss keine Redimensionierung vor, kommt sie das teuer zu stehen. Allein die Wartung der Flugzeuge beziffert die Fluggesellschaft auf Anfrage auf sieben Prozent des Gesamtaufwands, «die dafür nötigen tausend Vollzeitstellen nicht mit einberechnet».

Andere Länder wollen immerhin mehr Mitspracherecht: Während Bern sich mit dem Management der Swiss schnell einigte, sind in Deutschland die Verhandlungen für den Mutterkonzern Lufthansa zäher. Eine Finanzhilfe über neun Milliarden Euro der deutschen Regierung ist nach wie vor in der Schwebe. Die Deutschen verlangen nicht nur einen hohen Kreditzins, sie wollen auch ein Vetorecht und Sitze im Aufsichtsrat. Lufthansa-Chef Carsten Spohr lehnt dies ab und droht im Gegenzug mit einem Insolvenzverfahren. Damit könnte sich der Konzern eines Teils seiner Schulden und Pensionslasten entledigen. Sollten die Verhandlungen scheitern, würde auch die Schweizer Lösung hinfällig. Philipp Rohr, Sprecher der eidgenössischen Finanzverwaltung, schreibt auf Anfrage: «Eine Insolvenz der Lufthansa wäre ein Kündigungsgrund für bereits eingegangene Verträge.» Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz verlangt Mitsprache im Mutterkonzern, sollte Austrian Airlines Kredite über 760 Millionen Euro bekommen.

Die europäische Luftfahrtindustrie, in den letzten Jahrzehnten Schritt für Schritt privatisiert, wird also tendenziell wieder staatlicher. Sie wird aber trotz staatlicher Klimaziele damit nicht unbedingt grüner. Selbst die Auflagen in Frankreich sind weniger strikt, als es auf den ersten Blick scheint: So musste die Air France im Gegenzug für sieben Milliarden Euro Kredite und Bürgschaften zwar einige klimapolitische Versprechen abgeben. Der Konzern sagte zu, seine Flotte auf emissionsärmere Flugzeuge umzustellen. Den grössten Klimaeffekt soll eine Reduktion der Inlandflüge um die Hälfte bis 2024 bringen. Allerdings: Hält Air France seine Versprechungen nicht ein, gibt es keine Sanktionen.

Auch die EU hält sich zurück. Weil die Europäische Kommission die Finanzspritzen genehmigen muss, hätte sie eigentlich einen starken Hebel in der Hand, die klimaschädliche Branche zu einem Wandel zu bewegen. Dass daran jedoch kein Interesse besteht, verdeutlichte unlängst Verkehrskommissarin Adina Valean, als sie entsprechende Forderungen aus dem EU-Parlament ablehnte. Die Klimadiskussion solle nach der Krise geführt werden, nun gehe es darum, «die Unternehmen am Leben zu halten». Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager lobte zwar die klimapolitischen Auflagen an Air France, bewertete sie aber auch als «nicht notwendig».

Unnötige Eile

Die Schweiz ist also mit ihrer fast bedingungslosen Unterstützung der Flugindustrie nicht alleine. Das Ärgerliche an der Sache, sagt Marionna Schlatter nach der Nationalratsdebatte vom Dienstag, sei dieses Gefühl, dass nie der richtige Ort und die richtige Zeit für Klimapolitik sei. Die Bürgerlichen würden mit der wirtschaftlichen Dringlichkeit argumentieren und auf die CO2-Revision verweisen, «wo sie dann wieder alle Fortschritte verhindern werden».

Schlatter kritisiert auch das dringliche Verfahren, mit dem die Rettung durchgepeitscht wurde. «In drei Wochen ist Sommersession, man hätte bis dahin warten können.» Stattdessen verwies der Bundesrat während der Debatte mehrmals darauf hin, dass er die Rettung auch per Notrecht hätte durchsetzen können – und verstärkte damit den Eindruck, dass es sich bei der Flugverkehrsdebatte mehr um eine Alibiübung als um eine echte Auseinandersetzung handelte. Abgelehnt hat die Parlamentsrechte etwa Anträge für ein Verbot von gewerbsmässigen Inlandflügen, für die Verpflichtung, CO2-ärmere Flugzeuge anzuschaffen, zusätzliche Sozialauflagen oder Hürden für den Ausbau von Flughäfen. Lediglich zur schwammigen Formulierung, «dass in der zukünftigen Zusammenarbeit die Klimaziele des Bundesrats kontrolliert und weiterentwickelt werden», konnte sie sich durchringen. Die Swiss muss zudem im Falle eines Personalabbaus «sozial verträgliche Lösungen mit Sozialpartnern suchen».

Die Klimajugend demonstrierte am Dienstagnachmittag dann doch noch: Zehn Klimajugendliche mit Schutzmasken und unter Einhaltung des Physical Distancing verteilten tausend Schilder auf dem Platz. Es dauerte nicht lange, bis die Polizei die Kundgebung unter Androhung von Bussen auflöste.