Angewandte Zensur: Die Biegsamkeit des Advokaten

Nr. 24 –

Als Anwalt hat Christian Lüscher verhindert, dass über einen mächtigen indonesischen Palmölbaron mit hohen Steuerschulden in Genf berichtet wird. Als Nationalrat kämpfte er gleichzeitig für ein Freihandelsabkommen mit Indonesien.

Hat eine superprovisorische Verfügung erwirkt, um eine Drohkulisse gegen eine ­Rechercheplattform aufzubauen: Christian Lüscher. Foto: Jean-Christophe Bott, Keystone

Der Mann schuldet dem Kanton Genf 139 Millionen Franken Steuern. Er brüstet sich damit, in Indonesien Ländereien von der Grösse Belgiens zu besitzen, sein Clan ist einer der mächtigsten des Landes, sein Bruder Prabowo Subianto – ein berüchtigter Exgeneral – amtierender Verteidigungsminister des Inselstaats (siehe WOZ Nr. 3/2021 ). Die Rede ist von Hashim Djojohadikusumo – ein Name, den die Öffentlichkeit gar nicht erfahren darf, wenn es nach Anwalt und FDP-Nationalrat Christian Lüscher geht.

Es ist der 4. März dieses Jahres. In drei Tagen wird die Stimmbevölkerung über den Freihandelsvertrag mit Indonesien abstimmen. Umfragen zeigen: Es wird knapp. Beim Westschweizer Investigativportal «Gotham City» trifft eine superprovisorische Verfügung eines Waadtländer Gerichts ein. Per sofort ist es den JournalistInnen unter Androhung von Bussen untersagt, Hashim Djojohadikusumo und seine Ehefrau Anie, die dick im indonesischen Palmölgeschäft drinstecken, in Artikeln zu erwähnen.

Das Portal hat bereits im Februar über das in Indonesien sehr prominente Paar berichtet, nachgezeichnet, wie es sich Ende der neunziger Jahre nach dem Sturz des Diktators Suharto ins Genfer Exil begab, dort weiter seinen Geschäften nachging, mehrere Firmen gründete und 2006 unter dem Eindruck von Steuerverfahren die Schweiz wieder verliess. Bis vor Bundesgericht liess das Paar Anwälte behaupten, es sei verschuldet, seine Firmen insolvent. Sogar unentgeltliche Prozessführung hat es erfolglos beantragt. In Indonesien kokettiert Hashim, wie er dort kurz genannt wird, derweil weiter öffentlich mit seinem Reichtum, «Forbes» schätzt sein Vermögen aus Geschäften in den Bereichen «Palmöl, Zellstoff, Bergbau und Logistik» auf 685 Millionen US-Dollar.

Behauptete Fantasie

Die superprovisorische Verfügung gegen «Gotham City» beantragt hat der Genfer Anwalt Christian Lüscher. In seiner Funktion als FDP-Nationalrat war er Mitglied des Komitees für das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Lüscher argumentierte in seiner erfolgreichen Eingabe unter anderem, «Gotham City» wolle im Rahmen der bevorstehenden Volksabstimmung eine «fantasierte Verbindung» zwischen der steuerlichen Situation des Paares und den wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz mit Indonesien «erfinden».

Kann Christian Lüscher gleichzeitig die Interessen der Bevölkerung, die er politisch repräsentiert, und die Interessen seiner indonesischen KlientInnen vertreten? Er hat diese und weitere Fragen bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.

«Ich halte das für eine extrem problematische Vermischung, wenn man als gewählter Gesetzgeber die Judikative einspannt», sagt derweil Aline Trede, Fraktionspräsidentin der Grünen, die als einzige grössere Partei engagiert gegen den Freihandelsvertrag gekämpft hatten. Trede kritisiert, dass es keine Instanz gibt, die ethisch zweifelhaftes Gebaren von ParlamentarierInnen beurteilen und diesbezüglich Transparenz schaffen könnte. «Entsprechende Vorstösse aus unseren Reihen wurden – wen wunderts? – von rechts abgeschmettert.»

Spiel auf Zeit

Inzwischen hat sich das Waadtländer Gericht inhaltlich näher mit dem Fall Djojohadikusumo befasst. Und siehe da: Letzte Woche hob es seine superprovisorische Massnahme auf. Es hielt fest, dass gerade im Abstimmungskampf aufgrund des öffentlichen Interesses ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Paares gerechtfertigt gewesen sei. Das öffentliche Interesse macht der Richter an den hohen Steuerschulden in der Schweiz fest und an möglichem politischem Einfluss des Paares in Indonesien sowie an dessen beträchtlichen Investitionen in Palmölplantagen.

«Wir haben vollumfänglich recht erhalten», sagt François Pilet von «Gotham City», «aber wir haben verloren, weil wir drei Monate auf diesen Entscheid warten mussten – der Freihandelsvertrag, der das öffentliche Interesse ja mitbegründete, ist längst vom Volk angenommen.»

Regula Bähler, auf Medienrecht spezialisierte Anwältin, die auch die WOZ vertritt, kennt das Problem: «So etwas passiert immer wieder.» Dem Gericht macht sie keinen Vorwurf, drei Monate bis zur inhaltlichen Beurteilung lägen im guten Durchschnitt. «Häufig muss man jahrelang prozessieren, gewinnt am Ende – und hat trotzdem nichts davon, weil sich niemand mehr für die Sache interessiert.» Bähler stellt fest, dass insbesondere grosse Unternehmen in letzter Zeit auf eine Taktik des «Litigation Management» setzten: Drohkulissen aufbauen, auf Zeit spielen.

Statt die Hürden im Sinne der Medienfreiheit zu erhöhen, ist das Parlament aber gerade drauf und dran, das Gegenteil zu tun. Diesen Mittwoch nahm der Ständerat einen Antrag an, den Lüschers Parteikollege Thomas Hefti eingebracht hatte: Für superprovisorische Verfügungen gegen Medien sollen die AntragstellerInnen künftig keinen «besonders schweren Nachteil» mehr glaubhaft machen müssen, sondern lediglich einen «schweren Nachteil» (siehe WOZ Nr. 20/2021 ). Als Nächstes kommt die Gesetzesänderung in die nationalrätliche Rechtskommission. Und wer ist Mitglied dieser Kommission? Anwalt Christian Lüscher natürlich.