Bernhard Luginbühl: Und dann das grosse Feuer

Nr. 25 –

Den Berner Bernhard Luginbühl kannte früher jedes Kind: Legendär sind seine Verbrennungsaktionen, berüchtigt die tonnenschweren Eisenplastiken. Joana Schertenleib, Leiterin des Skulpturenparks in Mötschwil, ist selber mit der Künstlerfamilie Luginbühl aufgewachsen – und will das Werk wieder näher zu den Leuten bringen.

Die Hüterin des Parks: Joana Schertenleib mit Jwan Luginbühl vor Bernhard Luginbühls Skulpturen «Seehund» (links) und «Megalotor».

Ein ganzer Kuhkopf, der halbe einer Sau, diverse Würste, Tintenfisch und Lachs, in Petersilie, Ahorn- und allerlei sonstige Blätter gebettet, Mohn- und Sesambrötchen und gefüllte Kürbisse, einige Flaschen Rotwein, ein ungehäuteter Chüngel, ausgestreckt über dem Bankett – und darin die Luginbühls, Ursi und Bernhard aus Mötschwil, wie sie zum Fest geladen haben bei besonderen Anlässen, etwa 1985 zur Einweihung des neuen Ateliers. Ein Fund im Nachlass, ein Bild aus einer anderen Zeit.

«Es ist wichtig, alle Leute zu grüssen», sagt Joana Schertenleib auf dem Feldweg. Wir gehen zu Fuss von Hindelbank nach Mötschwil, Schertenleib hebt hie und da die Hand. Sie kennt inzwischen auch jede der dicken Hofkatzen, die in der Gegend herumstreichen. Das Bauerndorf am Rand des Emmentals: etwa 120 BewohnerInnen wie schon vor 250 Jahren, früher gab es ein Puff und eine Wirtschaft. Seit 1965 wachsen hier wunderliche Flora und Skulpturen aus Eisen in den Himmel, im Dorf erstaunt das längst niemanden mehr. Aber schon in Hindelbank hinter dem Wald, mit dessen Gemeinde das Dorf Anfang dieses Jahres administrativ verschmolzen ist, wissen die meisten nichts von diesem einzigartigen Fleck auf der Karte der Schweizer Kunstgeschichte. Es ist recht still geworden um das Grundstück des vor zehn Jahren verstorbenen Eisenplastikers Bernhard Luginbühl.

Eine nervöse Intelligenz

Luginbühl, dem die Langeweile stets der grösste Graus war, der Stadtberner aus der Lorraine, der sich als Emmentaler verstand, aber nicht metzgen wollte wie sein Vater, der Eisen und Schrott zu Kunst verbaute, kolossale Holzplastiken feierlich anzündete und hier in Mötschwil, in ständiger Begleitung seiner Familie und einer Handvoll Gehilfen, sein Lebenswerk auftürmte. Der wenig schlief und immer schraubte, schweisste, schrieb und zeichnete und meistens alles gleichzeitig, als wohnte auch in seinem Kopf so eine lärmige Maschine, rollten immer Kugeln, flösse immer Strom, die Mechanik der Gedanken auf Trab zu halten. Seine Plastiken und kinetischen Installationen gingen mit ihm noch zu Lebzeiten um die Welt – ein Gutteil davon ist hier zur Ruhe gekommen und rostet friedlich in die Zeit hinaus. «Nichts ist für ewig», das hat er gerne gesagt, «beim Eisen dauerts halt ein bisschen länger.»

Joana Schertenleibb, 28, öffnet mit dem Schlüssel das grosse Eisentor. Daran zu arbeiten, dass der alte Luginbühl nicht in Vergessenheit gerät, ist seit diesem Jahr ihr Beruf. Sie führt durch den Skulpturenpark – gewissermassen die Antithese zu einem Museum: Hier wächst Moos auf einigen Exponaten, benachbart ein japanischer Bambuswald die Skulptur «Helvetia» und überragen Mammutbäume aus Kanada selbst das schwerste Monument. Alles Erdachte in diesem Garten ist den Naturen ausgesetzt und in anarchischer Ordnung ineinandergewendet. Schertenleib kennt die Wege: «Das ist alles so, wie es Bärnu gewollt hat. Jedes Kunstwerk und jedes Pflänzlein an seinem Platz.»

Die Führung beginnt beim «Grossen Frosch» von 1996, den sie elektrisch in Bewegung setzt. Das Wesen verfällt in ein kreisendes Ostinato, die Eisenzunge im Schlund aus Schaufeln spielt lustig vor und zurück. «Der Witz, das Hintersinnige und Verspielte, das geht oft vergessen bei all den mitunter brachial anmutenden Plastiken, die er erfunden hat», sagt sie. Zu verhindern, dass die Ambivalenzen im Mythos Luginbühl übergangen werden, zu zeigen, dass dem bockigen «Chrampfi» und schwergewichtigen Patriarchen auch ein hypersensibler Geist, eine Art «nervöse Intelligenz» und verspielte Intellektualität eigen waren – das ist ihr wichtig.

Künstlerischer Bauernhof

Die Wärterin des Parks spricht mit einem gewissen Recht fast ausschliesslich vom «Bärnu» oder «Bärni», nicht in einem folkloristischen Sinn, auch vom «Jwänu», dem jüngsten Sohn, selber Eisenplastiker und Verwalter dieses ungeheuren Nachlasses, durch den wir jetzt streifen. Mit der Familie Luginbühl ist Joana Schertenleib seit ihrer Kindheit vertraut: Geboren ist sie im seeländischen Saurenhorn, in Nachbarschaft zu einem Kleinbauernhaus aus dem 19. Jahrhundert, in dessen weitläufigem Garten Jwan Luginbühls Eisenkunst, in der Art des Vaters, aber mit eigener Handschrift, aus der Werkstatt hinauswucherte. Als die einzigen «Hippies» weit und breit knüpften die Familien eine Freundschaft. Wenn der alte Luginbühl einmal über seine Kindheit im Schlachthaus schrieb, «meine Spielkameraden waren Kälber, meine Fussbälle Schweineblasen, meine Marmeln Kuhaugen», kann man sich Joana Schertenleib als Kind gut vorstellen, wie ihr die rostigen Kunstgärten der Luginbühls zum Spielplatz wurden und die Impfung gegen den Starrkrampf eine bald nötige Investition.

«Ich möchte neue Zugänge zum Werk eröffnen. Der älteren Generation, die mit Luginbühls populären Festen, seinen Ausstellungen und Verbrennungen aufgewachsen ist, folgt eine jüngere mit eigenen Fragen und weniger direktem Bezug.» Anschlüsse gebe es viele. Dass der alte Luginbühl schon früh mit seinen Söhnen Basil, Brutus und Jwan zusammenarbeitete und dabei Gemeinschaftswerke entstanden, «das ist eigentlich Mehrautorenschaft, ein durchaus avantgardistisches Konzept, das hier selbstverständlich aus der Logik eines künstlerischen Bauernhofs entstanden ist, wo alle mitarbeiten mussten». Schertenleib zeigt auf den «Xart-Trax», ein gemeinschaftlich zum Kunstwerk umgebautes Raupenfahrzeug. Auch Luginbühls frühe Bemühungen für den Heimatschutz und sein Zugang zu Tradition und Folklore, zu einem strengen und doch kosmopolitisch-pluralistischen Heimatbegriff, nicht zuletzt die antielitäre Stossrichtung seiner Kunst, ihre Niederschwelligkeit: «Luginbühl lässt sich nicht vereinnahmen», das mache ihn heute nur interessanter.

Jwan Luginbühl schaut um die Ecke, wir sitzen am Tisch vor dem Atelier im Park. «Kannst du den noch einwerfen? Für die Kunsthalle in Hamburg.» Schertenleib drückt ihm einen Brief in die Hand. Die dicke Tigerkatze sei auch wieder rumgeschlichen, meint der Eisenplastiker, Jahrgang 1963, lächelt unter seinem Schnauz hervor, steckt den Brief ein, dann muss er los. «Ich bin froh, dass mir Jwan noch zur Hand geht, bevor er mir die Geschäftsleitung des Parks ganz übergibt. Dann mach ich das alleine, ein Gärtner hilft noch etwas mit», sagt sie, die sich nicht als Kuratorin positionieren möchte.

Klar darf gejodelt werden!

Die gelernte Schneiderin studierte zuerst Freie Kunst, dann Kulturpublizistik und nebenbei immer auch den Luginbühl. «Ich muss mich hier in Mötschwil nicht selber verwirklichen, ich möchte einen Dienst an Bärnus Werk leisten. Sicherstellen, dass das Wissen nicht verloren geht.» Ursi Luginbühl ist 2017 verstorben, das Ehepaar ruht im dafür eingerichteten Mausoleum, zwanzig Meter weiter, am Ende der Führung. «Auch Ursis Kunsttöpfereien sollten mehr Aufmerksamkeit bekommen. Und Bärnis zeichnerisches Werk, die grafischen Tagebücher und die Komplettierung des Werkkatalogs … es gibt noch viel zu tun.» Aber das seien die Herausforderungen der «Zukunfts-Joana», sagt sie bestimmt: eins nach dem andern.

Und die Joana Schertenleib der Gegenwart? Die möchte den Park wieder regelmässig öffentlich zugänglich machen, den anarchischen Geist des Geländes erhalten und doch etwas professionellere Strukturen aufbauen. «Am 1. August entzünden wir ein grosses Feuer. Damit habe ich kein Problem, das gehört zur Tradition hier im Park. Vielleicht lade ich sogar einmal den Jodelchor aus dem Nachbardorf ein. Aber ganz so viel Fleisch wirds nicht mehr geben, das kann man heute wirklich nicht mehr bringen.»

Skulpturenpark der Bernhard Luginbühl Stiftung, Mötschwil bei Hindelbank: Offen am 4. Juli 2021 mit Konzerten von Leoni Leoni und Luzius Schuler, am 1. August 2021 zu Feuer und Wurst und am 5. September 2021 mit Konzert von Louis Jucker. Jeweils 11 bis 20 Uhr. Von April bis Oktober Besuch für Gruppen ab zehn Personen nach Absprache möglich. www.luginbuehlstiftung.ch