BürgerInnenrat: Uster lässt seine BewohnerInnen zu Wort kommen

Nr. 37 –

Ob das «Bürgerpanel» der Zürcher Stadt den Klimaschutz revolutionieren wird, ist fraglich. Zumindest für die Beteiligten ist das Experiment schon ein Erfolg.

Daumen hoch bedeutet Zustimmung, eine Wackelbewegung mit der geöffneten Hand ist das Zeichen für Bedenken, die ausgestreckte Hand ein Einwand. Samstagmittag im zürcherischen Uster, der BürgerInnenrat tagt zum ersten Mal. Der Versuch: den Klimaschutz neu auszuhandeln.

Nachdem die Moderatorin die Bedeutung der Handzeichen erklärt hat, zählt sie auf drei. Abgestimmt wird darüber, welche Handlungsfelder in den Abschlussbericht gehören. Achtzehn der zwanzig TeilnehmerInnen des Panels strecken den Daumen hoch, zwei wackeln mit den Händen. Wer Bedenken trägt, darf jetzt reden. Jorina Hubler hat Bedenken: Ob es nicht schlauer sei, die Themen Industrie und Abfall zu trennen, fragt sie. Ein Detail nur, aber in Uster fällt keine Wortmeldung unter den Tisch.

Chance, aktiv zu werden

«Der Klimawandel interessiert mich schon lange», sagt Hubler, achtzehn Jahre alt und Schülerin, in der Pause. Sie spreche mit ihren FreundInnen oft darüber, und als sie von der Stadt Uster die Nachricht erhalten habe, für die Teilnahme am demokratischen Experiment ausgelost worden zu sein, habe sie gedacht, das sei ihre Chance, aktiv zu werden. Hubler ist eine von zwanzig TeilnehmerInnen des Ustermer «Bürgerpanels für mehr Klimaschutz», das so ausgelost wurde, dass es in seiner Zusammensetzung die 35 000 EinwohnerInnen hinsichtlich Kategorien wie Alter, Geschlecht, Bildungsgrad oder politische Ausrichtung möglichst genau abbilden soll.

Die PanelteilnehmerInnen hatten den Auftrag, an zwei Wochenenden Massnahmen zu erarbeiten, mit denen in der Stadt das Klima geschont, bewusster konsumiert und weniger Abfall produziert werden kann. Die Ergebnisse der Diskussion werden in Form eines Briefs an alle EinwohnerInnen verschickt. Es ist das erste Mal, dass in der Deutschschweiz eine per Los bestimmte Gruppe von BürgerInnen mit öffentlichem Auftrag Lösungen für ein politisches Problem sucht (siehe WOZ Nr. 28/2021 ).

Vertrauen in den Zufall

Dass sich das Bürgerpanel Uster ausgerechnet mit Klimafragen beschäftigt, ist kein Zufall. Vorbilder wie der BürgerInnenkonvent für das Klima in Frankreich entstammen auch diesem Kontext. Die Politik erhofft sich davon, die Partizipation breiter Bevölkerungsteile zu fördern und mehrheitsfähige Lösungen für festgefahrene Probleme zu finden. Der Grundgedanke ist: Einer durch das Los bestimmten Gruppe von BürgerInnen würde die breite Bevölkerung mehr Vertrauen entgegenbringen als etablierten Parteien und Verbänden.

Auch die PanelteilnehmerInnen in Uster bringen eine grosse Portion Misstrauen gegenüber institutioneller Politik mit. «Ich finde politische Fragen schon spannend, aber die Prozesse und insbesondere Parteipolitik finde ich eher anstrengend», sagt zum Beispiel der 42-jährige Andreas Geldon, der als Business Analyst für eine Bank arbeitet. Und auch Viola Klink war vor ihrem Einsitz im BürgerInnenrat dieser Meinung: «Ich dachte immer, Politiker streiten sich und machen sich gegenseitig fertig.»

Die Steuerberaterin wohnt in Uster, ist aber nicht Schweizer Bürgerin, weshalb sie weder abstimmen noch wählen darf. Von der Mitarbeit im Panel ist sie begeistert, sie meldet sich fleissig zu Wort. Und sie hat ihre Meinung über die Klimastreikbewegung, deren VertreterInnen am ersten Panelwochenende neben dem Gewerbeverband als Interessengruppen eingeladen waren, geändert. «Ich habe Streik immer als etwas eher Negatives betrachtet und dachte, es bedeutet Nichtstun, aber nun weiss ich, dass die Leute vom Klimastreik wichtige Arbeit machen.»

Tränen in den Augen

Viola Klink und Andreas Geldon sind nicht die Einzigen, die von der Teilnahme am Panel begeistert sind. «Respektvoll», «konstruktive Dynamik», «schön», sagen andere. Sie habe am Sonntagabend des ersten Wochenendes gar nicht mehr heimgehen wollen, meint die Mutter und gelernte Versicherungskauffrau Kirsten Buttauer. «Einige sind am ersten Wochenende mit Tränen in den Augen nach Hause», sagt auch Thomas Ghelfi. Eine Frau habe gar gesagt, sie sei zum ersten Mal in ihrem Leben gehört worden, erzählt der Panelmoderator. Dass das politische Experiment für die Beteiligten so positiv verlief, ist wohl auch ihm und seiner Kollegin geschuldet. Andri Heimann vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA), der das Demokratieexperiment im Auftrag des Kantons Zürich und der Gemeinde organisierte, ist zufrieden: «Es zeigt, dass auf einer Kultur des gegenseitigen Respekts eine konstruktive und lebendige Diskussion entstehen kann – auch wenn die Teilnehmenden sehr unterschiedliche Meinungen, Haltungen und Hintergründe mitbringen.»

Tatsächlich scheint nichts die Stimmung trüben zu können. Es herrscht Workshop-Atmosphäre, die UstermerInnen schreiben «Brockis fördern» und «Industrie in die Pflicht nehmen» auf Flipcharts und farbige Zettel. Dass der Austausch im Panel funktioniert, zeigt für den Politologen Andri Heimann, dass die Steigerung der politischen Partizipation, die mit BürgerInnenräten erreicht werden soll, gelingen kann. «Wenn damit in der ganzen Stadt eine Dynamik ausgelöst wird, wenn die Ergebnisse von der breiten Bevölkerung mitgetragen und von der Stadt auch umgesetzt werden, ist das ein grosser Erfolg.»

Unverbindliche Forderungen

Ob eine Dynamik entsteht, die über die zwanzig involvierten Personen hinausgeht, ist allerdings fraglich. Medienberichte gab es bisher fast keine, und mit Ausnahme einiger Einzelpersonen wurde die Möglichkeit, den Beratungen beizuwohnen, von der Bevölkerung nicht wahrgenommen. Diese wird spätestens im Oktober, wenn der «Bürgerbrief» an alle EinwohnerInnen Usters verschickt wird, vom Demokratieprojekt erfahren. Welche Massnahmen und Empfehlungen in den Brief aufgenommen werden, haben die PanelteilnehmerInnen entschieden. Die Verhandlungen vom Sonntag seien anstrengend gewesen, erzählt Heimann, und doch wurden mehr als zwei Drittel der im Brief enthaltenen Forderungen einstimmig verabschiedet. Es finden sich darin niederschwellige Vorschläge im Bildungsbereich, wie etwa die Institutionalisierung des Besuchs von Bauernhöfen für Schulkinder. Aber auch radikalere Forderungen wie der Umbau Usters zu einer Kreislaufstadt, was bedeuten würde, dass der Ressourcenverbrauch auf Stadtebene mithilfe lokaler geschlossener Kreisläufe drastisch minimiert würde.

Ob die im Bürgerbrief geforderten Massnahmen auch umgesetzt werden, hängt zu einem grossen Teil von den politischen EntscheidungsträgerInnen ab. Im Fall von Uster sitzen diese nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf kantonaler Ebene. Als am Samstagnachmittag die vom Kanton entsandte Projektverantwortliche Céline Colombo dem Panel vorgestellt wird, meldet sich Kirsten Buttauer sogleich zu Wort. Ob man denn nun, da eine Vertreterin des Kantons anwesend sei, nicht auch gleich noch Massnahmen definieren könne, die sich an denselben richteten? Die Frage löst einige Heiterkeit aus. Colombo wiegelt ab: «Ich kann nichts versprechen.»