Zürcher Kulturzentrum: Abrieb in der Fabrik

Nr. 42 –

In den 41 Jahren seit ihrer Besetzung ist die Rote Fabrik professioneller und gemässigter geworden. Nun offenbaren interne Konflikte die strukturellen Schwächen des selbstverwalteten Betriebs. Von aussen droht zudem die Aufwertung des Quartiers.

Für Aussenstehende ist die Organisationsstruktur des Betriebs schwer zu verstehen. Büro mit Seesicht in der Roten Fabrik. Foto: Ursula Häne

Die Wut hat sich noch nicht gelegt bei Katharina Prelicz-Huber. «Ich kenne die Rote Fabrik, seit es sie gibt, und ich kämpfe seit ewig für diesen Raum», sagt sie schon vor dem Treffen am Telefon. «Ich bemühe mich, sachlich zu bleiben, aber es trifft mich, was da passiert ist.» Mitten im Sommerloch war im «Tages-Anzeiger» zu lesen, nach einer Mitgliederversammlung hätten in der Roten Fabrik «die Jungen» die «Macht übernommen»; Prelicz-Huber sprach in dem Artikel von einem «Putsch». Die langjährige Gewerkschafterin und Nationalrätin der Grünen sitzt seit zehn Jahren auch im Vorstand des Vereins IG Rote Fabrik, der für einen Grossteil des Kulturprogramms auf dem Areal in Zürich Wollishofen verantwortlich ist. An jener tumultartigen Versammlung vom 28. Juni seien die Struktur und die Kompetenzen der Gremien der IG Rote Fabrik grundsätzlich infrage gestellt worden, sagt Prelicz-Huber. «Als ich als Zwanzigjährige zur Gewerkschaft kam, habe ich mich aufgeregt, dass dort alles festgelegt und reglementiert war. Jetzt, vierzig Jahre später, bin ich froh, dass es hier zwar hoch partizipative, aber klare Strukturen und Kompetenzregelungen gibt.»

Wenn sich die IG Rote Fabrik zur jährlichen Mitgliederversammlung traf, lief das üblicherweise ab wie bei den meisten anderen Vereinen: Formalitäten, Mitteilungen, unkontroverse Abstimmungen und Wahlen. So hat sich für gewöhnlich auch kaum jemand dafür interessiert, was dort entschieden wurde. Ganz anders in diesem Sommer, als medial die Geschichte verbreitet wurde, in dem Kulturzentrum habe es einen organisierten Aufstand gegen die alte Generation gegeben, indem sechs neue Mitglieder in den neunköpfigen Vorstand gewählt wurden. Wenn man sich aber mit der Geschichte und den Ursachen des Konflikts beschäftigt, wird schnell klar: Die Sache ist viel komplizierter.

Ermüdung und Frustration

Für diese Recherche hat die WOZ mit elf Personen gesprochen, die in der Roten Fabrik arbeiten – mit jüngeren und älteren, Vorstandsmitgliedern, Angestellten aus Technik und verschiedenen Programmbereichen. Dabei hat sich gezeigt: Die aktuellen Konflikte haben letztlich mit organisatorischen Schwächen des Betriebs zu tun. Unter den Mitarbeiter:innen scheint Einigkeit zu herrschen sowohl darüber, dass die basisdemokratischen Vereinsstrukturen dringend reformiert werden müssten, als auch darüber, dass das ein ziemlich schwieriges Unterfangen ist. Die Trägheit des Betriebs führe bei den Leuten zu «Abrieb», sagt ein langjähriger Angestellter, also zu Ermüdung und Frustration – was Konflikte wie diesen begünstigt.

«Die schlimmste Sitzung, die ich je erlebt habe», beschreibt eine beteiligte Person die Mitgliederversammlung im Sommer; «schändlich und peinlich» sei das gewesen, sagt eine andere. Dass die Versammlung pandemiebedingt online stattfinden musste, machte die Sache nicht einfacher: Über hundert Mitglieder – viele von ihnen hatten sich noch nie physisch getroffen, und die meisten tauchten auch jetzt nur als schwarze Rechtecke am Bildschirm auf – verloren sich während der sechseinhalb Stunden dauernden Sitzung in einer teilweise gehässig geführten Diskussion, die vielen noch immer in den Knochen sitzt. Gegen Ende der Sitzung wurden sechs neue Mitglieder in den Vorstand gewählt – allerdings waren vier bisherige aus dem vormals achtköpfigen Gremium schon vor der Wahl zurückgetreten, nur ein Mitglied wurde abgewählt. Eskaliert war die Versammlung davor in einem Streit über eine verfahrenstechnische Frage, die für Aussenstehende banal klingen mag: ob die Mitglieder überhaupt das Recht hätten, über einen bestimmten Antrag abzustimmen.

Entzündet hat sich der Streit an einem Antrag von Isabelle von Walterskirchen. Seit Frühling 2019 ist sie Leiterin des Clubbüros und damit verantwortlich für Clubkultur in der Roten Fabrik. Von Walterskirchen wurde 2019 zwar unbefristet eingestellt, die Frage, wie das neu geschaffene Clubbüro in die Struktur der Roten Fabrik eingebunden werden soll, wurde hingegen nie wirklich beantwortet. Als Reaktion auf ein langwieriges Hin und Her zwischen verschiedenen Gremien und den sich über Monate zuspitzenden Konflikt ging von Walterskirchen schliesslich vor die Mitgliederversammlung. Ihr Antrag verlangte, aus dem Clubbüro einen eigenständigen Bereich innerhalb der Roten Fabrik zu machen und ihr Pensum von fünfzig auf sechzig Prozent zu erhöhen. Gemäss Statuten hätte das zur Folge, dass sie auch Teil der Betriebsgruppe würde, einem siebzehnköpfigen Gremium, das für die operative Leitung des Betriebs verantwortlich ist, also ähnlich wie eine Geschäftsleitung fungiert.

An der Sitzung stellte sich der Vorstand auf den Standpunkt, dass er gemäss Statuten die Verantwortung für Personalentscheide trage. Wenn die Mitglieder plötzlich per Mehrheitsentscheid neue Bereiche schaffen und Leute einstellen könnten, käme das einem Präjudiz gleich, sagt Katharina Prelicz-Huber. «In Zukunft könnte dann jeder kommen und die Mitglieder mobilisieren, um die Struktur zu verändern und Personalentscheide zu fällen.» Ausserdem sei jetzt der falsche Zeitpunkt, um einen neuen Bereich zu schaffen. «Wir befinden uns mitten in einer Strukturreform, mit der die bestehenden Bereiche reorganisiert werden sollen.»

Der Fabrikrat fehlt

Aber was ist das überhaupt, ein eigenständiger Bereich? Hier beginnt es kleinteilig zu werden. Die drei grössten Bereiche sind das Musikbüro, das Konzerte organisiert, das Theaterbüro, das das Fabriktheater betreibt, und das Konzeptbüro, das im weitesten Sinne für Veranstaltungen zu aktuellen politischen Fragen verantwortlich ist. Schaut man aber in die Statuten und Reglemente der IG Rote Fabrik, ist dort keine Einteilung in solche Bereiche festgeschrieben; verstehen kann man diese nur über ihre Geschichte. Die Programmbereiche gibt es seit Anfang der nuller Jahre, sie ersetzten damals die frühere Organisationsform des Kulturprogramms: die Arbeitsgruppen (AGs). In diesen waren einst zahlreiche Freiwillige aktiv, die in den Räumen der Roten Fabrik ein Kulturprogramm von unten machten. Im Verlauf der neunziger Jahre verschwand auf der einen Seite das Interesse, sich in den AGs zu engagieren, auf der anderen Seite erforderte das Veranstalten von Kultur immer mehr Professionalität. Also bündelte man den Kulturbetrieb in verschiedene Büros mit festangestellten Veranstalter:innen.

Das Problem dabei ist, dass als Folge dieses Umbruchs auch ein Gremium abgeschafft wurde, von dem viele sagen, dass etwas Ähnliches heute fehle: der Fabrikrat. Darin waren neben dem Vorstand und der Betriebsgruppe auch andere Organisationen auf dem Areal, die von der IG Rote Fabrik unabhängig sind – etwa das als Genossenschaft geführte Restaurant Ziegel oh Lac oder der Kunstraum Shedhalle –, und die AGs vertreten. Der Fabrikrat war nicht nur ein Gremium, in dem die Belange des gesamten Areals verhandelt wurden, als Vertreter:innen der AGs waren dort auch viele Externe präsent, die Ideen einbringen und Forderungen an die IG Rote Fabrik stellen konnten. Auch weil die Arbeitsgruppen verschwanden, wurde der Fabrikrat immer weniger besucht, die Sitzungen ergaben irgendwann keinen Sinn mehr.

Gäbe es ein Gremium wie den Fabrikrat heute noch, wäre die Diskussion um die Einbindung des Clubbüros wohl kaum derart eskaliert. Der Fall hat nämlich gezeigt: Es gibt heute gar keinen Ort, wo darüber diskutiert werden kann, einen neuen Bereich zu schaffen, und auch kein Gremium, das befugt ist, darüber zu entscheiden. Ob und wie die Struktur der Roten Fabrik erweitert werden könnte, bleibt also völlig unklar. Aufgrund dieser Unklarheit lassen sich – abgesehen vom Vereinsrecht – auf rein formaler Ebene plausible Argumente dafür oder dagegen formulieren, dass die Mitglieder das Clubbüro zu einem neuen Bereich machen können. Auf das Argument des Vorstands, nur er und die Betriebsgruppe könnten Stellen besetzen, lässt sich nämlich erwidern, dass hier eben keine bestehende Stelle besetzt, sondern zusammen mit einem Bereich eine neue geschaffen würde.

Doch würden sich Leute stundenlang anschreien und beschimpfen, weil sie verschiedener Meinung über solche Formalitäten sind? Die Reglemente des Vereins bilden zwar das Terrain, auf dem der Streit schliesslich ausgefochten wurde, aber angebahnt hatte sich dieser über Monate.

Frischer Wind fürs Partyleben

Isabelle von Walterskirchen kommt mit zwei grossen Gläsern, gefüllt mit Eiswürfeln und Prosecco, über die Terrasse vor dem «Ziegel oh Lac» gelaufen. «Die kleinen sind immer so schnell leer», sagt sie und beginnt zu erzählen. Isi, wie alle sie nennen, kam nicht erst mit der Gründung des Clubbüros zur Roten Fabrik. Gegen Ende ihrer zehnjährigen Tätigkeit als Leiterin von Petzi, dem Dachverband der nicht gewinnorientierten Musikclubs und Festivals, erhielt sie in den Büroräumen einen Arbeitsplatz. 2017 veranstaltete sie hier erstmals das «Rhizom», ein interdisziplinäres Festival für politische Clubkultur. Als in der Roten Fabrik die Idee aufkam, frischen Wind ins eingerostete Partyleben auf dem Areal zu bringen, arbeitete die erfahrene Veranstalterin auf Wunsch einiger Betriebsgruppenmitglieder ein Konzept aus.

Ihre Idee: Das Clubbüro soll nicht in erster Linie ein Programm buchen, sondern Leuten mit einer Affinität für Clubkultur einen niederschwelligen Zugang ermöglichen, in der Roten Fabrik selber Veranstaltungen zu organisieren. Clubkultur versteht von Walterskirchen dabei als Gegenprogramm zum kommerziellen Partyleben, nicht nur durch die Förderung musikalischer Nischen, sondern auch durch die politische Ausrichtung. Das heisst, dass die Veranstaltungen Schutz vor Diskriminierung bieten sollen, aber auch, dass um das Clubbüro eine Community entstehen soll, die im Kollektiv Ideen entwickelt. Die Idee stiess in der IG Rote Fabrik auf Begeisterung; das Clubbüro wurde gegründet, und seine Veranstaltungen wurden bald rege besucht. Tatsächlich entstand über die nächsten zwei Jahre wie geplant eine Community aus mehrheitlich jungen Leuten; über hundert von ihnen wurden in diesem Zeitraum auch Vereinsmitglieder. Doch in der Zwischenzeit hatte die Pandemie begonnen.

2020 war kein gutes Jahr für die Rote Fabrik. Eigentlich hätte man den 40. Geburtstag (vgl. «Leider eine Festschrift» im Anschluss an diesen Text) ausgelassen feiern wollen; stattdessen mussten die langwierigen administrativen Abläufe möglichst schnell an die neue Situation angepasst werden. Nicht zuletzt lebt der kollektive Geist des Kulturzentrums auch davon, dass sich die Leute treffen und regelmässig austauschen können. Nach Beginn des Lockdowns traf sich die Belegschaft im Hof des Areals zu einer Notfallsitzung. In dieser Zeit gab es erste Reibereien. Sie habe sich etwa dafür eingesetzt, dass die leer stehenden Räume auch in der schwierigen Situation genutzt werden konnten, sagt von Walterskirchen. Als Antwort auf ihre Initiativen habe sie aber immer wieder gehört: «Das geht nicht, das ist zu kompliziert oder zu riskant.»

Unter anderem wegen ihrer Kontakte zu Kulturdachverbänden, die während der Pandemie nützlich waren, nahm von Walterskirchen in den folgenden Monaten an Sitzungen der Betriebsgruppe teil. Seit Beginn ihrer Tätigkeiten war sie auch auf deren E-Mail-Verteiler, um den Informationsfluss zu gewährleisten – bis zum Herbst 2020. Sie sagt, man habe sie irgendwann ohne Ankündigung von diesem Verteiler gestrichen. Andere Beteiligte bestreiten, dass die Kommunikation schlecht gelaufen sei; die Regelung mit der Betriebsgruppe sei nur vorübergehend gewesen.

Wachsendes Misstrauen

Tatsache ist, dass innerhalb des Vorstands nicht alle erfreut waren, wie viel Raum das Clubbüro mittlerweile einnahm. Von Walterskirchen spürte zunehmendes Misstrauen. Einmal habe ihr eine Person aus dem Vorstand gesagt, ihr Tempo und ihre Professionalität seien überfordernd. Um die offene Frage zur Eingliederung des Clubbüros zu klären, setzte der Vorstand eine Arbeitsgruppe aus drei seiner Mitglieder ein, die in einem Bericht zum Schluss kamen, dass es aus organisatorischen Gründen sinnvoll sei, wenn dieses ein eigener Bereich und von Walterskirchen Teil der Betriebsgruppe werde. Dann, an einer Sitzung im Januar 2021, entschied sich der Vorstand gegen die Empfehlung der AG: Es müsse ein neuer Vorschlag ausgearbeitet werden, ohne neuen Bereich.

Der Vorstand teilte von Walterskirchen im Dezember mit, das Clubbüro sei nun ans Musikbüro angegliedert und werde von diesem in der Betriebsgruppe vertreten; dies sei völlig ausreichend, um das Clubbüro reibungslos zu betreiben. «Das hat mich getroffen», sagt sie. «Es ist demotivierend, dass ich so viel Energie investiert habe und mich quasi ohne Unterstützung in diesen komplexen Betrieb einarbeiten musste – und das Clubbüro dann einem Bereich unterstellt wird, der unsere Interessen nicht wirklich wahrnehmen kann.»

Schon bevor der Konflikt um das Clubbüro Fahrt aufnahm, arbeitete eine Arbeitsgruppe an einer Strukturreform. Im Kern sahen die Pläne die Auf‌lösung der Betriebsgruppe vor, die mit ihren siebzehn Mitgliedern schlicht zu gross ist, um eine handlungsfähige Geschäftsleitung zu sein. Dass ausserdem das Budget in den Händen derselben Leute liegt, die für die einzelnen Programmbereiche verantwortlich sind, hemmt Entscheidungen im Interesse des ganzen Betriebs. Statt der Betriebsgruppe hätte die Reform eine kleine Geschäftsleitung vorgesehen, dazu ein neues Gremium, das Kollektivforum. Darin wären die Programmbüros, aber auch weitere Leute vertreten gewesen, die regelmässig in der Roten Fabrik veranstalten – das neue Gremium hätte also eine ähnliche Rolle wie einst der Fabrikrat eingenommen.

Die Pläne waren schon durch mehrere Anpassungsrunden gegangen, und ein breit abgestützter Entwurf lag vor, als die Pandemie den organisatorischen Kraftakt vorläufig auf Eis legte. Sowieso hätte die Reform noch eine weitere Hürde nehmen müssen: Um Stellenprozente für die neue Geschäftsleitung freizugeben, hätten die Mitglieder der Betriebsgruppe je zehn Stellenprozente abgeben müssen. Kürzungen sind heikel. Man hört immer wieder, ein grosses Problem der Roten Fabrik sei, dass die Leute ihre jeweiligen Gärtchen verteidigten, während die übergeordnete Koordination innerhalb des Vereins, geschweige denn auf dem gesamten Areal, darunter leide.

Reiche Nachbarn klagen

Die Tragik dieser Konstellation liegt darin, dass die Rote Fabrik in den nächsten Jahren eine schlagfertige Organisation wohl bitter nötig haben wird, um sich gegen tatsächliche Bedrohungen von aussen zu verteidigen. Denn das Kulturzentrum ist kein hermetischer Kosmos, sondern eingebunden in ein attraktives Quartier direkt am See, das auch für höhere Renditen interessant wäre. Die dafür nötige Aufwertung der umliegenden Gebiete hat bereits begonnen. Gerade wird auf dem Gelände hinter der beliebten Badewiese beim GZ Wollishofen, wo die Franz AG zuvor eine Autogarage betrieben hat, ein siebenstöckiger Block mit 68 Wohnungen gebaut, die nicht besonders günstig sein werden.

Noch düsterere Szenarien gibt es für das Areal direkt neben der Fabrik, wo die Firma Kibag ein Betonwerk betreibt. 2008 erliess der Stadtrat für das Areal eine Sonderbauvorschrift für «Überbauung im oberen Wohnsegment», sprich Luxuswohnungen mit Seesicht. Die NZZ schrieb kürzlich, diese Pläne seien längst vom Tisch; ihre Realisierung ist aber weiterhin möglich. Jedenfalls organisiert die an einem runden Tisch des Clubbüros Anfang Jahr gegründete Gruppe «Linkes Seeufer für alle» Widerstand. Der Stadtrat scheint mittlerweile gemerkt zu haben, dass er solche Pläne nicht hinter dem Rücken der Bevölkerung durchwinken kann. In einer Testplanung versucht er derzeit, die vielen Interessen im Quartier zu eruieren und mit denen der Kibag in Einklang zu bringen. Ende nächstes Jahr soll ein Masterplan vorliegen.

Dass wohlhabende Nachbarn mit ihren Lärmklagen die Kultur auf dem Fabrikareal bedrohen können, hat sich immer wieder gezeigt. Schon heute sind die Zeitfenster für Aussenkonzerte stark eingeschränkt. Am härtesten traf das Kulturzentrum aber die Einsprache eines Nachbarn, der auf diesem Weg die Renovation der Aktionshalle nach dem grossen Brand von 2012 bis heute blockiert hat. Kürzlich hat das Bundesgericht der Roten Fabrik recht gegeben, doch der Schaden ist riesig: Jahrelang war die Kapazität des grössten Veranstaltungsraums um rund 500 Plätze reduziert.

Wie alles begann: Besetzungsfest in der Roten Fabrik im Mai 1980. Foto: Thomas Burla, Limmat Verlag

Weil an der Mitgliederversammlung vom 28. Juni aus Zeitgründen zahlreiche Traktanden verschoben werden mussten, findet am 1. November eine weitere, ausserordentliche Versammlung statt. Bei dieser Gelegenheit will der Vorstand auch ein Gutachten präsentieren, das die Verfahrensfragen rund um den strittigen Antrag vereinsrechtlich klärt.

40 Jahre Rote Fabrik : Leider eine Festschrift

«Bewegung tut gut», der Jubiläumsband zu vierzig Jahren Rote Fabrik, spiegelt recht genau die basisdemokratische Form des Kulturzentrums wider: vielfältig, aber ein bisschen chaotisch. In dem Buch, zu dem auch einige WOZ-Autor:innen Texte beigesteuert haben, stehen dichte Erörterungen – über die Wandlung des Kulturbegriffs in den Siebzigern oder reformpädagogische Kindergärten – neben subjektiven Geschichten, Gesprächsrunden mit Aktivist:innen und historischen Chronologien. Am stärksten ist der Band auf der visuellen Ebene. Die Fotos wirken für sich; in bildessayistischen Serien entstehen zwischen ihnen aber auch poetische oder lustige Bezüge. Neben einer Schwarzweissaufnahme eines Transparents mit der Aufschrift «Die Wüste lebt» von 1980 ist ein aktuelles Foto eines leeren Sitzungszimmers in der Roten Fabrik zu sehen, braune Stühle umringt von dunkelgrünen Zimmerpalmen – die ironische Pointe: Ist das nun die Lebendigkeit in der Wüste?

Solche Momente der Selbstreflexion vermisst man auf der Textebene. Momente der Reibung – etwa die in der schönen Hommage an das «Ziegel oh Lac» geschilderten Angriffe von Autonomen und Punks auf die Genossenschaftsbeiz – kommen als Erinnerungen vor. Für Bruchstellen, die in die Gegenwart nachwirken, interessiert sich das Buch hingegen kaum. Exemplarisch hierfür ist der Umgang mit der Aktion «Weissmalerei» von 2009, als Aktivist:innen die Aussenmauern der Roten Fabrik über Nacht weiss überstrichen. Die symbolisch bestechende Aktion – Weiss steht für kulturelle Tristesse, aber auch für die Tabula rasa einer Grundsatzdiskussion – richtete sich gegen die Kulturpolitik der Stadt Zürich, warf aber auch die Frage auf: Sollte die Rote Fabrik nicht ein kultureller und politischer Freiraum sein, statt nur Alternativkultur zu verwalten? Die Aktion kommt im Buch in Form von Fotos und historischen Dokumenten zwar vor, aber eine Auseinandersetzung über die Grundsätze des Kulturzentrums und dessen Rolle in den kulturellen und politischen Diskursen der Gegenwart sucht man vergeblich.

Dass sich die Rote Fabrik gerade mit dieser Offenheit schwertut, zeigt nicht zuletzt der aktuelle Konflikt ums Clubbüro. Auch vor diesem Hintergrund wären ein paar zukunftsweisende Fragen lohnend gewesen. Leider hat man sich stattdessen für eine Festschrift entschieden.

David Hunziker

Interessengruppe Rote Fabrik (Hrsg.): «Bewegung tut gut – Rote Fabrik». Limmat Verlag. Zürich 2021. 448 Seiten. 52 Franken.