Frontex-Referendum: Vom Symbol zur Täterin

Nr. 47 –

Nun soll es wieder einmal das liebe Geld richten. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats fordert, dass die Schweiz die Kohäsionsmilliarde an die Oststaaten der Europäischen Union verdoppelt. Im Gegenzug soll die EU der Schweiz vollwertigen Zugang zum Forschungsprogramm Horizon und dem Studierendenaustausch Erasmus gewähren. Auch wenn der Vorschlag wegen mangelnder Unterstützung durch die Bürgerlichen scheitern dürfte, bringt er etwas Schwung in die Diskussion über das Verhältnis zur EU. Aussenminister Ignazio Cassis war zuvor mit leeren Händen nach Brüssel gereist. Immerhin wissen wir nun: Cassis ist noch im Amt.

Ums Geld geht es auch beim Referendum gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex, für das noch bis Mitte Januar Unterschriften gesammelt werden. Aber unter umgekehrten Vorzeichen. Die Schweiz, so die Forderung aus der asylpolitischen Bewegung, soll ihren Beitrag an Frontex nicht erhöhen. Vorgesehen ist eine Verdreifachung der Unterstützung, von bisher zwanzig Millionen Franken auf über sechzig im Jahr 2027. Auch würde die Schweiz mehr Personal zur Aufrüstung der EU-Aussengrenzen stellen. Wie das Komitee berichtet, gewinnt das Referendum stetig an Unterstützung.

Leicht nervös reagieren bereits die Frontex-Ultras. Ein «Spiel mit dem Feuer» sei das Referendum, drohe doch die Aufkündigung des Schengen-Abkommens, warnte der frühere Basler Polizeikommandant Markus Mohler in einem Gastbeitrag in der NZZ. Weil das Abkommen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei regle, sei die Schweizer Bevölkerung bei einer Aufkündigung «erheblichen Gefahren krimineller Art» ausgesetzt. Man kann sich schon vorstellen, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter im Abstimmungskampf mit sorgenvoller Miene vor der Einreise von Terrorist:innen warnt.

Es wäre aber zu simpel, die Kritik an Frontex mit dem Verweis auf eine weitere potenzielle Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU abzutun. Vielmehr reiht sich das Referendum in eine Debatte auf europäischer Ebene ein, die mit grosser Dringlichkeit geführt wird. Frontex ist nämlich längst nicht nur unter Menschenrechtler:innen umstritten.

In einer Untersuchung kam das EU-Parlament im Sommer zum Schluss, dass Pushbacks, also die Rückschaffung von Geflüchteten ohne Prüfung eines Asylgesuchs, unter Mitwissen von Frontex passieren. Frontex-Direktor Fabrice Leggeri persönlich hat Beweise für die Menschenrechtsverletzungen vernichten lassen. Die scharfe Kritik im Untersuchungsbericht an dieser Praxis ist immer noch ein politischer Kompromiss. Denn für NGOs wie die deutsche Pro Asyl ist erwiesen, dass Frontex nicht nur zugeschaut hat, sondern selbst aktiv an den Pushbacks beteiligt war.

Das EU-Parlament macht auch finanziell Druck. Es hat im Oktober neunzig Millionen Euro an das Frontex-Budget eingefroren, solange die Agentur nicht endlich mehr Grundrechtsbeauftragte einstellt. Erik Marquardt, der als EU-Parlamentarier an der Untersuchung beteiligt war, begrüsst in dieser WOZ denn auch das Referendum in der Schweiz: «In der Vergangenheit gab es zu wenig substanzielle Diskussionen über die Ausgestaltung der EU-Aussengrenzen.» (vgl. «‹Frontex verfolgt eine Salamitaktik›» ).

Frontex wurde über die Jahre vom Symbol für die Abschottung der Grenzen zur Täterin. 2004 gegründet, kümmerte sie sich anfänglich um die Koordination der Taktiken nationaler Grenzwachen. Heute verfügt sie über Einsatzkräfte, die bis 2027 auf 10 000 Personen erhöht werden sollen, sowie über eigene Flugzeuge, Schiffe und Drohnen. Wie die «Frontex-Files» zeigen, die der deutsche Satiriker Jan Böhmermann publik machte, arbeitet Frontex bei der Überwachung der EU-Aussengrenzen eng mit der Rüstungsindustrie zusammen.

Eine Ablehnung weiterer Gelder für Frontex ist also ein äusserst praktischer Beitrag für den Rückbau der Zäune an der EU-Aussengrenze. Vor allem aber würde sie die Forderung unterstreichen, die von den linken Parteien schon im Parlament gestellt wurde: dass wieder legale und sichere Fluchtwege nach Europa geschaffen werden – auch in die Schweiz.