Am Ende bist du doch allein: Der «Turm» aus der Milliardärsfamilie

Nr. 48 –

Da hält Magdalena Martullo-Blocher inne. Und sieht über die Berge, die sie so liebt. Man könnte sie kaufen. Denkt sie nicht – sondern an all die Missverständnisse, die Ablehnung einiger Schweizerinnen. Die für die Vermehrung ihres Kapitals sorgen. Aber von vorne. Keines kann sich den Ort seiner Geburt aussuchen. Wir alle sind das Produkt unseres Umfelds. Magdalena – der Name kann auch: «Turm» bedeuten – wurde per Zufall in eine Milliardärsfamilie geboren. Sie kannte nichts anderes als – Fleiss, Hodler, Burgen oder 14 000 Quadratmeter Wohnfläche. Vielleicht hat ihr Vater, der der König des Landes war, ihr in Anbetracht der Bergwelt einst zugeraunt: Das ist alles deins, na ja, deine Geschwister sind auch irgendwie im Game, aber schau, das ist die Bürde des grossen Namens. Wir sind verantwortlich für all die Menschen da unten. Wir müssen sie erhalten und bewahren.

Dynastisches Denken. Welche Last für ein Kind. Und

daran denkt Martullo nun, nach den harten zwanzig Monaten der Krise. Sie geht in medias res, denn – viel Zeit dazu bleibt ihr nicht als Macherin. Sie hat es aus eigener Kraft, mit einem Studium in St. Gallen, mit Praktika und Schnupperkursen zur Leitung der Ems-Gruppe und der SVP geschafft, sie hat Kinder, Häuser. Vielleicht hat Martullo irgendwann, als ihr Vater abends am Feuer von seinen neuen Kampagnen erzählte, gefragt: Papi, warum bringst du Hass unter unsere Menschen? War es nicht der Zusammenhalt, der unser kleines Land über all die Zeit so stark gemacht hatte? Nein, Kleines, sagte der Oligarch, Angst bringt die Menschen zum Hassen, und Hass ist ein guter Zustand. Er stärkt den Wettbewerb. Er lenkt von dem Wesentlichen ab, das die Massen sowieso nicht begreifen. Zum Beispiel, dass ich, mein Kind, die Partei der Bauern zu einem Zusammenschluss von Reichen, von Bankern, Anwälten und Wohlhabenden machen werde, die ihren Einfluss nutzen, um die Wirtschaft, das Rückgrat des Systems, zu stärken, sie vor dem Zugriff des Staates zu schützen, vor den gierigen Händen von Schmarotzern. Mag er geraunt haben, aber

nun – sitzt Vater allein in seinem Bunker, umgeben von seinen lieben Bildern, und Martullo ist auf sich gestellt. Gerade erst hatte Ems-Chemie, das Familienunternehmen, den Nettoumsatz gegenüber derselben Zeitspanne im Vorjahr um 30,5 Prozent gesteigert. Kein Vermögen im Land wuchs in der Pandemie so stark wie das der Familie, aber

nun droht dem Unternehmen schon wieder Verlust. 60 Prozent des Firmenumsatzes macht der ehrliche, mittelständische Betrieb mit seinen Hochleistungskunststoffen für die Autoindustrie. Die SVP-Nationalrätin warnt darum eindringlich vor dem zu schnellen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, warnt die Autoindustrie vor Aktionismus und begründet es mit dem Stromverbrauch der E-Mobilität. Kann man so sagen, oder auch: Die Produkte des Unternehmens sind auf Dauerbelastungen, die in Verbrennungsmotoren vorherrschen, ausgerichtet,

ein Auslaufmodell, aber

vielleicht dauert es noch ein wenig, bis die E-Mobilität ihre Stromgefrässigkeit voll entfaltet. Und darum spricht sich Martullo Blocher auch eindringlich gegen den übereilten Atomkraftausstieg aus. Dieselben warnenden Worte findet übrigens auch Kapitalist Bill Gates. Dessen Investmentfirma im grossen Stil an Terra Power, einem Atomkraftwerkunternehmen, beteiligt ist. Fällt mir ohne Zusammenhang ein.

Allein in Deutschland ist die Atomenergie bisher mit fast 300 Milliarden Euro subventioniert worden. Das ist unfair. Denn im Gegensatz zu den Schweizer:innen bekommen die Deutschen keine kostenlosen Jodtabletten für den Fall –

wo waren wir stehen geblieben? Bei der Undankbarkeit, ja, bei Ungerechtigkeit. Rastlos versuchen die Blochers, den Wohlstand im Land durch Herrn Adam Smiths erdachte Trickle-down-Theorie zu stärken, das heisst: während die Dividenden der Anlegenden jährlich steigen, die Löhne stagnieren zu lassen. Die Arbeitnehmer:innen, wir nennen sie: Fürsorgeberechtigte, bescheinigen dem Konzern eine Atmosphäre der Angst, fast baufällige Gebäude, Gestank, massiven Druck, und Martullo-Blocher zog daraus die richtigen Erkenntnisse. Sie forderte eine Entmachtung des Bundesrats und der links-grünen Minderheit in der Regierung. Und nun geht die Sonne unter, erhellt die Kuppe des Eigers in goldenem Licht, golden wie die Zukunft des kleinen Landes, wenn es seine Königsfamilie nur endlich ohne Widerspruch regieren liesse.

Sibylle Berg lebte in Ostdeutschland, Rumänien und Tel Aviv und wohnt seit langem in der Schweiz. Sie brach wie alle Start-up-Entwickler:innen ihr Studium (Ozeanografie) ab und entwickelte keine Plattform, sondern schreibt Bücher und Theaterstücke.